Christoph Ruf
KURVENREBELLEN
DIE ULTRAS
EINBLICKE IN EINEWIDERSPRÜCHLICHE SZENE
VERLAG DIE WERKSTATT
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Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt
Coverfoto: Daniel Marr
ISBN 978-3-7307-0070-9
„Wer in diesem Fußball oder dieser Gesellschaft keine Probleme verursacht, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen.“
Daniel, 28, Ultra
„Draußen sind die 20-Jährigen doofer als die 40-Jährigen. Bei den Ultras ist es andersherum, da merke ich immer, wie doof wir Alten geworden sind. Ich finde, das ist eine Subkultur, wie man sie sich wünscht.“
Harry, 38, Fan der Spielvereinigung Greuther Fürth
„Warum jubeln die denn die ganze Zeit so und schauen gar nicht zum Spiel? Dann wissen sie doch gar nicht, warum sie sich freuen.“
Nils, 6
Nicht alle Vorbehalte, die ich gegen Ultras hatte, sind in den vergangenen Monaten zerstreut worden. Dass ich sie habe, liegt wohl vor allem an meinem Geburtsdatum und mithin einer völlig anderen Fansozialisation, als sie die heute 20-Jährigen haben. Als wir 20 waren, fieberten wir den Fahrten nach England oder Schottland entgegen, bewunderten die Stimmung in Liverpool, bei Celtic Glasgow, West Ham United oder bei irgendeinem dieser vielen vielen britischen Grounds, in denen Tausende ihre Mannschaft von den Stehplätzen aus nach vorne brüllten. Italien interessierte uns auch, nur nicht in Sachen Fußball.
Ich erinnere mich noch gut an eine im Auswärtsblock erlebte Niederlage in Bochum, an deren Ende die VfL-Fans branchenüblich riefen: „Ihr könnt nach Hause fahr’n.“ Aus der spontanen Replik eines Stehplatznachbarn, der irgendetwas vor sich hinmurmelte, was uns Nebenleuten gefiel, entwickelte sich binnen Sekunden die in der gleichen Melodie vorgetragene Antwort des Gästeblocks: „Ihr müsst in Bochum bleib’n …“
Ob das nun ungeheuer geistreich war oder nicht – es war jedenfalls spontan, ungeplant, Resultat eines gruppendynamischen Prozesses, den keiner beeinflussen konnte.
Natürlich waren Fangruppen schon damals hierarchisiert, der große Dicke hatte schon damals mehr zu sagen als der Kleine mit dem Stimmbruch, doch das Geklatsche und Gesinge in der Kurve ergab sich hin und wieder auch, wenn die großen Dicken grad am Bierstand waren. „Capos“, wie die „Vorsänger“ heute heißen, gab es nur auf dem Bau. Und die Vorstellung, dass eine Fankurve einen „Chef“ brauche, hätten damals alle für reichlich absurd gehalten.
Die Zeiten haben sich geändert. „Ihr müsst in Bochum bleib’n“ wäre heute undenkbar. Denn unter dem Klangteppich, den die Ultras über die Kurve legen, erstickt jedes andere Leben. Und auch wenn genau das in vielen Szenen gerade reflektiert wird – der elitäre Anspruch entspricht per se dem Selbstverständnis der Ultra-Szene, die sich durchaus als Avantgarde der Fankurve begreift. Das würden viele Ultras sympathischerweise empört von sich weisen, stimmt aber trotzdem. Wie es auch stimmt, dass nur beinharte Realitätsverweigerer der Stimmung in der heutigen Premier League noch etwas abgewinnen können.
Nach der Katastrophe von Hillsborough wurden dort die Sitzplätze abgebaut, brav domestiziert sitzt seit ein paar Jahren die englische Mittelklasse im Stadion, während die Reste der Arbeiterklasse das Spiel in den Pubs anschaut. Und Wochenende für Wochenende kommt die High Society aus Wiesbaden, Tokio oder Katar nach Manchester und London geflogen, um sich ein paar neue Trikots zu kaufen und die Stars mal aus der Nähe zu sehen. Mit einem Wort: Der Fußball auf der Insel ist ziemlich tot. Und auch in Deutschland wäre er wohl sanft entschlummert, wenn sich nicht ein paar junge Leute zusammengerafft hätten und etwas Neues gewagt hätten: Dass die Ultras die Kurven eroberten, war folgerichtig, und es war gut. Die Zeit war reif für sie. Und dass mein Abschied vom aktiven Fandasein einige Jahre später vollzogen war, hatte nicht primär mit der sich wandelnden Stimmung in den Kurven zu tun.
Längst bin ich vom Fußballfan zum Sportjournalisten mutiert. Dass der Karlsruher SC wieder in der zweiten Bundesliga spielt, freut mich. Wäre er drittklassig geblieben, hätte mir das aber auch nicht das Wochenende versaut. Also bin ich kein Fan mehr. Würde ich das von mir behaupten, käme ich mir vor wie einer dieser Politiker, die einmal im (Wahl-)Jahr ins Stadion gehen und sich vorm Nahen des Fotografen schnell einen Fanschal umlegen lassen. Fans verzweifeln nach Niederlagen, sie sind zum Teil tagelang nicht ansprechbar. Und sie tun Dinge, die Nicht-Fußballfans mehr als absonderlich finden: Ein Dortmunder hat anno 2004 die Abiturprüfung verweigert und ein Jahr später nachgeholt. Ein Autoaufkleber „Abi 04“ hätte ihn an den vermaledeiten Lokalrivalen aus Gelsenkirchen erinnert.
Und dennoch: Meine Fansozialisation prägt mich noch heute. Man muss mir nicht erklären, warum es großer Mist ist, wenn das Auswärtsspiel des eigenen Vereins mal wieder auf einen Freitag oder Montag fällt, was an Klatschpappen nervt und an Stadionsprechern, die glauben, es interessiere sich irgendjemand für ihre gute Laune. Und mir muss niemand erklären, wie man sich als Fan fühlt, wenn man den Eindruck hat, ausgenutzt zu werden. Ultras sind zunächst einmal Fußballfans. Wer ihnen das abspricht („sogenannte Fans“) macht sie wütender als derjenige, der sie mit Schimpfwörtern überzieht.
Nach wie vor befremdet mich vieles an der Ultra-Szene, nicht nur die Klangteppiche. Ich finde es grotesk, wie sich eine Szene, die so gern rebellisch wäre, „der Gruppe“ unterordnet, und mich befremdet die Ultra-spezifische Mischung aus kindlichen Pfadfinder-Riten und einer Gewaltfaszination, die ich intelligenten Menschen nur schwer verzeihen kann.
Doch das, was ich an der Ultra-Szene schätze, überwiegt bei Weitem. Die Szene ist lebendig, sie diskutiert, sie er-lebt die Welt mit Händen, Hirn und Füßen, anstatt sie sich von zweifelhaften Autoritäten erklären zu lassen. Und sie hat sich die kritische Grundhaltung bewahrt, die den meisten Gleichaltrigen abgeht.
Doch erstaunlicherweise wird öffentlich weder die Kreativität der Ultras, ihr politisches Engagement noch ihr Engagement für den Verein öffentlich gewürdigt. Eine brennende Bengalfackel genügt zuweilen, um eine ganze Kaskade von Negativschlagzeilen über eine Szene auszuschütten, die bundesweit aus mehreren zehntausend Menschen bestehen dürfte.
Ich war positiv überrascht, dass die allermeisten Szenen, die mich interessiert haben, bereit waren, sich gegenüber dem Angehörigen einer Berufsgruppe zu öffnen, aus deren Reihen allein im Jahre 2012 Verzerrungen und Unwahrheiten transportiert wurden, die eigentlich ein Fall für den Presserat sind.
Wer Ultras kritisiert, findet natürlich jede Menge Ansatzpunkte. Doch unter Garantie findet er keinen, den die erstaunlich selbstkritische Szene nicht auch schon intern diskutiert hätte – nicht der einzige Punkt, an dem sich Ultras wohltuend von vielen ihrer Altersgenossen unterscheiden: von all den Konsumsklaven, die am Samstagmorgen vor „Primark“ oder „Starbuck’s“ herumstehen, stupide auf ihr Smartphone starren und sich offenbar nur dann unterhalten können, wenn ihre Telefone irgendeinen Gesprächsgegenstand hervorzubringen scheinen.
Man mag einiges an den Ultras auszusetzen haben, vieles davon wird auf den kommenden 200 Seiten genauso thematisiert wie all das, was die Ultra-Szene zur vielleicht faszinierendsten Jugendkultur dieser Tage macht. Eines steht aber fest: Die Ultras sind die Besten ihrer Generation …
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