1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Ich sagte: »Denken Sie denn, das ist das erste Mal, dass irgendein Historiker oder Chemiker oder irgendein dahergelaufener Hohlkopf behauptet, er hätte diesen legendären Stein gefunden? Haben nicht Hunderte anderer Menschen über die Jahrhunderte danach gesucht? Habe ich nicht danach gesucht? All die Jahre des Umherirrens, all die verschiedenen Personen, die ich verkörpert habe … haben Sie sich nie gefragt, wieso ich mein Leben so verbracht habe, statt mich einfach in den Himalaja zurückzuziehen? Ich habe jahrhundertelang die Welt bereist, mich in Kriege und Aufstände geworfen, bin dem Aufstieg und Fall ganzer Zivilisationen gefolgt … als Historiker können Sie sich bestimmt denken, wieso?«
Er nickte, etwas kleinlaut, weil er das nicht bedacht hatte.
»Fast jeder Größenwahnsinnige der Geschichte hat eine lange, wenn nicht unendliche Herrschaft angestrebt«, fuhr ich fort. »Diese Suche ist nichts Neues. Aber sie ist vergeblich. Jeder Versuch, den ich unternommen habe, um herauszufinden, was mich biologisch unsterblich gemacht hat; wie ich so geworden bin, war ein Fehlschlag … ich bin eine Anomalie, Manohar, ein statistischer Ausrutscher, wohingegen die alchemistische Unsterblichkeit Methode voraussetzt; sie erfordert Wissenschaft. Eines von beiden muss falsch sein.«
Manohar zwang sich zu einem zustimmenden Nicken, auch wenn er jedes Recht gehabt hätte, mich zu fragen, wieso ich weiter nach etwas gesucht hatte, von dem ich nicht glaubte, es jemals zu finden. Offensichtlich war er beschämt, an die Details erinnert zu werden, in die er eigentlich eingeweiht war.
»Also«, sagte er. »Damit bleibt nur die erste Möglichkeit. Jemand vermutet, dass Sie … nun, wie Sie oft gesagt haben, ein so großer Zufall kann gar kein Zufall sein. Aber … wer?«
Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
Ich drehte mich um, stürmte zurück in das innen gelegene Büro und verkündete hastig: »Dann zeigen Sie mal her, Miss Jervois.«
»Nein, Professor. Ich bin nicht so dumm, ihn mitgebracht zu haben, bevor ich nicht wusste, worauf ich mich einlasse. Ich habe ihn an einem öffentlichen Ort versteckt. Wir gehen da hin, trinken gepflegt etwas wie zivilisierte Menschen, und Sie hören sich die ganze Geschichte an. Und dann zeige ich Ihnen, was ich entdeckt habe.«
Ich konnte nicht sagen, ob sie nur vorsichtig oder schwierig war, ihre Hartnäckigkeit war zumindest unterhaltsam. Es machte auf jeden Fall Sinn, ihrer Einladung zu folgen. Entweder das oder ich konnte allein in irgendeiner lauten, hellen Dhaba etwas trinken und dabei Manohar verfluchen.
»Okay«, sagte ich. »Wenn ich mir diesen Quatsch anhöre, kann ich dabei auch wenigstens was trinken.«
Maya Jervois' Lokalauswahl enttäuschte gleich in zweierlei Hinsicht: Nicht nur war damit eine Fahrt durch Delhis Rushhour verbunden, was zu eineinhalb Stunden angespannter Stille in der Enge des Maruti führte, es war auch noch unglaublich teuer, selbst nach den absurden Standards der Stadt – eine Eigenschaft, die mein Ego mehr ärgerte als meine Brieftasche. Andererseits bedeutete dies auch, dass das Lokal nicht überfüllt war, besonders im ersten Stock, in dem wir saßen. Das Dekor – ein verzweifelter Versuch, mit dunklem Samt und spärlicher Beleuchtung eine Art Retro-Schick zu erzeugen – war weit entfernt von irgendeiner Art von Konzept und gab der Örtlichkeit das Aussehen eines majestätischen Eroberers, der durch Verluste milder geworden war. Ich fand es auf merkwürdige Weise anziehend und beschloss, das Restaurant wäre einen zweiten Besuch wert, für den seltenen Fall, dass Manohar darauf bestand, ich solle seinen Geburtstag oder ein ähnliches Ereignis mit ihm feiern.
Ich wählte einen Vierertisch in der Nähe eines großen Fensters. Maya Jervois setzte sich mir direkt gegenüber. Manohar nahm den Platz rechts von ihr und vertiefte sich in die Speisekarte. Wenn ihn unsere plumpe Strategie, uns möglicherweise Kopf voran in Gefahr zu begeben, überhaupt störte, dann ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.
Manohar war ein Mann, der privat sehr zurückgezogen lebte, ohne Familie oder Freunde. In den etwa acht Jahren, die ich ihn kannte, hatte er keine dauerhafte Beziehung gehabt, verachtete aber auch keine gelegentlichen Affäre. Er hatte keinerlei Probleme damit, sein gutes Aussehen skrupellos auszunutzen, und behauptete zu seiner Verteidigung, wer aufgrund seiner Optik davon ausging, er hätte nichts im Kopf, hätte es nicht besser verdient. Dem stimmte ich völlig zu, denn er war einer der schlauesten Männer, die ich kannte. Er hatte mit formvollendeter Leichtigkeit hingenommen, wer – oder was – ich war, als ich es ihm enthüllt hatte, ohne Verurteilung oder Aberglaube. Allerdings war er selbst ein Mann mit einem Geheimnis, obwohl niemand das, was Manohar verschwieg, verschweigen müssen sollte.
»Sir?« Der Kellner wartete auf unsere Bestellung.
»Lagavulin. Ohne Eis«, antwortete ich.
»Ich hätte nicht gedacht, dass Sie ein Whisky-Trinker sind«, sagte Maya Jervois und erinnerte mich damit an ihre Anwesenheit.
»Der Professor liebt seinen Single Malt«, verkündete Manohar mit merklicher Zustimmung. »Ab und zu trinkt er auch mal ein oder zwei Bier, aber nur, wenn er keine andere Wahl hat.«
»Und Sie, Manohar? Sie haben auch Whisky bestellt, oder?«
»Ja, aber ich habe nicht den ausgebildeten Geschmack des Professors. Ich bin mehr ein einfacher Royal-Challenge-Typ …«
»Sie sind wohl kaum einfach, Manohar«, sagte ich und beteiligte mich an dem Geplänkel. »Sie tun nur gern so. In ihm steckt weit mehr, als man auf den ersten Blick meint, Miss Jervois. Wussten Sie, dass er einen PhD in Sanskrit in Harvard gemacht hat?«
Sie schien angemessen beeindruckt. »Das ist toll. Ich kannte einen Forscher dort. Sein Name ist …«
Wie ich gehofft hatte, kamen sie und Manohar ins Gespräch und ließen mich in Ruhe. Ich sah zum Fenster hinaus und genoss die malerische Aussicht auf den Qutb Minar – angeblich nach dem König benannt, der 1193 mit dem Bau begonnen hatte, Qutb-ud-Din Aibak, aber tatsächlich stammte der Name von einem anderen Mann, der zur selben Zeit gelebt hatte, dem Sufi-Heiligen Qutbuddin Bakhtiar Kaki. Ich hatte keinen von beiden getroffen, empfand aber aus meinen ganz eigenen Motiven heraus eine gewisse Verbundenheit mit diesem Monument. Der Lehrer und Mentor des Heiligen, Muinuddin Chishti, war mein Freund gewesen, und unsere Pfade hatten sich um das Jahr 1160 in Buchara gekreuzt, heute in Usbekistan gelegen.
Chishti war ein junger Asket gewesen und ich ein Krieger im Dienste Saladins, dem Gründer des Ayyubiden-Sultanats. Ich kämpfte nicht nur für ihn, um dabei zu helfen, die Heilige Stadt einzunehmen, sondern verteidigte sie auch gegen die Streitmacht von Richard Löwenherz während des Dritten Kreuzzugs. Keine der beiden Religionen war die meine gewesen, aber der Krieg war es. Was bei euch ist, vergeht, und was bei Allah ist, besteht, hatte Chishti aus dem Koran zitiert, als ich ihm gesagt hatte, wonach ich suchte. Es war teils Ratschlag, teils berechtigte Warnung, denn der Kampf um Jerusalem war hart gewesen. Ich hatte gegen Männer gekämpft, die von ihren tiefsten Überzeugungen angetrieben worden waren, gemeinsam mit denen, die ebenso starken Glauben hatten. Aber ich hatte nur für mich selbst gekämpft.
»Lassen Sie mich wissen, wenn Sie bereit sind, die Sache zu besprechen, Professor«, unterbrach eine Stimme meine Gedanken.
Der Zeitpunkt war so gut wie jeder andere. »Ich bin bereit, Miss Jervois.«
Maya räusperte sich und begann zu reden, als würde sie einen Vortrag auf einer Konferenz halten. »Die schriftliche Überlieferung der alchemistischen Tradition in Indien beginnt etwa um die Jahrhundertwende, im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, mit dem Gelehrten Nagarjuna – einem Mann, der eher wegen seines Beitrags zum Aufstieg des Mahayana-Buddhismus bekannt ist denn als typischer Gelehrter der nach-vedischen Periode. Was wir über sein Leben wissen, stammt hauptsächlich aus Aufzeichnungen tibetanischer Buddhisten. Er wurde irgendwo in Westindien geboren und hatte sein Labor in Srisailam, dem heutigen Andhra Pradesh. Manche sagen, er sei zum Buddhismus konvertiert und habe seine eigene Schule gegründet, die buddhistische Lehren mit vedischen Prinzipien verband. Seine Regeln, so habe ich gelesen, sind Sartres moderner Philosophie vergleichbar. Er wird auch als Schüler von Agnivesh geführt, einem Gelehrten, der im Mahabharata erwähnt wird.«
Читать дальше