Doch das Grundmuster bleibt: Als wir aus Afrika auswanderten, wurden wir nicht von Hunden begleitet. Wölfen begegneten wir erst in Europa und Asien. Irgendwann während der Eiszeit zähmten wir sie, als wir noch als Jäger und Sammler lebten und noch bevor einige von uns über Beringia nach Amerika zogen.
Die Frage ist nur, warum. Welchen Nutzen hatte der Hund für uns?
Im Laufe der Jahre habe ich annähernd ein Dutzend der führenden Hundeforscher der Welt interviewt – und dabei fast genauso viele verschiedene Erklärungen dafür erhalten, warum Hund und Mensch begannen, zusammenzuleben.
Viele Wissenschaftler sind der Ansicht, dass es gar nicht der Mensch war, der den Hund zähmte, jedenfalls nicht zu Anfang. Der Hund zähmte stattdessen uns.
Wölfe wurden von den Eiszeitmenschen wegen ihres Pelzes gejagt und müssen sie als Bedrohung wahrgenommen haben. Sie profitierten aber auch von den Menschen, da die große Mengen an Futter zurückließen: Reste von Jagdbeute, die sie nicht selbst verwerten konnten. Diese Reste deponierten sie am Rande ihrer Lager, weil sie schlecht rochen und Raubtiere anzogen.
Nachts, wenn die Menschen sich um die Feuer versammelten oder schliefen, schlichen die Wölfe zu den Essensresten. Ab und zu, vor allem in der Dämmerung, konnte es geschehen, dass Mensch und Wolf einander begegneten. Das endete häufig mit dem Tod des Wolfs. Doch manchmal war der Wolf ganz einfach zu niedlich. Vielleicht war es ein kleiner Welpe, ein übermütiges und zutrauliches Jungtier, das kein Mensch, der ein Herz hatte, töten konnte. Dann durfte das Wolfsjunge mit am Feuer sitzen. Und mit den Kindern spielen. Jeder, der schon einmal ein kleines Kind und einen Welpen miteinander hat spielen sehen, versteht, was ich meine.
Die Jahrtausende vergingen und diejenigen Wölfe, denen es gelang, ihre Aggressivität zu beherrschen und die Zuneigung der Menschen zu gewinnen, hatten eine Nische gefunden, die ihnen das Überlebten ermöglichte. In der Biologie heißt das Selektion: Eigenschaften, die der Mensch schätzte, hatten größere Chancen, an die nächste Generation weitergegeben zu werden.
Mehrere Forscher haben untersucht, in welchen Genen sich Hunde und Wölfe voneinander unterscheiden. Die meisten dieser Unterschiede betreffen das Gehirn. Der amerikanische Hundeforscher Robert Wayle hat zum Beispiel eine besondere Genveränderung entdeckt, die bei allen Hunden aufzutreten scheint, jedoch nicht bei Wölfen. Eine ähnliche Veränderung kommt bei Menschen vor, die an dem angeborenen William-Beuren-Syndrom leiden und darum leicht geistig behindert sind. Am charakteristischsten für Menschen mit William-Beuren-Syndrom ist jedoch ihr freundliches, extrovertiertes und zutrauliches Wesen.
Hunde und Wölfe unterscheiden sich vor allem darin, dass Hunde im Allgemeinen kindlicher wirken, sowohl äußerlich als auch in ihrem Wesen. Sie ähneln Wolfsjungen mehr als erwachsenen Wölfen: Sie sind eher verspielt und ausgelassen als ernst und wild. Oft besitzen Hunde außerdem eine stumpfere Nase und kürzere Beine als erwachsene Wölfe, genau wie Wolfsjunge.
Sie haben darüber hinaus die außergewöhnliche Fähigkeit, die Gedanken der Menschen zu lesen. Viele Experimente haben gezeigt, dass Hunde verstehen können, was wir von ihnen möchten. Sie können unseren Blicken folgen und dahin schauen, wohin wir zeigen. Andere Tiere, wie Schimpansen, Wölfe und Katzen, sind in vieler Hinsicht genauso intelligent, doch in der Interpretation menschlichen Verhaltens sind sie Hunden hoffnungslos unterlegen.
In den bitterkalten Nächten der Eiszeit könnten Menschen ihre ersten Hunde als Wärmedecken benutzt haben. Der Archäologe Lars Larsson erzählt mir, dass die australischen Aborigines noch heute von „Einhundnächten“, „Zweihundenächten“ und „Dreihundenächten“ sprechen, deren kälteste die „Dreihundenacht“ ist.
Andere Wissenschaftler vermuten, dass der Mensch zuerst die Funktion der Wölfe als Wachhunde entdeckte. Sie lagen am Rande des Lagers und schlugen sich die Bäuche mit Fleischresten voll. Allmählich gingen sie dazu über, auch dort zu übernachten. Wölfe und Hunde haben einen viel leichteren Schlaf als Menschen. Wenn ein anderes, gefährlicheres Raubtier, zum Beispiel ein Löwe, sich näherte, heulten sie lauthals, worauf die Menschen erwachten und sich verteidigen konnten.
Den Menschen bei der Jagd zu helfen, gehörte sicherlich auch schon früh zu den Aufgaben der Hunde. Im Rudel zu jagen ist ein Teil des ererbten wölfischen Verhaltensrepertoires. Viel ist schon darüber geschrieben worden, dass Hunde die Jagd der Menschen effektiver gemacht haben, nicht zuletzt bei eiszeitlichen Jagden auf die ganz großen Tiere wie Mammuts und Wollnashörner. Einigen Theorien zufolge war das Großwild in Europa, Asien und Amerika in dem Moment dem Untergang geweiht, als Mensch und Hund begannen, bei der Jagd zusammenzuarbeiten. Doch herrscht diesbezüglich Uneinigkeit. Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Hunde und Menschen unschuldig sind und dass sowohl die Mammuts als auch die Nashörner ausstarben, weil das Klima sich erwärmte und die Pflanzenwelt sich veränderte.
Der Archäologe, der sich in letzter Zeit am intensivsten mit den fossilen Hunden in Bonn-Oberkassel beschäftigt hat, heißt Martin Street. Er spricht sich dafür aus, dass die in Schweden sogenannte „Jagd mit stellendem Hund“ eine der ersten wichtigen Aufgaben der Hunde war. Diese Form der Jagd wird auch heute noch vielerorts ausgeübt, nicht zuletzt in den schwedischen Wäldern. Der Hund läuft dabei auf der Suche nach dem Wild selbstständig durch den Wald, während der Jäger nach Möglichkeit in der Nähe bleibt. Hat der Hund das Wild aufgespürt, verbellt er es, sodass das Tier stehen bleibt und sich ganz auf den lästigen Hund konzentriert. Der Hund hat das Wild „gestellt“. Währenddessen kann der Jäger sich anschleichen und das Tier mit seiner Waffe töten.
Diese Jagdtechnik erlangte Bedeutung, als Wälder in der Tundra heranwuchsen und die Sicht behinderten. Vorher war es einfacher gewesen, sich auf einen erhöhten Punkt zu stellen und nach Beutetieren Ausschau zu halten.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass der erste sicher belegte Hund in Bonn-Oberkassel vor 14 500 Jahren lebte, also genau zu dem Zeitpunkt, als die eiszeitliche Tundra sich bewaldete. Meiner Meinung nach kann das kein reiner Zufall gewesen sein.
Falls wir bereits vorher Hunde gehalten haben sollten, schon während der kältesten Perioden der Eiszeit, dann vermutlich, um mit ihrer Hilfe Dinge zu transportieren. Hunde könnten als Saumtiere Verwendung gefunden haben, um Gepäck zu tragen, oder als Schlittenhunde oder Zughunde für Skiläufer. Sie könnten dazu beigetragen haben, dass wir uns über größere Distanzen fortbewegen und entsprechende Netzwerke unterhalten konnten. Zwar sind keine derart alten Tragegestelle, Schlitten oder Skier gefunden worden, doch wären diese ja aus Holz oder einem anderen organischen Material gefertigt gewesen, das wohl kaum einen Zeitraum von mehreren Zehntausend Jahren überdauert hätte.
Denkbar ist auch, dass es die erste Aufgabe des Hundes war, selbst als Nahrung für den Menschen zu dienen. Zahme Hunde wären dann in harten Zeiten eine sichere Fleischquelle gewesen. Der Forscher, der mir diese Möglichkeit nannte, heißt Peter Savolainen. Er gehört zu den Verfechtern der These, dass die Wiege der Hunde in China stand.
Savolainen arbeitet an der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm und war einer der Ersten, die einen groß angelegten Vergleich der mitochondrialen DNA von Hunden unternahmen. Schon 1997 berichtete ich in Dagens Nyheter über diese Studie. Er und seine Mitarbeiter reisten zu Hundeausstellungen und sammelten Haare mehrerer Hundert Hunde, die sie mit denen von Wölfen aus vielen Teilen der Welt verglichen. Die Idee dahinter war, dass Kriminaltechniker die DNA-Profile benutzen könnten, um Aussagen darüber zu treffen, welche Hunderassen ihre DNA an einem Tatort hinterlassen hatten. Doch schon bald ging den Wissenschaftlern auf, dass ihre Arbeit auch dazu beitragen könnte, den Ursprung des Hundes einzukreisen.
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