Allem Anschein nach hat Livius selbst sein Geschichtswerk in Einzelabschnitten konzipiert, die er nach Fertigstellung auch jeweils veröffentlichte. Die Bücher I-V entstanden wohl vor dem Jahr 25 v. Chr., während er die Bücher VI-X noch vor 20 v. Chr. publizierte. Über die Periochae wissen wir außerdem, dass die Bücher CXXI-CXLII erst nach dem Tod des Augustus im Jahr 14 n. Chr. vorgelegt wurden, obwohl sie bereits früher abgeschlossen gewesen sein sollen. Als inneres Gliederungsschema legte Livius seinem Werk Pentekaidekaden (das griechische Wort für 15), also aus jeweils 15 Büchern bestehende Abschnitte zugrunde, was auch eine entsprechende, durch 15 teilbare Gesamtzahl an Büchern erwarten ließe. Diese größeren Abschnitte unterteilte er wiederum in drei Partien mit jeweils fünf Büchern. Somit umfassen die Bücher I-V die Phase von der legendären Gründung bis zum sog. Galliersturm im Jahr 387 v. Chr. Die weitere römische Frühgeschichte bis zum Ausbruch des Ersten Punischen Krieges im Jahr 264 v. Chr. findet man mitsamt einer zweiten Vorrede in den Büchern VI-XV. Es folgen die Bücher XVI-XX mit dem Ersten (264-241 v. Chr.), die Bücher XXI-XXX mit dem Zweiten Punischen Krieg (218-201 v. Chr.) sowie die Bücher XXXI-XLV in jeweils drei Dekaden mit der Schilderung der römischen Kriege in den östlichen Nachfolgestaaten des Reiches Alexanders des Großen in den Jahren 201-167 v. Chr. Aufgrund des Textverlustes kann man für den folgenden Stoff nur partiell eine sachlich-inhaltliche Gliederung erkennen, etwa für die Bücher XCI-CV, die Gnaeus Pompeius Magnus gewidmet sind, oder die Bücher CXXI-CXXXV, die von dem Aufstieg Octavians zur kaiserlichen Macht berichten und mit der Schlacht von Aktion im Jahr 31 v. Chr. enden, nach der Octavian den Titel eines Augustus (griech . sebastós , dt.: der Erhabene) annahm. Was die eigenen politischen Vorlieben des Livius angeht, lassen sich aus seinem Werk jedoch nur noch Tendenzen ableiten, da für eine definitive Beurteilung dieser Frage wichtige Partien fehlen. Generell kann man jedoch sagen, dass er sich eher dem senatorischen Adel der römischen Republik verpflichtet sah als einer monarchischen Staatsverfassung, wie sie von Caius Iulius Caesar oder von Octavian durchgesetzt wurde. Und trotz seiner klar erkennbaren Zustimmung zu einzelnen politischen Entscheidungen Octavians, teilte er sehr wohl die gängige Ansicht, dass nach dem scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg und der enormen Ausdehnung der Römischen Reiches nunmehr auch mit einem Niedergang zu rechnen sei, was in der Institution des Prinzipats bereits angelegt sei. Diese Ausführungen lassen bereits erkennen, dass Livius ganz bewusst von der schlichten, an dem Jahresschema orientierten Darstellung seines Stoffs abweichen wollte. Vielmehr bildete er innerhalb seines Textes in sich abgeschlossene inhaltliche Blöcke. Dieses Konzept bot natürlich auch viel eher die Möglichkeit, solche Textstücke nach Fertigstellung zu veröffentlichen, ohne dass dafür das Gesamtwerk hätte vorgelegt werden müssen. Insgesamt passt er damit in seine Zeit, in der neue literarische Formen ausprobiert und entwickelt wurden, was nicht zuletzt mit dem steigenden Einfluss der griechisch-östlichen Kultur und Literatur zu tun hatte, eine Entwicklung, die besonders im 2. Jh. n. Chr. mit der sog. Zweiten Sophistik einen vorläufigen Höhepunkt erreichen sollte.
Was die formale Ausgestaltung des livianischen Geschichtswerks angeht, lassen sich in seiner Darstellung bereits dramatische oder auch romanhafte Elemente festmachen. Seine jeweiligen Protagonisten versucht er möglichst plastisch zu beschreiben, indem er deren (angenommene) Gefühlswelt sehr genau wiedergibt, um aufzuzeigen, wie sie zu einzelnen Entscheidungen gekommen sind. Dasselbe gilt für seine fiktiven, psychologisch sehr geschickt aufgebauten Reden, die er seinen Helden in den Mund legt, und die, ganz im Stile des Thukydides, zumeist auch den beabsichtigten Erfolg nicht verfehlen. Gerade für solche Stilelemente wird er bereits in der römischen Literaturkritik der Folgezeit sehr gelobt und als nachahmenswertes Vorbild betrachtet. Deswegen versteht es sich auch von selbst, dass das Werk des Livius sprachlich weitschweifiger ausfällt als etwa die Schriften eines Caesar oder eines Sallust, die sich nicht so sehr der literarisch gelungenen Ausführung ihrer Werke verpflichtet sahen als vielmehr einer präzisen, nüchternen Darstellung des Geschehenen – ohne damit jedoch deren literarischen Wert anzweifeln zu wollen. Mit den neuen politischen Verhältnissen hatte sich also auch der literarische Geschmack nicht wenig gewandelt. Allerdings führt gerade die facettenreiche Ausgestaltung bei Livius auch zu Zweifeln an seiner Glaubwürdigkeit, da stilistische Elemente erfahrungsgemäß auch bei Historikern immer dann greifbar werden, wenn ein Autor seine Vorlieben und damit auch seine eigenen Wunschvorstellungen schildert, wie ein historischer Vorgang hätte sein sollen.
An Quellen kann man für Ab urbe condita mit Sicherheit nur noch Polybios festmachen, besonders für die militärischen Auseinandersetzungen im östlichen Mittelmeergebiet, da dessen Geschichtswerk, wenn auch nur partiell, erhalten blieb. Allerdings übersetzte Livius den Polybios gelegentlich falsch ins Lateinische (etwa XIV 21, 6 gegenüber XXV 24,8; XXXI 15, 6; XXXIII 30, 11 u. a. m.). Andere Autoren, die er zitiert, sind etwa Quintus Claudius Quadrigarius oder Licinius Macer, doch kennen wir diese heute nur noch dem Namen nach. Umso wichtiger ist es jedoch, dass zumindest Teile des großen Geschichtswerks des Livius erhalten geblieben sind, das sich schon zu seiner Zeit, aber auch bereits zur Zeit seiner Wiederentdeckung und Rekonstruktion während der Renaissance einer sehr großen Beliebtheit erfreute.
Werk:
Titus Livius, Römische Geschichte. Lateinisch und Deutsch. Hrg. v. H. J. HILLEN und J. FEIX. 11 Bände. Düsseldorf und Zürich 1974-2000.
Weiterführende Literatur:
G. FORSYTHE, Livy in Early Rome. A Study in Historical Method and Judgement. Stuttgart 1999 (Historia. Einzelschriften, 132),
Chr. S. KRAUS, Latin Historians. Oxford 1997.
W. SCHULLER (Hrg.), Livius. Aspekte seines Werkes. Konstanz 1993 (Xenia, 31).
E. BURCK, Das Geschichtswerk des Titus Livius. Heidelberg 1992 (Bibliothek d. Klass. Altertumswiss., 2. Reihe, Neue Folge, Bd. 87).
Flavius Iosephus, eigentlich Iosip ben Mathithjahu, stammte aus Jerusalem, wo er um das Jahr 37 n. Chr. geboren wurde. Dort gehörte er einer höher gestellten Familie an, die eng mit dem israelitischen Tempelkult und Priestertum verbunden war. Von sich selbst behauptete er sogar, dass er mit der Familie der Hasmonäer verwandt gewesen wäre ( Vita, 2 ), die die judäischen Herrscher vom Ende des Makkabäerauftstands (165 v. Chr.) bis zur römischen Eroberung Jerusalems durch Pompeius im Jahr 63 v. Chr. stellten. Allerdings fehlen entsprechende Quellen, um dieses Selbstzeugnis kritisch zu überprüfen. Entgegen dem Rang und der Tradition seiner Familie schloss sich Iosephus der Gruppe der Pharisäer an, die in ihren politischen und religiösen Ansichten dem Volk recht nahe standen. Politisch aktiv wurde er erstmals im Rahmen einer Gesandtschaft nach Rom in den Jahren 64-66 n. Chr. Immerhin erreichte man damals die Freilassung jüdischer Priester, denen von Seiten der römischen Verwaltung politische Agitation gegen Rom zum Vorwurf gemacht worden war. Rom seinerseits war am Frieden in seinen Provinzen interessiert, sodass es sich durchaus zu Zugeständnissen bereit erklärte – was auf jüdischer Seite jedoch fälschlich als Schwäche interpretiert wurde. So kam es bald darauf zum Ausbruch eines jüdischen Aufstands gegen die römischen Statthalter Gessius Florus und Cestius Gallus, zumal der erstgenannte zur Zahlung der fälligen Abgaben Teile des jüdischen Tempelschatzes eingefordert hatte. Iosephus übernahm dabei ein größeres militärisches Kommando in der galiläischen Festung Iotapata. Wie er persönlich zu den sog. Zeloten , den jüdischen Glaubenseiferern stand, die entgegen den Empfehlungen der jerusalemitischen Priesteraristokratie zur offenen Rebellion gegen die Römer aufriefen, ist unklar. Gleichwohl gelang es dem damaligen Feldherrn Vespasian, Iotapata im Jahr 67 n. Chr. nach längerer Belagerung einzunehmen ( Bell. iud. , III, 340-391). Iosephus geriet dabei in römische Gefangenschaft, doch gelang es ihm, sich die Gunst Vespasians zu sichern, indem er ihm das Kaisertum voraussagte. Nach der Erhebung Vespasians zum princeps im Jahr 69 n. Chr. ließ dieser seinen Kriegsgefangenen frei, der sich danach in Rom niederließ. Anlässlich der Belagerung Jerusalems durch Titus begleitete ΙJosephus diesen im folgenden Jahr und kämpfte loyal auf römischer Seite. Zurückgekehrt in seine neue Heimat, erhielt er als Belohnung für seine treuen Dienste das römische Bürgerrecht, was ihm von Vespasians Familie her den Namen Flavius einbrachte. Außerdem bekam er eine feste jährliche Apanage sowie Landgüter, was ihm insgesamt ein sicheres Auskommen verschaffte. In seiner erhaltenen Biographie berichtet er von vier Ehen, deren letzte er mit einer kretischen Jüdin um das Jahr 75 n. Chr. schloss. Drei seiner Söhne dürften ihn überlebt haben. Aufgrund der Veröffentlichung seiner Schriften geht man für ihn von einem Todesdatum um das Jahr 100 n. Chr. aus.
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