Dass dieser Krieg ausbrach, konnte man Anastasios’ Regime zwar nicht ankreiden, wohl aber, dass es sich nicht gut genug auf einen möglichen Krieg an der persischen Front vorbereitet hatte. Als Kavadh im Jahr 502 in den römischen Osten einmarschierte, traf seine Armee auf so gut wie keine Gegenwehr. Als Erstes fiel er in Armenien ein und ließ seine Truppen im Handumdrehen Theodosiopolis, die Hauptbasis der Römer, zerstören. Anschließend wandte er sich nach Süden und kam nach Martyropolis, das er verschonte, als der dortige Statthalter den Eindringlingen das Doppelte seiner jährlichen Steuereinnahmen aushändigte. Als Nächstes überfiel das Perserheer Amida. Es gab zwar keine römischen limitanei in der Stadt, aber die Einwohner verteidigten ihre Häuser bis aufs Blut – erst nach drei Monaten gelang es den Persern, die Stadt zu stürmen. Jeder zehnte der überlebenden männlichen Einwohner von Amida wurde hingerichtet, die übrigen wurden als Sklaven verkauft; sämtliche Reichtümer der Stadt wurden nach Persien gebracht. Zur gleichen Zeit plünderten Kavadhs arabische Verbündete den römischen Osten, von Edessa bis Constantia.
Anastasios war so aufgebracht, dass er zur Feldzugsaison 503 eine gewaltige Armee nach Mesopotamien schickte. Mit 40 000 Mann war sie weitaus größer als irgendein Truppenverband, der jemals unter Justinian ins Feld geführt werden sollte, und sie operierte in drei Divisionen, von denen eine von Hypatius, einem Neffen des Kaisers, befehligt wurde. Zwei begaben sich nach Amida, das inzwischen von einer 3000 Soldaten starken persischen Garnison besetzt war, die dritte zur persischen Regionalhauptstadt Nisibis. Alle drei Divisionen erlitten im Laufe des Jahres entscheidende Niederlagen. Bei diesem persischen Gegenschlag gelang es Kavadh aber nicht, weitere römische Gebiete zu erobern – Constantia und Edessa waren zu gut befestigt. Der Krieg in Mesopotamien steuerte schnell auf eine Pattsituation zu. Für die dramatischste Aktion des Jahres sorgten die Lachmiden, Persiens arabische Verbündete unter Al-Mundhir, als sie in die römischen Provinzen Arabien und Palästina einfielen. Laut Kyrillos von Skythopolis legten sie »alles in Schutt und Asche, versklavten Tausende Römer und begingen viele gesetzlose Taten«.
Das war alles, im Großen und Ganzen. Nach diesen leichten Gewinnen hatte Kavadh kein Interesse mehr daran, den Krieg fortzusetzen. Die Römer versuchten noch einmal, Amida zurückzuerobern, aber es gelang ihnen nicht. 504 wurde ein Waffenstillstand vereinbart, und man verhandelte über einen dauerhaften Frieden; nennenswerte Kampfhandlungen gab es keine mehr. Das Friedensabkommen war für Anastasios keine allzu große Demütigung, denn jährliche Zahlungen, wie sie die Perser vor dem Krieg gefordert hatten, wurden nicht vereinbart, und die Römer erhielten die Kontrolle über Amida zurück.
Der Kaiser ließ nun die römischen Verteidigungsanlagen in Mesopotamien ausbauen, nicht nur in Amida, sondern auch in Edessa und Batnae, und richtete an der Grenze bei Dara einen ganz neuen römischen Stützpunkt für die Region ein. Im Gegenzug verzichtete man auf Vergeltungsmaßnahmen für die militärischen Niederlagen von 502/503. Es war Anastasios gelungen, Amida allein durch Verhandlungen zurückzugewinnen – und indem er seinem persischen Rivalen einen bestimmten Festbetrag zahlte. Nichts von alldem war besonders verhängnisvoll, doch weder der Kaiser noch sein Lieblingsneffe (dessen Feldzug zur Rückeroberung Amidas ein Fehlschlag gewesen war) konnten aus den Vorgängen ein derartiges politisches Kapital schlagen, dass es ihnen ermöglicht hätte, die Balance zwischen den verschiedenen Fraktionen bei Hofe in Konstantinopel entscheidend zu ihren Gunsten zu beeinflussen. 13
Das Gleiche gilt für das zweite große Thema von Anastasios’ Herrschaft: die Spaltung innerhalb der oströmischen Kirche. Wie wichtig dieser Komplex war, klang bereits zu Beginn, bei der Szene im Hippodrom, kurz an, als die Menge – wahrscheinlich nach vorheriger Absprache – verlangte, der neue Kaiser müsse »orthodox« sein. Die gegenwärtige Spaltung war eine Reaktion auf die Definition des christlichen Glaubens beim Konzil von Chalkedon im Jahr 451, dem vierten großen ökumenischen Konzil der römischen Spätantike. Das grundlegende Thema war die anhaltende Debatte darüber, in welcher Form das göttliche und das menschliche Element in der Person Christi vereint seien – was wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Frage hatte, auf welche Weise Christus die Menschheit gerettet hat. War Christus als Gott am Kreuz gestorben? War dies das Wunder, mit dem er den Tod besiegt hatte? Aber konnte ein unsterblicher Gott überhaupt sterben?
In der Generation vor Chalkedon war Nestorius, der Patriarch von Konstantinopel (428–431), von Leuten abgesetzt worden, die anderer Meinung gewesen waren als er und die von seinem Erzfeind Kyrillos, dem Patriarchen von Alexandria, aufgestachelt worden waren: Nestorius hatte den Standpunkt vertreten, der unsterbliche Gott habe nicht leiden können – und daher sei lediglich der menschliche Teil Christi am Kreuz gestorben. Als Reaktion darauf hatte Kyrillos behauptet, das sei Unfug und es könne nur ein unteilbares »fleischgewordenes Wesen von Gott dem Wort« geben; das göttliche und das menschliche Wesen Christi seien nicht voneinander zu trennen. Die meisten Christen waren der Ansicht, dass Nestorius nicht recht haben konnte, aber für manche ließ Kyrillos’ Gerede von dem einen Wesen Christi, insbesondere die Art und Weise, wie es von einigen seiner radikaleren Anhänger interpretiert wurde, zu wenig Platz für die Menschlichkeit Christi.
In Chalkedon sollte dieser Streit beigelegt werden. Auf dem Konzil wurde zum einen bekräftigt, dass Christus nach seiner Menschwerdung mit »zwei Wesen« fortbestand, zum anderen wurde Nestorius’ Lehrmeinung noch einmal offiziell verdammt. Die gewählte Formulierung ließ sich mit den Ansichten des Kyrillos in Einklang bringen, denn in einem Dokument, einer sogenannten Kompromissformel (433), hatte der Patriarch auf Druck seitens des Kaisers gegenüber Johannes, dem Patriarchen von Antiochia, erklärt, es sei nicht unbedingt illegitim, von den »zwei Wesen Christi« zu sprechen, man dürfe nur nicht behaupten, sein menschliches Element habe am Kreuz gelitten und sei dort gestorben. Der aktuelle Papst steuerte ebenfalls eine Abhandlung zur Diskussion in Chalkedon bei, den Tomus ad Flavianum; er hielt darin fest, wie die westliche Kirche die Angelegenheit sah: Bei Christus bestehe eine »Einheit der Person in jedem der beiden Wesen«. 14
Wie zu erwarten, stimmten alle versammelten Bischöfe am Bosporus unter den wachsamen Augen von Kaiser Markian, der das Konzil einberufen hatte, und seinen Beamten, die es leiteten, den Beschlüssen von Chalkedon zu. Doch kaum hatten sie dem Kaiser den Rücken zugewandt, ging der Streit von Neuem los. Für viele östliche Bischöfe klangen die »zwei Wesen« einfach zu sehr nach Nestorius, und sie widersetzten sich dem, was sie als Prüfstein der kyrillischen Orthodoxie verstanden – Kompromissformel hin oder her.
Während die Debatte auch in der folgenden Generation weiterging, bestand die offizielle Strategie der römischen Kaiser einfach nur darin, das in Chalkedon Beschlossene durchzusetzen. Doch hinter den Kulissen wurde die Tragfähigkeit des Dogmas infrage gestellt, angesichts der innerkirchlichen Spaltung, die es provoziert hatte und auf die der Usurpator Basiliskos (474–476) wiederum reagierte, indem er die Beschlüsse des Konzils komplett ablehnte.
Der Graben, der durch die oströmische Kirche ging, wurde so tief, dass Zenon schließlich nicht mehr tatenlos zusehen konnte. 482 erließ der Kaiser, möglicherweise im Anschluss an eine in Palästina erprobte Friedensinitiative, ein Edikt mit dem Titel Henotikon (»Einigung«), das besagte, der christliche Glaube sei bereits im 4. Jahrhundert auf den ökumenischen Konzilen von Nicäa (325) und Konstantinopel (381) befriedigend definiert worden, und zwar ein für alle Mal. Das Dogma von Chalkedon wurde in dem Edikt nicht direkt verurteilt, sondern einfach ignoriert.
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