1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Sie machte eine Pause, als unsere Drinks gebracht wurden. Ich trank meinen Whisky mit einem Schluck leer, winkte dem Kellner zu, er solle mir noch einen bringen, und lehnte mich in die Kissen zurück. Ich schloss die Augen und genoss die Wärme des Alkohols, die sich in mir ausbreitete. Bald hörte ich, wie der Kellner ein Glas vor mir abstellte. »Danke«, sagte ich und er trollte sich. Ich nahm einen kleinen Schluck meines zweiten Drinks. »Fahren Sie fort.«
Sie hatte die Hände auf ihren Schoß gelegt, um gefasst zu wirken, aber ihre Stimme verriet ihre Aufregung. »Sie sind sicherlich vertraut mit der Geschichte Nagarjunas und wissen, dass seine Arbeit als Philosoph und Wissenschaftler später in der Abhandlung von Dhavantari über Ayurveda aufgezeichnet worden ist. Nagarjunas Taten kamen auch Xuanzang zu Ohren und er wird ebenso in al-Birunis umfassenden Aufzeichnungen über die indische Gesellschaft erwähnt – nicht als Gelehrter oder Weiser, sondern als bahnbrechender Alchemist. Die Grundlage von Nagarjunas Berühmtheit war das, was er Vajra nannte – ein Objekt aus einer transmutierenden Substanz, die für die Alchemie zentral ist und nicht nur jedes Metall in Gold verwandeln konnte, sondern auch das menschliche Leben verlängern. Die Geschichte berichtet, dass eine Hungersnot über Magadha kam und er den Vajra benutzte, um die große Gemeinschaft an der Nalanda-Universität am Leben zu erhalten. Einige sagen, dass Nagarjuna selbst mehr als 500 Jahre alt wurde. Aber das Interessanteste an der Geschichte ist sein Tod.
Nagarjuna war ein Untertan der Salivahana-Könige. Entweder aus Gier oder aus politischen Gründen, die vielleicht durchaus berechtigt waren, beschloss Prinz Sindhu aus dem Salivahana-Klan, dass sowohl der Alchemist als auch die Quelle seiner Macht – das transmutierende Objekt – zerstört werden mussten. Nagarjuna unterwarf sich, zerbrach den Vajra in drei Teile und versteckte die Fragmente an verschiedenen Orten. Dann lieferte er sich seinen Henkern aus. Bis heute gibt es keinen Hinweis darauf, wo diese drei Stücke sind, abgesehen von Nagarjunas rätselhafter Antwort auf die letzte Frage des Prinzen.«
» Mein Leben ist Alchemie. Ich gehe nun in die seligen Länder, aber ich werde genau in diesen Körper zurückkehren «, zitierte ich. »Eine Aussage, die viel über Nagarjunas Leidenschaft für seine Arbeit bekundet, aber keine Informationen darüber liefert, wo diese angeblichen Fragmente sind und noch weniger seine wissenschaftliche Glaubwürdigkeit belegt. Ich warte noch, wo Sie mich mit Ihrem Literaturreferat hinführen, Miss Jervois. Und nur als Hinweis, ich möchte Sie daran erinnern, dass derselbe Dhavantari, auf dessen Arbeit sich Nagarjuna bezieht, selbst über seine Versuche mit der Transmutation berichtet und besonders darüber, dass er dabei vollständig gescheitert ist.«
»Sie glauben doch sicher nicht, das Versagen eines Mannes ist Grund genug, die Möglichkeit völlig abzulehnen, diese Substanz könne als Katalysator für eine chemische Umwandlung fungieren? Sind Sie da nicht ein wenig zu dogmatisch, Professor?«
Ich erwiderte das Kompliment nicht, indem ich auf ihre eigene Sturheit hinwies. Stattdessen verschränkte ich die Arme, sah sie an und fragte sie mit ernstem Interesse: »Miss Jervois, wenn Sie überzeugend darlegen können, dass all diese Querverbindungen tatsächlich existieren, und ich nehme einfach mal an, Sie können es, dann liegt doch eine großartige Karriere vor Ihnen. Wieso sind Sie dann hier und versuchen, uns zu engagieren, statt sich um Forschungsstipendien zu bewerben oder nach Assistenten zu suchen? Oder sich einen lukrativen Buchvertrag an Land zu ziehen und die Wahrheit wie eine Bombe platzen zu lassen, wie man so sagt. Wieso beschäftigen Sie sich nicht lieber damit?«
Sie sah mich selbstbewusst an. Ich vermutete, ihre braunen Augen waren ein Geschenk von ihrem indischen Elternteil; ihrer Mutter, wenn ich mir die leicht chauvinistische Ansicht zu eigen machen wollte, dass sie den Nachnamen ihres Vaters trug. Oder ich könnte noch ein wenig chauvinistischer sein und annehmen, es war der Name ihres Mannes. Ich ließ diesen frivolen Gedankengang hinter mir, aber als Schweigen sich breitmachte, bewunderte ich das jugendliche Leuchten ihres Gesichts und die sture Überzeugung von ihren Ideen, die sie an den Tag legte. Sie war, das musste ich zugeben, eine sehr attraktive Frau, und das auf mehr als eine Art. Trotz meiner anfänglichen Ungeduld und meines Zögerns war die Unterhaltung nicht so schlecht verlaufen und der Abend auch keine totale Zeitverschwendung. Sollten wir tatsächlich …
»Keiner würde mir glauben.«
»Entschuldigung?« Ich antwortete instinktiv, obwohl ich bei meiner Träumerei nicht genau verstanden hatte, was sie gesagt hatte.
»Sie haben gefragt, wieso ich damit nicht meine Karriere voranbringe oder ein Buch schreibe. Das liegt daran, weil mir niemand glauben würde.«
Geheimnisse versteckt man am besten da, wo alle sie sehen können, hatte mein Großvater häufig gesagt.
Sie fuhr fort: »Ich kann nichts davon mithilfe etablierter Fakten oder veröffentlichter Forschungen beweisen. Wir befinden uns da auf dem Gebiet von Gerüchten und Mutmaßungen, das ist Schatzsucherei. Und deswegen bin ich zu Ihnen gekommen, Professor. Und persönlich finde ich es schwer zu akzeptieren, dass der Mann, der die Chirala-Platten gefunden hat, ein Mann, der gezeigt hat, dass Kupferverarbeitung und Metallurgie in Indien etwa 1000 Jahre früher existierten, als die herkömmliche Forschungsmeinung annahm, mir mit Bedingungen und Beweisen kommt.«
»Sie haben die Neigung zu Alliterationen, wussten Sie das?«, entgegnete ich.
»Professor, bitte. Ich bin nicht hier, um Small Talk zu machen. Ich habe ernst genommen, was Sie gesagt haben. Könnten Sie mir dieselbe professionelle Höflichkeit erweisen?«
»Miss Jervois, allein die Höflichkeit bringt mich dazu, Ihnen zu sagen, was ich denke. Hätte, wäre, könnte sind ungeeignet für wissenschaftliche Theorien. So erfrischend ich Ihre Annahmen finde, und das meine ich ehrlich, ich sagte Ihnen bereits, ich bin kein heldenhafter Schatzjäger. Sie müssen mir schon ein wenig mehr bieten … wenn das alles so einfach und geradlinig wäre, wie Sie angedeutet haben, dann wäre dieser Vajra längst gefunden worden.«
»Ich glaube, Sie zitieren den Alchemisten Geber. Auch bekannt als Dschabir ibn Hayyan. Man sagt, diese Wissenschaft sei schon so oft von weisen Männern unternommen worden, dass, wenn es in irgendeiner Weise möglich wäre, sie es schon Tausende Male, vor der heutigen Zeit, gemeistert hätten .«
Ich war beeindruckt, aber nicht genug, um ihrer Argumentation zu folgen. »Tote Alchemisten zu zitieren ändert rein gar nichts, Miss Jervois. Nagarjuna wurde sowohl von westlichen als auch indischen Historikern gründlich erforscht und dieser angeblich geheime Gegenstand hat schon so manchen dubiosen Bestseller hervorgebracht. Da ist absolut nichts Neues dran.«
Maya Jervois lächelte. »Man kann nicht finden, wonach man nicht sucht, Professor. Vieles ist immer noch hinter alten Mythen verborgen.«
Ich lächelte und drehte mich in der entstehenden Pause zu Manohar. Er nickte in Richtung ihrer Handtasche. Meine Achtung vor der wortgewandten Miss Jervois wuchs. »Was immer Sie entdeckt haben … Sie haben es nicht hier versteckt oder irgendwo anders. Es war die ganze Zeit in Ihrer Handtasche, stimmt's?«
Sie warf Manohar einen Blick zu und sah dann wieder mich an. »Das erklärt seine Zurückhaltung. Sie spielen Doktor Einstein mit Ihrem schlauen Gerede und Ihr Schönling hier gibt den schweigsamen Komplizen, der alles beobachtet. Schön. Sie beide sind ein tolles Team.«
Ich antwortete nicht und trank den Rest meines Whiskys aus. Der aufmerksame Kellner kam näher, bereit, mir noch etwas zu bringen, aber ich gab ihm mit einer Geste zu verstehen, dass ich nichts mehr wollte, und wartete, wobei ich Maya Jervois fragend ansah. Sie griff langsam in ihre Handtasche. Sie wollte mich wohl ein wenig provozieren, aber ich beschloss, es gleichmütig hinzunehmen. Sie hatte ein Recht darauf, selbstgefällig zu sein, und ich ließ ihr diesen Moment mit der kultivierten Geduld eines Mannes, der wusste, dass im größeren Kontext des Universums nur weniges wirklich Begeisterung wert war.
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