Der Nuttall & Man’s Saloon lag etwa fünfzig Meter die Main Street hinab, wenn man vom Eisenwarenladen aus rechnete. Im Falle von Problemen war es angebracht, einen Maßstab zu verwenden, und die Stadt sah verdammt noch mal nach Ärger aus. Er lenkte den Schimmel zu einem freien Platz an der Anbindestange und sah sich ein letztes Mal um, bevor er sich aus dem Sattel schwang. Gegenüber dem Nuttall & Man’s stand das dritte und größte Steingebäude der Stadt. Unterhalb des ausladenden Balkons, auf dem sich Freier und Nutten in Unterwäsche tummelten, hing ein rotes Schild mit goldener Schrift, auf dem The Gem – Varieté Theater zu lesen stand. Dem Gedränge nach zu urteilen, ein Laden, der gut lief. Ihm fielen sehr wohl die Männer in den langen Mänteln auf, die mit Gewehren bewaffnet an den Ecken und auf dem Balkon des Gem standen und die Straße beobachteten. Mindestens zwei von ihnen hielten ihre Blicke auf ihn gerichtet.
Ächzend schwang er sich aus dem Sattel, band den Schimmel fest und tätschelte ihm die Flanke, ehe er sich die Satteltaschen überwarf, sein Gewehr aus dem Scabbard zog und es schulterte. Die Glücksritter hoch im Norden benutzten meist die alten Springfield Rifles aus dem Bürgerkrieg. Er hingegen setzte auf eine Winchester Modell 1873, denn der Unterhebelrepetierer verschoss moderne Metallhülsenpatronen, die unempfindlich gegen Feuchtigkeit waren und die man schnell nachladen konnte. Ein entscheidender Vorteil, wenn man es mit mehreren Männern gleichzeitig zu tun bekam. Er stieg mit klirrenden Sporen auf die Veranda und stampfte sich den Schlamm von den kniehohen Stiefeln. Während er sich den Mantel aufknöpfte, trat er zwischen den Männern hindurch, die auf der Veranda herumlungerten und rauchten.
Er strich sich das Wasser aus dem langen Vollbart, betrat den Saloon durch die offen stehende Tür und wurde von einem Brodem aus Alkohol, Rauch, altem Schweiß und ungewaschener, zu lang getragener Kleidung empfangen, durchsetzt von einer Note Erbrochenem und Urin. Der typische Geruch der aus dem Boden gestampften Goldgräberstädte. Unter dem gigantischen Kronleuchter war es zum Bersten voll. Die runden Tische, die Bar. Dazwischen leichte Mädchen in einem Alter, in dem sie besser die Schulbank hätten drücken sollen. Erfahrene Nutten in rüschenbesetzten Kleidern, hinten weit ausgestellt, um ihre fetten Ärsche zu überdecken, zwängten sich zwischen den Tischen hindurch. Ein Mann mit Bowler und gestreiftem Hemd klimperte auf dem Klavier, ein paar schlammverkrustete Goldgräber standen daneben und hoben ihre Biergläser, um zu singen. Der Klavierspieler trug diese Ärmelschoner aus gewachstem Segeltuch, um sein teures Hemd zu schützen. James lachte in sich hinein, denn er wusste, dass die hässlichen Dinger den Hemdstoff weit mehr verschmutzten, als wenn er keine tragen würde.
Er legte den halben Weg zwischen Tür und Bar zurück und sah sich mit zusammengekniffenen Augen im verrauchten Zwielicht um. Den Spieltisch, an dem gepokert wurde, verbannte er aus seinem Sichtfeld, denn er wusste, was geschehen konnte, wenn er sich einen Stuhl nahm und sich setzte. Er hatte sich an den Karten zu oft die Finger verbrannt, obgleich er ein exzellenter Spieler war und wissen sollte, wie es am runden Tisch lief.
Wo zur Hölle steckt sie nur?
»Suchst du mich, Fremder?«, sagte ein rothaariges Mädchen neben ihm, die seine Tochter hätte sein können und hakte sich an seinem Arm unter. Sommersprossen umspielten ihre Stupsnase. »Hast Lust, ein armes Mädchen auf ’nen Drink einzuladen, hm?«
Der Fremde befreite sich sanft aus ihrem Griff. »Bist ’n schönes Mädchen, aber sorry, ich bin wegen jemand anderem hier. Kennst du Martha Jane Cannary … manchmal nennt sie sich Burke?« Das Mädchen legte enttäuscht ihren Zeigefinger auf die Nasenspitze und tat nachdenklich. »Da muss ich jetzt wirklich überlegen, Süßer …«
Er spielte mit einer Münze zwischen seinen Fingern. »Das hilft dir beim Denken, Süße.«
»Lass dir nicht die Hosen dabei ausziehen«, lästerte eine Frauenstimme hinter ihm, die er nur zu gut kannte. Der Fremde drehte sich um und grinste. »Martha!«
Er steckte die Münze der Kleinen zu und zwinkerte. »Hast mir Glück gebracht.«
Dann umarmte er die große Frau mit dem geflochtenen, schwarzen Zopf, die Männerkleidung und einen Waffengürtel über der zugeknöpften Jacke trug. »Halleluja noch mal, wie lang ist das jetzt her?«
»Viel zu lange, Mister James Butler«, hauchte ihm Martha ins Ohr. »Und nenn mich Jane, alter Dummkopf.« Sie fuhr ihm dabei mit den Fingern durch sein langes, nasses Haar. »’n Bad und trockene Sachen wären nicht schlecht, was?«
James löste sich von ihr und hielt sie an den Schultern fest, um sie sich anzuschauen. Auf den ersten Blick wirkte sie gelöst, doch wenn man genauer hinsah oder weil man sie kannte, konnte man die Besorgnis erkennen, die sie plagte. »Erst erzählst du mir, was es mit diesem ominösen Telegramm auf sich hat, das mir keine Wahl ließ, außer herzukommen!«
Das Motorrad war auf dem Gepäckträger festgezurrt, der Bus strebte auf der staubigen Landstraße seinem abendlichen Ziel entgegen. Die Sonne stand bereits zur Hälfte hinter dem Horizont, die Schatten wurden länger. Selbst nach Sonnenuntergang lag die bleierne Hitze wie eine Last über dem Land. Im Bus war Ruhe eingekehrt. Wer nicht schlief, schwitzte an die Scheiben gelehnt vor sich hin. Sie hatten einen Schweinemastbetrieb mit riesigen Hallen passiert. Der Fahrtwind hatte den Güllegestank durch die offenen Fenster gepresst. Jetzt stand er wie zäher Brei im Bus und wollte nicht mehr weichen.
Hope schreckte aus einem unruhigen Schlaf auf, weil Cherryl sie mit dem Ellbogen anstieß.
»Hast du die Typen gesehen?«
Hope rieb sich die Augen. »Hab geschlafen, verdammt … welche Typen? Und warum stinkt’s hier denn? Hast du …?«
»Quatsch, nichts hab ich!«, erwiderte Cherryl. »Sind an ’ner Schweinezucht vorbeigefahren. Deshalb stinkt das jetzt so.«
»Hast du mich geweckt, um mir das zu sagen? Dein Ernst?« Hope sah aus dem Fenster. Die Sonne versank gerade vollends hinter dem Horizont. Aus den Schatten wurde Dunkelheit. Die endlosen Maisfelder verwandelten sich in einen sich träge wiegenden Ozean, angefüllt mit Finsternis.
Cherryl schüttelte den Kopf. »Nee! Wegen der Kerle bei der Schweinefarm.«
»Hä?«
»Ja, da waren welche vor den Ställen …«
»Was war denn mit denen?«
»Die standen neben ’nem rostigen Truck, gafften uns nach. Echt gruselige Vogelscheuchen, sag ich dir.« Cherryl rieb sich fröstelnd die Arme. »Da war was in ihrem Blick …«
Hope rutschte nach oben, um sich aufrecht hinzusetzen. »Cherryl, das ist nicht witzig.«
»Wenn ich’s dir sage. Wie wilde Hunde … fast … animalisch.«
Hope rollte mit den Augen. »Klar. Und das hast du alles beim Vorbeifahren festgestellt. In ’ner Sekunde.« Hope wurde jetzt ebenfalls kühl. Sie dachte an das zurück, was sie im Maisfeld erlebt hatte. An die unsichtbare Präsenz. Wäre Cherryl doch nur ruhig gewesen. »Im Mais ist alles möglich …«
Cherryl sah sie erschrocken an. »Was? Hope? Alles klar mit dir?«
Hope fing an, diabolisch zu grinsen. »Ich sagte, im Mais ist alles möglich.«
»Jetzt machst du mir Angst.«
»Das war meine Absicht!«
Sie passierten ein Ortsschild, aber es war bereits zu dunkel, um zu erkennen, was auf ihm geschrieben stand. Kurz darauf schaltete Kindermann einen Gang nach unten und die ersten Häuser tauchten auf.
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