Ich notierte mir die Uhrzeit – es war kurz vor vier Uhr nachmittags –, als der Gebetsruf der nahe gelegenen Moschee ertönte. Ich setzte mich an den Schreibtisch und begann eine Runde Solitär.
Das Klopfen an der äußeren Eingangstür war pünktlich auf die Minute. Ich hörte das undeutliche Anschwellen und Verebben einer höflichen Unterhaltung, als Manohar unsere mögliche Klientin hereinließ, dann die verräterische Stille, während sie vermutlich die Einrichtung musterte – oder deren Fehlen. Was das anging, so fehlte es an jeglichen Utensilien, die man mit einem Akademiker in Verbindung brachte, so exzentrisch er auch sein mochte. Keine Diplome an den Wänden, keine stolz zur Schau gestellten Texte oder Zeitungsartikel, keine unordentlichen Haufen von Seminararbeiten, die darauf warteten, benotet zu werden; nur kahle Leere, die eindeutig darauf hinwies, dass ich nirgends Vorlesungen hielt, nichts publizierte und mich auch mit niemandem traf.
Ein zweites Klopfen, diesmal an meiner Tür, dann öffnete sie sich.
Ich stand auf, während Manohar eine Frau hereinführte, die ich auf etwa 35 schätzte. Dunkelbraunes Haar mit hellen Strähnen, das gut zu ihrer blassen Haut passte, die auf teilweise europäische Vorfahren hindeutete. Sie war nicht sehr groß, aber athletisch gebaut – das Ergebnis harten Trainings, nahm ich an, als ich die definierten Muskeln ihrer Unterschenkel unter dem Saum des förmlich aussehenden Rocks bemerkte. Sie trug einen dazu passenden Blazer über einer einfachen weißen Bluse, der elegante Manschettenknöpfe eine persönliche Note verliehen. Ihr Make-up bestand, soweit ich das beurteilen konnte, aus kaum mehr als einer Spur braunen Lippenstifts, dessen sparsame Verwendung auf Selbstvertrauen und nicht Gleichgültigkeit hinwies, denn er war gleichmäßig aufgetragen und mit gekonntem Schwung umrahmt worden. Sie wirkte attraktiv, für mich noch mehr aufgrund der Abenteuer, die möglicherweise bevorstanden. Manohar warf mir schweigend einen Blick zu, als wollte er verdeutlichen: Hab ich's nicht gesagt?
»Professor Bharadvaj.« Sie kam auf mich zu und schüttelte fest meine Hand. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Da ich gehört habe, dass Sie ein Mann weniger Worte sind, komme ich gleich zum Punkt.«
Ich brachte ein höfliches Zucken der Mundwinkel zustande und zeigte in Richtung eines der Stühle, die dem Schreibtisch zugewandt waren. Sie setzte sich kommentarlos und strich dabei ihren Rock glatt. Manohar nahm seine übliche Position ein und lehnte sich lässig gegen die Wand, so als hätte seine Gegenwart nichts weiter zu bedeuten. Er wollte nicht die kleinste Bewegung verpassen, die unsere Besucherin machte.
»Mein Name ist Maya Jervois«, begann sie. »Ich bin hier im Auftrag einiger Sammler, die lieber ungenannt bleiben wollen. Wir hoffen, Professor, dass Sie uns helfen können, ein bestimmtes historisches Artefakt zu finden, das ich schon früher Mister Manohar gegenüber erwähnt habe …«
Diese klischeebeladene Vorstellung klang verdächtig. Wenn Manohar recht hatte, dann war sie mehr als ein schlecht informierter Zwischenhändler. Ich beschloss, ihr ein wenig auf den Zahn zu fühlen, um es herauszufinden. »Lassen Sie mich eines vorab klarstellen, Miss Jervois. Erstens, ich bin sehr teuer. Zweitens mag ich es nicht, ohne guten Grund im Dreck herumzuwühlen. Ich bin kein Indiana-Jones-Verschnitt, der Gräber plündert und mit der Peitsche schnalzt. Wenn Sie nach jemandem suchen, der in Kakihosen durch den Dreck krabbelt, dann sind Sie im falschen Büro.«
Manohar kommentierte meine herablassende Art mit einem Kichern und das war keine bloße Effekthascherei. Wir hatten es schon mit zu vielen neureichen Sammlern und deren Untergebenen zu tun gehabt, als uns große Sorgen um unsere Fähigkeiten im Kundendienst zu machen. Unberechenbare Finanzmärkte hatten manche über Nacht zu Milliardären gemacht und andere in die Pleite geführt. Ich hatte es so satt, darum gebeten zu werden, mit jahrhundertealten Statuen und Schnitzereien zu handeln, die hinterher zum halben Preis wie gebrauchte Haushaltsartikel auf dem Flohmarkt verkauft wurden.
Maya Jervois behielt mich im Auge, als sie ihre Handtasche öffnete, einen Scheck herausholte und ihn auf den Tisch legte. Wortlos lehnte sie sich im Stuhl zurück.
Ich nahm den Scheck, inspizierte die Vorder- und Rückseite und legte ihn wieder auf den Tisch. »Okay, Ihre Klienten sind also stinkreich. Das beeindruckt mich nicht sehr, Miss Jervois.«
»Maya, bitte nennen Sie mich Maya. Und ich glaube, Sie sollten sich meinen Vorschlag durch den Kopf gehen lassen, Professor. Sie haben sicher von Nagarjuna gehört – dem legendären Alchemisten, der angeblich den Schlüssel zur Transmutation gefunden hat – den er Vajra nannte, auch wenn der gebräuchlichere Ausdruck wohl Stein der Weisen sein dürfte …«
Enttäuschung machte sich in mir breit, die sich sofort in Zorn verwandelte. Ich mühte mich, eine antrainierte Gleichgültigkeit zur Schau zu tragen, was mir aber nur teilweise gelang. Unwillkürlich versteifte ich mich und runzelte die Stirn, was deutlich sichtbar war. Die melodramatische Situation, zusammen mit dem Höhepunkt, der eher ein Tiefpunkt war, war so lachhaft wie ärgerlich. Offenbar hatten Manohars persönliche Gefühle die Oberhand über seinen geschäftlichen Instinkt gewonnen. Wäre ich nicht der gewesen, der ich nun mal war, hätte er Maya Jervois zur Tür hinaus gelacht, sobald sie den Mund aufgemacht hätte, so wie das jeder anständige Historiker der Welt täte. Stattdessen hatte er den Vorschlag gemacht, dass wir uns mit ihr treffen. Und ich war einverstanden gewesen, denn er hatte die einzigen Worte gesagt, die mich von meiner Verabredung mit dem Fluss in Kashi abhalten konnten.
»Sie weiß es.«
Das hatte er wohl aus ihrem lächerlichen Angebot geschlossen, aber so angeekelt, wie ich von der unerwarteten Wendung der Ereignisse war, vermied ich es, ihn zur Bestätigung anzusehen. Ich reduzierte meinen Zorn zu einer gewissen Abfälligkeit und sagte: »Ich bin Historiker, Miss Jervois. Die Harry-Potter-Abteilung ist ein wenig weiter den Flur entlang.«
»Ich bin sicher, dass ich an der richtigen Stelle bin, Professor. Ich muss Ihnen wohl kaum die Wichtigkeit von wiederkehrenden Symbolen und Mythen in verschiedenen Kulturen erklären. Die Suche nach einer einzigen, einmaligen Quelle der Transmutation, nach der Unsterblichkeit, ist in den vedischen Schriften gut belegt.«
Ich widerstand dem Drang, mit den Augen zu rollen. Wenige Neigungen waren so beständig und sinnlos wie die Suche nach dem ewigen Leben, eine Tatsache, die ich aus eigener Erfahrung kannte. Für sich allein betrachtet war das Konzept nicht so abwegig. Alle Dinge veränderten sich. Flüssigkeiten verdampften; Gase wurden eingelagert. Eisen rostete und Zellen verwesten. Samen trieben aus und wurden zu Bäumen, und eine Ansammlung von Fleisch und Blut konnte sich zu einem Fötus entwickeln und als eine lebende Kreatur geboren werden, die aus vielen Zellen bestand. Aber alles hatte seine Grenzen, denn Grenzen bewahrten die natürliche Ordnung. Unsterblichkeit war ein fundamentaler Angriff auf diese Ordnung.
Ich hatte nicht vor, Miss Maya Jervois darüber einen Vortrag zu halten, also sagte ich ohne größere Umschweife: »Unsterblichkeit … da müssen Sie ein Stockwerk tiefer, da gibt es so eine Tür, an der steht ›Vampire, Werwölfe und andere Dinge, die sich verdammt noch mal weigern zu sterben‹.«
»Bei allem gebotenen Respekt, Professor …«
»Bei allem gebotenen Respekt, Miss Jervois, es gibt keine wissenschaftliche Grundlage dafür, dass eine Substanz existieren könnte, die ein einfaches Metall in Gold verwandelt oder andere unterhaltsame Wunder vollbringt. Ergo, wie viele mythische Objekte existiert es nicht. Und was die Geschichten über derlei Elixiere in anderen Kulturen angeht – es ist eine anerkannte Tatsache, dass Nationen miteinander Handel treiben und kulturellen Austausch, und daher auch dieselben Erzählungen und Überlieferungen teilen, umso mehr, wenn Eroberungen und Annexionen zu sozialer Integration führen. Dabei den Glauben und ebenso die Überlieferungen des Aberglaubens aneinander anzupassen, ist ein wichtiger Faktor, um eine stabile Gesellschaft zu bilden, eine Methode, um die erobernde und die unterlegene Kultur miteinander zu verschmelzen. Ich vermute, diese spezielle Vorlesung haben Sie verpasst, wo auch immer Sie …«
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