Erste Begegnung und erste Station der Liebenden: das Stundenhotel
Auf dem Grand Central Bahnhof (S. 15–20):Im Zentralbahnhof New Yorks lernt Die erste Begegnung der LiebendenJennifer den Europäer Jan kennen, der schon bald per Schiff nach Europa zurückreisen soll. Er ist ihr nicht ganz unbekannt, da sie ihn einige Tage zuvor auf dem Tanzfest ihrer Universität in Boston gesehen und auch im Zug von Boston nach New York ein paar Reihen hinter ihm gesessen hatte. Jennifer spricht ihn zuerst an, doch er reagiert eher desinteressiert. Er hat jedoch Hunger und will essen gehen; Jennifer kauft an einem Automaten im Bahnhof Nüsse für ihn. Jan erkennt die Nüsse als Eichhörnchenfutter und erwähnt, dass eines dieser Nagetiere ihm einen Brief zugesteckt hat, in dem steht, dass er den Abend mit Jennifer »auf der himmlischen Erde« (S. 19) verbringen wird. Jennifer willigt in ein kurzes Abenteuer mit ihrem neuen Bekannten ein.
In einer Nachtbar, dann auf der Straße, später in einem Stundenhotel (S. 20–31):Die beiden gehen in eine Bar, wo ihnen eine Die Zigeunerin und Mack der BettlerZigeunerin die Zukunft aus der Hand zu lesen versucht. Bei Jennifer misslingt dieser Versuch, weil die zu lesenden Linien der Handfläche durch die Spuren von Jans Fingernägeln entstellt wurden. Jan hingegen prophezeit die Seherin ein langes Leben, ohne dass sie sich seine Hand anschaut. Kurz darauf macht sich das Paar auf die Suche nach einem Hotel. Auf dem Weg begegnen sie einem Bettler namens Mack, der das Los der Bettler in New York beschreibt. Die Armen »[h]aben keine Farbe. Neiden den Weißen und Schwarzen die Haut« (S. 24). Kurz darauf mieten sie ein Zimmer in einem schäbigen Stundenhotel. Jennifer zögert anfangs, mit ihm ins Bett zu gehen, weil sie sich in dem schmutzigen Zimmer unwohl fühlt. Jan spielt nach wie vor den autoritären Mann in der Beziehung und gibt Befehle – »Zieh dich aus!« (S. 26). Er spricht mit Jennifer wie mit einem Kind: »Musik? Meine liebe Jennifer, jetzt wirst du keine hören […] denn ich werde es nicht dulden« (S. 28). Jennifer reagiert machtlos (»Warum tust du das? Warum, warum, warum?«, S. 28), lässt sich alles gefallen, einschließlich Jans emotionaler Kälte – er gesteht, nur daran zu denken, dass er am nächsten Morgen aufs Schiffsbüro muss. Erst am Mittag des folgenden Tages wachen die beiden auf. Zu diesem Zeitpunkt deutet alles im Dialog zwischen den beiden auf baldige Trennung hin. Jan will zwar weg, schlägt jedoch vor, dass sie frühstücken gehen und »in Ruhe darüber sprechen« (S. 29). Zum Schluss hört man wieder die anonymen Stimmen mit ihren wirren Sprüchen, unter anderem einem zur Besinnung auf den Charakter ihrer Beziehung: »WARUM NICHT GENUSS OHNE REUE« (S. 30).
Die Stadt der Städte: Die Welt und seine Ordnung
Im Gerichtssaal (S. 31–35):Der gute Gott bemerkt mit Sorge in Jans schwindender Unsicherheit über die Beziehung zu Jennifer und in Jennifers »Hunger auf alles« einen sich anbahnenden Die ersten Anzeichen eines GrenzübertrittsGrenzübertritt über die Hemmschwelle gesellschaftlicher Erwartungen. Jan erfährt telefonisch, dass er immer noch keinen sicheren Platz auf dem Schiff hat, was ihm ermöglicht, bei Jennifer zu bleiben. Die zunehmenden Liebesgefühle zwischen Jan und Jennifer vergleicht der gute Gott mit dem »wütende[n] Hymnus […] eines wiedererstandenen Ninive und New York als das neue BabylonBabylon« (S. 33) und benutzt eine Reihe von grotesken TodessymbolikTodesbildern – »Schädel der Gigantenhäuser«, »Hunderte von Leichen wurden in den Trauerhäusern manikürt, geschminkt und zur Schau gestellt« (S. 33) –, um den Charakter von New York zu veranschaulichen, dieser »Stadt der Städte, […] in der alles gedeihen konnte! Alles. Auch dies« (S. 34). Der Richter liest aus den Akten vor, was das Liebespaar als Nächstes getan hat: sie sind mit der Untergrundbahn nach Harlem gefahren, haben etwas Zeit in einer Bar, einer Kirche und einem Musikgeschäft verbracht. Die beiden beziehen schließlich ein Zimmer im 7. Stockwerk des Atlantic Hotels. Der gute Gott fügt hinzu, dass dem jeweiligen Stockwerk, in dem sich das Liebespaar befindet, eine gewisse Bedeutung zukommt.
Abb.1: Die heutige Skyline von New York. – © Image by A. H. from Pixabay
Zweite Station der Liebenden: Im 7. Stockwerk des Atlantic Hotels
Halle des Atlantic Hotels (S. 35–37):Jan und Jennifer erfahren, dass ein Zimmer im 7. Ein Zimmer im 7. StockwerkStockwerk des Atlantic Hotels frei geworden ist. Jennifer freut sich auf die Klimaanlage und »Sauberkeit jede Stunde« (S. 36), wobei ihr immer noch bewusst ist, dass das Liebesabenteuer wegen der bevorstehenden Abreise von Jan nur kurze Zeit dauern wird.
Im Zimmer des 7. Stockwerks (S. 36–37):Diese kurze Szene besteht aus einem knappen spielerischen Dialog zwischen Jan und Jennifer, in dem er sie über die Wortspiele um die ZeitBegriffe »morgen«, »heute« und »jetzt« (S. 36. f.) prüft.
Im Gerichtssaal (S. 37–39):Der Richter und der gute Gott sehen die Details des Falles unterschiedlich. Was der Richter die »Intimitäten« des Liebespaars nennt, versteht der gute Gott im Gegenteil als Die »Vereinbarung auf Distanz«eine »Vereinbarung auf Distanz« (S. 37). Er glaubt jedoch, in dieser noch bestehenden Distanz zwischen den beiden die ersten Bruchstellen zu erkennen: »Sie lachen in der Öffentlichkeit und doch unter deren Ausschluß […] wie Verschwörer, die andere nicht wissen lassen wollen, daß die Spielregeln bald außer Kraft gesetzt werden« (S. 38). Als Beispiel der Unberechenbarkeit der beiden führt der gute Gott ihren Spaziergang um Mitternacht zur Brooklyn-Brücke an.
Im Freien (S. 39–40):Jan und Jennifer fahren fort mit dem verliebten, spielerischen Dialog, in dem Jan verspricht, dass er allein sie noch lange lieben will, sogar wenn sie »noch alt und hinfällig« (S. 39) ist. Mitten im Gespräch bekommen sie einen vom Eichhörnchen gelieferten Brief, der sich wie eine geheimnisvolle Einladung liest, allerdings mit Hinweis auf zwei Reklamewände, die als Orientierungspunkte dienen sollen: »Sag es niemand. Heute nacht erwartet dich Jennifer auf dem Broadway unter dem Wasserfall aus Pepsi Cola neben dem großen Rauchring von Lucky Strike« (S. 40).
Im Gerichtssaal (S. 40–42):Die ersten Anzeichen echter Liebesgefühle alarmieren den guten Gott. Was ursprünglich nach Reisebekanntschaft und kurzer Affäre aussah, scheint sich nun in etwas anderes zu verwandeln: »Sie verstießen gegen jeden vernünftigen Brauch, den man davon machen kann« (S. 40). Nach einem nächtlichen Spaziergang durch die Stadt kehrt das Paar ins Hotel zurück, wobei sie »noch unter dem Gesetz« (S. 41) handeln. »Aber nicht lange mehr. Nicht mehr lange« (S. 41), wie der gute Gott hinzufügt. Mit diesen Worten meint der gute Gott, dass die Beziehung der Liebenden noch nach den üblichen gesellschaftlichen Erwartungen verläuft. Er deutet aber auch an, dass sie sich bald ändern wird. Der Richter hört sich den Kommentar des guten Gottes an, meint jedoch frustriert, er sehe in dessen bisherigen Erklärungen kein Kein klares Motiv für den MordMotiv für den Mord. Der gute Gott erzählt, wie er das Liebespaar vorgewarnt hat, etwa durch eine Theatervorstellung im Central Park.
Marionetten-Theater im Central Park
Im Theater (S. 42–45):Während einer Fahrt in der Pferdekutsche durch den Central Park in New York treffen die Verliebten auf ein von den Eichhörnchen schnell aufgestelltes Die Liebenden als MarionettenMarionettentheater, dessen Programm eine Aufführung von »fünf der schönsten Liebesgeschichten der Welt!« (S. 42) verspricht: Romeo und Julia , Tristan und Isolde , Abälard und Heloïse , Francesca und Paolo sowie Orpheus und Eurydike . Jan und Jennifer sollte dabei auffallen, dass alle fünf Geschichten mit dem Tod enden. Billy gibt für jede Geschichte eine kurze Einleitung, während Frankie aus lauter Blutrünstige Inszenierung tragischer LiebesgeschichtenBlutrünstigkeit ständig Details aus dem grausamen Schicksal der Paare ausruft: »Zur Hölle mit ihnen. […] Tot. Zerrissen. Zu Ende!« (S. 43). Die eigentliche Aufführung der fatalen Liebesgeschichten wird jedoch im Text des Hörspiels nicht näher beschrieben.
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