1 Paulus, nach dem Willen Gottes vom Messias Jesus als Apostel gerufen, und Sosthenes, der Bruder, 2 an die Gemeinde Gottes in Korinth, an die durch den Messias Jesus geheiligten Menschen, die gerufen wurden, heilig zu leben – und zugleich an alle Menschen überall, die den Namen Jesu Christi anrufen. Er ist ihr und unser Befreier. 3 Unter euch wohne Gnade und Friede von Gott, unserem Ursprung, und von unserem Befreier Jesus Christus.
4 Euretwegen spreche ich immer wieder Dankgebete zu meinem Gott, weil euch im Messias Jesus die Zuwendung Gottes geschenkt worden ist. 5 Denn in Christus seid ihr an allem reich geworden, begabt zu jeder Sprache und zu jeder Erkenntnis. 6 Ihr bezeugt den Messias und darin beweist ihr zunehmend Stärke. 7 Daher fehlt bei euch keine gottgegebene Fähigkeit, während ihr darauf wartet, dass unser Befreier Jesus, der Messias, offenbar wird. 8 Bis zur Vollendung wird er euch festigen, so dass ihr am Tag unseres Befreiers Jesus Christus nicht angeklagt werdet.
9 Gott ist treu. Durch Gott seid ihr in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus, des Messias, unseres Befreiers, gerufen.
Dieser Brief ist der älteste Paulusbrief, der im Neuen Testament überliefert ist. 15In seiner Briefeinleitung (1,1–3) charakterisiert Paulus die Absender nur kurz, ausführlicher die Adressatin: die messianische Versammlung in Korinth.
1,1 1,1Paulus sagt über sich selbst, er sei vom Messias Jesus nach Gottes Willen zum Apostel gerufenworden. Über seine Berufung spricht er in 1 Kor 9,1; 15,8–10; Gal 1,1.13–17. Die Apostelgeschichte malt das Geschehen legendär als Christusvision erzählerisch aus (Apg 9,1–22 vgl. 26,12–18; 22,6–16). In der Auslegungstradition ist die Berufung oft als „Bekehrung“ im Sinne einer Abkehr von Judentum gedeutet worden. 16Paulus selbst versteht seine Berufung als Gottes Ruf, das Evangelium zu den Völkern zu bringen, d. h. zum neuen Exodus im Namen des von Gott erweckten Messias Jesus. Damit wendet er sich von seiner Arbeit gegen die messianischen Gemeinden ab, nicht aber vom Judentum. Er arbeitet nun für eine jüdisch-messianische Bewegung, zu der auch Menschen aus den Völkern hinzukommen. Diese Arbeit geschieht im Auftrag Gottes, als dessen Gesandter / Apostel er handelt. Die Vorstellung, Paulus habe sein Apostelamt im Sinne der späteren kirchlichen Ämter verstanden, ist unangemessen. Paulus selbst stellt sich in die Kontinuität der Prophetie Israels, s. Gal 1,15; Jes 49,1.
Bereits in der ersten Zeile seines Briefes erwähnt Paulus den Messias / Christus Jesus. christosist die griechische Übersetzung des hebräischen Wortes maschiach / Gesalbter und Messias die gräzisierte Form des hebräischen Wortes.
Paulus verwendet das Wort mit und ohne zusätzliche Nennung des Eigennamens „Jesus“ (s. z. B. 1,6). Das Wort christos ist für ihn kein Eigenname, sondern verweist auf die Salbung und damit auf eine von Gott gewirkte Beauftragung. Der Gesalbte verkörpert Gottes Handeln für die Befreiung des Volkes. Das Wort christos ist kein Hoheits- oder Würdetitel, der Personen eine übermenschliche oder göttliche Qualität verleiht, die sie von allen anderen Menschen unterscheidet. Das Wort christos bei Paulus sollte mit „Gesalbter“ oder mit „Messias“ übersetzt werden und nicht durchweg mit „Christus“, da das Wort „Christus“ im gegenwärtigen Christentum häufig als exklusiver Würdetitel und Eigenname dieses einen Messias Jesus verstanden wird.
Das Wort nimmt jüdische Tradition auf. 17Es spielt für Paulus eine zentrale Rolle, wie schon das neunmalige Vorkommen in den neun ersten Versen des Briefes zeigt. „Die Salbung Jesu ist ein wichtiger Schlüssel, um ihn in seiner Würde als Messias / Christus als Teil einer ihn unterstützenden Gemeinschaft zu begreifen.“ 18Paulus kann auch von der Gemeinde sagen, Gott salbe sie (2 Kor 1,21). Dass Gott den Messias zum König einsetzt, setzt Paulus klar voraus. Es gibt für ihn eine gegenwärtige und in die Zukunft reichende Königsmacht des Auferstandenen (s. besonders 15,20–28; s. zu 15,24). Zentrale Bedeutung kommt der Messianität Jesu für Paulus und für die Gemeinde in Korinth zu, weil es die Macht des Messias ist, die alle anderen Gewalten und Mächte in der Welt überwindet (s. zu 8,5).
Paulus erwähnt Sosthenesals Mitverfasser. Er versteht sich durchweg in seinen Briefen als „Autor im Plural“. 19Auch wenn er in 1,4 wie oft in 1 Kor im Singular als Absender spricht, so hat er doch nicht den Anspruch, der Chef von „Mitarbeitern“ zu sein oder als einzelner Autor verstanden zu werden. Er versteht sich vielmehr als Teil einer geschwisterlichen Gemeinschaft. Sosthenes nennt er Bruderund redet so auch die Gemeinde als Geschwister an (z. B. 1,10). Diese geschwisterliche Beziehung ist durch „gegenseitige Verantwortlichkeit und Solidarität“ charakterisiert. 20. Sie setzt die biblische und nachbiblische Tradition fort, nach der die Glieder des Volkes Israel sich wegen ihrer Bindung an den einen Gott Israels als Schwestern und Brüder verstehen. 21Die Menschen nichtjüdischer Herkunft verbindet diese Geschwisterbeziehung nicht nur miteinander, sondern auch mit dem Volk Israel. Sie eröffnet ihnen eine Alternative zur patriarchalen Familie. Die Beziehungen in der patriarchalen Familie sind in der Regel asymmetrisch, die in der Gemeinde nicht. Ob die Autorität der Apostel, Apostelinnen, Lehrer und Prophetinnen eine asymmetrische Beziehung herstellt, wird zu fragen sein (s. zu 3,11).
1,2 1,2Die Gemeinde in Korinth wird von Paulus vierfach charakterisiert. Er nennt sie „ Versammlung / ekklesia Gottes“. Das Wort hat noch seinen profanen Sinn: Versammlung an einem konkreten Ort – wie in Korinth so auch an anderen Orten (16,1.19). Diese Ortsversammlungen haben untereinander z.T. rege Kontakte. Doch denkt Paulus noch nicht an eine „Kirche“ im übergreifenden Sinne. Für ihn ist jede einzelne Versammlung von Messiasgläubigen Volk Gottes an diesem Ort. 22Sie beerbt Israel nicht, sondern kommt in Solidarität hinzu. Das Wort ekklesia knüpft neben seiner profanen Bedeutung an die alttestamentliche Geschichte Gottes mit dem Volk Israel an. 23 Kahal Adonaj wird in der Septuaginta auch mit ekklesia Gottes wiedergegeben und bezeichnet z. B. die Vollversammlung Israels am Sinai (Dtn 4,10) oder die gottesdienstliche Gemeinde (Ps 35,18). Das Wort synagoge kann im selben Sinne gebraucht werden. Ein Neben- oder Gegeneinander von Ekklesia als christlicher Kirche und „der“ Synagoge als Judentum gibt es zu dieser Zeit noch nicht. In der Stadt Korinth gab es Raum für große Versammlungen zu unterschiedlichen politischen Zwecken (s. z. B. Apg 18,12–17). Solche Versammlungen standen den Menschen vor Augen, wenn sie das Wort ekklesia hörten. Deshalb hat das Wort eine deutliche politische Doppelsinnigkeit: Die Versammlung Gottes ist eine Alternative zur städtischen Volksversammlung, in der die jeweils politisch Herrschenden ihre Interessen darstellen und durchsetzen. So ist die Gemeinde als „alternative Gesellschaft […] in der Geschichte Israels verwurzelt und steht im Gegensatz zur pax Romana.“ 24
Dass die an den Messias Glaubenden Gerufene und Heiligegenannt werden, stellt erneut ihre Beziehung zum Gott Israels in den Mittelpunkt. Gott hat sie gerufen wie er den Apostel gerufen hat (1,1). Diese Berufung (z. B. 7,17) oder auch Erwählung (1,28) hat ihr Leben grundlegend verändert. Sie leben nun dem göttlichen Auftrag entsprechend nach der Tora (7,17 s. dort). Die Bezeichnung „Heilige“ knüpft an die Heiligkeit des Volkes Israel an (Lev 19–20). Die Heiligkeit der Gemeinde wird im 1 Kor nachdrücklich herausgestellt. Die Gemeinde ist Ort der Gegenwart Gottes (3,16) und sie ist Leib Christi (12,12.27).
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