Kurz darauf – die Verkaufszahlen der CDs waren inzwischen wieder in astronomische Höhen emporgeschnellt – kündigten die Screaming Androids eine Nick-Corvin-Gedächtnis-Tournee an – natürlich mit einem neuen Sänger, aber in ansonsten unveränderter Besetzung und mit den alten Stücken. Auf dem Werbeplakat waren allerdings weder die Band noch der neue Sänger abgebildet, sondern nur Nick Corvin mit seinem nun schon legendären Hut. Der Ticketverkauf erfolgte ausschließlich über das Internet, und er wäre wahrscheinlich schon nach zehn Sekunden beendet gewesen, wenn der überwältigende Ansturm nicht alle Netze zum Erliegen gebracht hätte. So dauerte es etwas länger, bis die weltweite Tournee restlos ausverkauft war.
Vor dem ersten Konzert machte der Manager ein Experiment. Er ließ die Musiker allein auf die Bühne gehen und mit dem ersten Song beginnen, ohne dass der Hut dabei war. Sofort breitete sich Unruhe im Publikum aus, einzelne Zuhörer drängten zu den Ausgängen, und hier und da waren laute Pfiffe zu vernehmen. Der Manager zuckte mit den Achseln – immerhin hatte er es ja versucht! –, nahm den Hut in die Hand und trug ihn hinaus auf die Bühne, wo er ihn zu den Klängen der Band auf einen bereitgestellten Mikroständer hängte. Dann sprach er mit gefalteten Händen ein Gebet für Nick Corvin, auch wenn er wusste, wie sinnlos das war. Im selben Augenblick begann die Menge auszurasten, der Raum vor der Bühne verwandelte sich in einen tobenden Moshpit, und von da an verlief das Konzert ohne weitere Probleme und wurde zu einem rasenden Erfolg, genau wie später alle anderen Konzerte der Tournee.
Die beiden Waffenschmiede
Eine Geschichte, die in zwei Teile zerfällt
[1]
In einem fernen Land – denn in einem Land, welches uns näher liegt, hätte sich eine solche Geschichte wie die, die wir nun erzählen wollen, gar nicht ereignen können, sind die Herrscher dort doch aufgeklärt und weniger leicht mit lebenserhöhendem Lohn oder lebensverdammender Strafe bei der Hand – in einem fernen Land also rief eines Tages der herrschende Sultan die beiden berühmtesten Waffenschmiede seines Reiches, zwischen denen seit jeher eine tief eingewurzelte Rivalität herrschte, zu sich.
»Schmiedet mir«, so sprach er, »den Krummsäbel mit der feinsten Klinge und der schärfsten Schneide, der je von Menschenhand geschmiedet worden ist! Sechs Monde gebe ich euch dafür Zeit, dann werdet ihr wieder vor mich treten, um mir euer Werk zu präsentieren. Demjenigen aber, der die perfekte Klinge schmiedet, will ich sein Gewicht in Diamanten und anderen Edelsteinen aufwiegen!«
»Wir hören und gehorchen!«, sprachen die beiden Waffenschmiede wie aus einem Mund, und sogleich zogen sie sich in ihre Werkstätten zurück, ein jeder in die seine, wo sie drei Monde lang, ängstlich auf Geheimhaltung bedacht, die kostbarsten Metalle legierten, sie anschließend glühten, hämmerten, fältelten und erneut glühten, wiederum hämmerten und auf ein neues fältelten, bis sie diesen Prozess (vom Abkühlen im Eiswasser sei hier gar nicht die Rede) so oft wiederholt hatten, dass eine vollständige Beschreibung nicht nur den Umfang dieser Geschichte, sondern auch die Geduld eines jeden, ja selbst des geneigtesten Lesers aufs Äußerste strapazieren würde, weshalb wir an dieser Stelle tunlichst auch darauf verzichten werden.
Drei weitere Monde brachten sie sodann mit dem immer feineren Schleifen der Schneide zu, spalteten zunächst nur Tier- und Menschenhaare, um die Feinheit des Schliffs je wieder aufs Neue zu erproben, dann Fäden aus Spinnenseide und endlich sogar Staubkörner, die in der Luft ihrer rußigen Schmieden ja zur Genüge herumflogen; und dann gingen sie, immer noch unzufrieden, wieder an ihre Schleifbänke zurück und schliffen die Schneiden mit höchster Kunstfertigkeit noch feiner … und feiner … und immer noch feiner …
Wie fein, davon werden wir an angemessener Stelle dieser Geschichte Kunde erhalten, und zwar gemeinsam mit dem Sultan und seinem Hofstaat, denn schließlich würde es sich für uns als Erzähler und als Leser wohl kaum schicken, das Ergebnis dieses Wettstreits noch vor dessen Auftraggeber zu erfahren.
Nebenbei aß jeder der beide Waffenschmiede in dieser Zeit so üppig, wie er es eben vermochte, ohne seinen Magen zu ruinieren, auf dass es sich auch wirklich lohne, wenn er am Ende der Frist von sechs Monden sein Gewicht in Edelsteinen aufgewogen bekommen würde – denn dass er es wäre, dem diese Belohnung zuteilwerden würde, davon war ein jeder der beiden selbstverständlich mit äußerster Selbstgewissheit überzeugt.
Und so kam es, dass sie beide sehr schwer und kurzatmig waren, als sie nach Ablauf der sechs Monde wieder vor den Sultan zitiert wurden, um ihm und dem versammelten Hofstaat ihre Meisterwerke vorzuführen. Die in der langen Abgeschiedenheit geschmiedeten Krummsäbel aber trugen sie in kostbaren, mit Silber- und Goldornamenten verzierten Scheiden an ihren nun um einiges lockerer geschnürten Gürteln.
»So tritt denn vor«, sprach der Sultan zum ersten der beiden Waffenschmiede, »und zeige mir, was deine Kunst zuwege gebracht hat!«
Etwas kurzatmig ob seines Körpergewichts und mit demütig niedergeschlagenem Blick folgte der erste Waffenschmied diesem Befehl. In geziemlichem Abstand blieb er sodann vor dem Pfauenthron des Sultans stehen und zog sehr langsam, damit in den schwerbewaffneten Leibwächtern zur Rechten und zur Linken des Herrschers nicht der Verdacht aufkeime, er plane unter der Hand womöglich einen mörderischen Anschlag auf den Sultan, den so kunstreich geschmiedeten Krummsäbel aus der Scheide. Das Geräusch, das die Klinge dabei machte, war so fein wie der Klang der Sphären hoch über den Himmeln dieser Erde, und als das Licht der tausend Kandelaber im Thronsaal sich auf ihr in tausendfältigem Glitzern brach, als sei sie gar nicht aus legierten Metallen, sondern womöglich gar aus den Diamanten geschmiedet, mit denen ihr Schöpfer vor dem Ende dieser Audienz aufgewogen zu werden hoffte, ja, wessen er sich im Stillen sogar sicher war – als dieses Licht, so sage ich, sich auf dieser überirdisch vollkommenen Klinge brach, da ließen die umstehenden Höflinge, vom Großwesir und den anderen verbeamteten Speichelleckern bis hinunter zu den Leibwächtern, den Luftzufächlern und dem nubischen Fußbänkchen (letzteres aber nur ganz leise, so leise nämlich, dass es für die erlauchten Ohren des Sultans unhörbar blieb und er nicht einmal ein winziges Zittern unter seinen Fußsohlen und den goldbestickten Pantoffeln verspürte) wie aus einer Kehle ein ungläubig bewunderndes »Ooohhh!« ertönen, denn einen so herrlich gearbeiteten Krummsäbel hatte noch keiner von ihnen je gesehen.
Selbst der Sultan konnte sich ein anerkennendes Nicken nicht verkneifen. »Das ist ein wirklich köstliches Stück Waffenschmiedekunst«, sprach er nachdenklich. »Aber nun zeige Uns, ob diese Waffe nur zum Anschauen taugt … oder noch zu etwas anderem.«
»Zu diesem Zweck«, erwiderte der erste Waffenschmied demütig, »möchte ich Euch, o Sultan, bitten, einen Sklaven vortreten zu lassen, und zwar einen, den Ihr, wenn’s möglich ist, recht leicht entbehren könnt.«
Wortlos wies der Sultan auf einen der diensteifrig in einigem Abstand vom Pfauenthron eben zu diesem Zwecke aufgereihten Sklaven. Jener trat vor, sichtlich bemüht, nicht am ganzen Leibe, sondern nur ein bisschen an dem oder jenem Körperteil zu zittern; das Klappern seiner Zähne hingegen konnte er nicht ganz unterdrücken, was aber nicht weiter von Bedeutung war, da er, Zähneklappern oder nicht, ohnehin nicht mehr gewärtigen musste, für unziemliches Benehmen vom Sklavenmeister einer schmerzhaften Strafe zugeführt zu werden.
Als der Sklave nun vor ihm stehen geblieben war, vollführte der erste Waffenschmied eine ganz nachlässige Handbewegung. Gedankenschnell flirrte die Klinge des Krummsäbels durch die Luft.
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