Weil das Schiff am nächsten Morgen nicht zur Abfahrt bereit ist, bekommt Jan ein schöneres Zimmer im 7. Stockwerk des Atlantic Umzug ins Atlantic HotelHotels. Mit dem Umzug in ein höher gelegenes Zimmer erreicht auch die emotionale Ebene der Beziehung ein höheres Niveau. Hier scheint Jan seine innere Kälte langsam abzubauen. Er zeigt Jennifer nun die spielerische Seite seines Charakters, wenn er zum Beispiel den Vorschlag macht, mitten in der Nacht einen Bummel zur Brooklyn-Brücke und in die Chinesenstadt zu unternehmen. Doch diese Entwicklung hat immer noch klare Grenzen: Jan weist z. B. darauf hin, dass er nach seiner Rückkehr nach Europa nicht schreiben werde, denn »Meine Gefühle habe ich ausgezogen und zu den Kleidern gelegt« (S. 48). Gleich nach diesem Gespräch kommt ein Telefonanruf mit der Nachricht, dass sein Platz auf dem Schiff bestätigt wurde. Diese Nachricht bildet einen Wendepunkt in Jans Beziehung zu Jennifer, denn er muss sich jetzt entscheiden, ob er geht oder nicht. Beide packen ihre Sachen und verlassen das Zimmer. Nachdem Jan am Empfang gezahlt hat, merkt er, dass Jennifer nicht mehr neben ihm steht. Dass er ihr nachläuft, zeigt schon, wie er sich entschieden hat. Er findet sie nach kurzer Zeit tatsächlich wieder, verspürt hierüber aber keine Erleichterung, sondern nur Erniedrigung Jennifers auf der StraßeZorn: »Ich sollte dich schlagen vor allen Leuten, schlagen werde ich dich …« (S. 53). Er teilt ihr mit, dass er sie am Hotelempfang nicht abgemeldet, sondern nach einem höher gelegenen Zimmer gefragt hat. In der Tat war ein solches Zimmer noch frei, und zwar im 30. Stockwerk.
In dieser Höhe schreitet der Änderungsvorgang in Jan fort: Er äußert Jennifer gegenüber den Wunsch, sein Leben umzugestalten und ihr in seinen Gefühlen näherzukommen. Erst im 57. Stockwerk erkennt Jan eindeutig, »daß der Kältesee in meinem Herzen zum Abfließen kommt« (S. 75). Das Liebespaar hat nun, so der gute Gott, den »anderen Zustand«, den »Am Rande des GrenzübertrittsGrenzübertritt« (S. 79) erreicht. Im Grunde genommen handelt es sich hier um einen Sinneswandel Jans, denn Jennifer zeigte sich schon vorher bereit, ihn zu lieben. Und als er sich zu seinem neuen Herzenszustand bekennt, reagiert sie einfach mit den Worten: »Endlich. Endlich« (S. 75). Er analysiert diese Veränderungen, wobei er bei seinen Betrachtungen über die Beziehung selbst hinausgeht, indem er sie in Verbindung mit existenziellen Fragen der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens und Handelns bringt: »Wer hat geschrien, daß Gott tot ist? Oder gestürzt in die Donnerhallen! Oder daß es ihn nicht gibt. Ist da nicht zu wenig verklagt in der wenigen Zeit? Reißen wir unsere Herzen aus für ein Nichts und um mit dieser jämmerlichen Klage die Leere zu füllen, und stirbst du dafür!« (S. 77 f.). Er will also in seiner Liebe zu Jennifer etwas, »was noch niemals war: kein Ende« (S. 78).
Trotz solcher Beteuerungen der Liebe verfällt Jan am Ende der Macht der alten Gewohnheiten. Die Tatsache, dass er weggeht, um seine Schiffskarte zurückzugeben, soll die Echtheit seiner Gefühle für Jennifer signalisieren. Auf dem Weg zum Schifffahrtsbüro zögert er jedoch und nimmt sich eine Jan nimmt sich eine BedenkzeitBedenkzeit in einer Bar. In einem abschließenden Bericht über den Vorfall notiert der Richter, dass Jan während dieses Abstechers in die Bar zur Welt der alltäglichen Konventionen zurückgekehrt ist: »[…] eine halbe Stunde lang ruhig zu sitzen und zu denken, wie er früher gedacht hatte, und zu reden, wie er früher geredet hatte an Orten, die ihn nichts angingen« (S. 93). Der gute Gott stimmt dieser Auslegung des Richters zu mit den Worten: »Er war gerettet. Die Die Erde hat Jan wiederErde hatte ihn wieder« (S. 93).
Frankie und Billy:In den sprechenden Eichhörnchen Frankie und Billy hat der gute Gott zwei teuflische Handlanger, die sich ihrer Rolle bei einer Reihe von Bombenattentaten an Liebespaaren genüsslich erfreuen. Sie Tierische Nachrichtenmelderübermitteln kryptische Warnungen vom guten Gott an Jan und Jennifer, die wiederholt den Satz enthalten: »Sag es niemand!« (S. 19) – ein Zitat aus dem Goethe-Gedicht Selige Sehnsucht , das das Motiv eines Flammentodes enthält –, und liefern ihm wiederum Informationen über die Liebenden. Wie der Richter erklärt, heißt es von den Nagetieren, sie seien »mit dem Mit dem Bösen im BundBösen im Bund« (S. 10).
Die tierischen Hauptleute stellen eine Kuriosität in diesem sonst relativ realistisch dargestellten Hörspiel dar und bieten verschiedene direkte oder symbolische Bezüge zu Vorbildern in der Literatur, Popkultur oder der Mythologie. Die Namen der mörderischen Tiere könnten zum Beispiel eine Anspielung auf die damals populäre amerikanische Ballade Frankie and Johnny sein, in der eine Liebesbeziehung mit einer Mordtat endet.2
Die »blutrünstigen« (S. 42), aber auch makaber-humoristischen Tiere rücken die Handlung in den Bereich der Tierfabel. Indem sie die Figur des Rumpelstilzchens zitieren – »Ach wie gut, daß niemand weiß« (S. 72) –, wird das Phantastische und Märchenhafte Figuren und bizarrer HumorMärchenhafte an diesen Figuren hervorgehoben. Ihre groteske Komik steht allerdings im grellen Kontrast zum ernsthaften Ton des restlichen Hörspiels. In der Ursendung wurden zum Beispiel die verkicherten Stimmen der beiden Tiere durch technische Beschleunigung verändert, und ihr ständiges Lachen und kindisch-witziger Dialog sorgt für eine humorvolle Abweichung vom dunklen Vorhaben der beiden.3 Nach der Explosion, die Jennifer tötet, kann Billy nur an sein Aussehen denken: Er jammert über sein versengtes Fell. Ein weiteres Beispiel stellt die Szene im Zentralpark von New York dar, wo die Eichhörnchen ein schnell zusammengebasteltes Marionettentheater über tragisch endende Liebesgeschichten wie Romeo und Julia , Tristan und Isolde usw. veranstalten und diese ironisch die »schönsten Liebesgeschichten der Welt« (S. 42) nennen. Während die beiden Eichhörnchen vor der Vorstellung um Publikum werben, schreit Frankie ständig »Zur Hölle mit ihnen« oder »Tot. Zerrissen. Zu Ende!« (S. 43). Dieses Theater soll natürlich als Schreckensbeispiel und zugleich als Warnung dafür dienen, wie alle Liebenden, auch Jan und Jennifer, die der Vorstellung beiwohnen, eventuell enden könnten.
Als Handlanger des guten Gottes teilen die Eichhörnchen sein pessimistisches Weltbild und seinen Zynismus den Liebenden gegenüber. Diese phantastischen Figuren, die beim ersten Blick eher schlecht als recht in das Hörspiel hineinpassen, weisen Ähnlichkeiten zur nordischen Nordische Mythologie als VorbildMythologie auf. Als Überbringer der Nachrichten vom guten Gott an die Liebenden erinnern Frankie und Billy an den tierischen ›Zwietrachtspender‹ der germanischen Mythologie: das Eichhörnchen Ratatosk. Ratatosk läuft auf dem Weltbaum Yggdrasil herauf und herunter, um einen Adler in seinem Horst auf der Baumspitze und eine Schlange unter den Wurzeln des Baums Nachrichten zu liefern und gegeneinander aufzuhetzen. Er ist »Bote zwischen feindlichen Mächten«,4 genau so wie die Eichhörnchen im Hörspiel Boten sind zwischen dem »Gesetz der Welt« (S. 69) und der Welt der Liebenden. Es mag daher kein Zufall sein, dass der gute Gott die Schauplätze der Liebesutopie in den hohen Stockwerken als »diese Horste« (S. 57) bezeichnet. In ähnlicher Weise wie Ratatosk ergreifen Frankie und Billy auch manchmal selbst die Initiative, um das tödliche Ende der Liebenden schneller herbeizuführen. Das geschieht zum Beispiel, als sie ein Zimmer im 57. Stockwerk des Hotels für Jan und Jennifer freimachen, indem sie den Bewohner durch einen Überfall verschrecken (S. 71) und dem Portier ein Trinkgeld zustecken (S. 72).
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