Auf Conor aufpassen zu müssen, war schwer genug, denn der hatte seine Triebe überhaupt nicht unter Kontrolle. Letzte Nacht zum Beispiel, da hatte er ihn dabei erwischt, wie er im Baum vor dem Laden der McCalls hockte, in das Schlafzimmerfenster von Vivian McCall glotzte und an sich herumfummelte. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn Bob davon Wind bekam. Im Vergleich dazu wären ausgeschlagene Zähne und eine Menge Blut eine nette Geste. Also hatte er ihn aus dem Geäst gezerrt und in der Werkstatt mit dem Hosengürtel verprügelt, wie er es von Dad gelernt hatte.
Morgen sitzt dieser Dummkopf wieder in den Ästen …
Buck lenkte den Truck auf einen holprigen Feldweg, über den sie die Stadt eher erreichen würden, als es der Bus auf der Interstate vermochte. Die Einheimischen kannten eben die geheimen Wege. »Die haben sich im White House eingebucht«, brummte Buck sinnierend. Alles lief, wie es laufen sollte.
»Sue Ellen verdient sich mit denen von außerhalb ’ne goldene Nase und macht nich’ mal ’n Finger dabei krumm«, höhnte Conor. Sein Mund verzog sich zu einem anzüglichen Grinsen. »Aber mal ehrlich, bei der würde ich gerne einziehen.«
»Verdammt, Conor«, beschwerte sich Buck, »hast du denn nichts anderes in der Birne?«
Conor lachte. »Täte dir auch mal gut, einen wegzustecken. Würdest danach alles lockerer sehen.«
Buck trat unvermittelt auf die Bremse. Der Truck bockte, schlitterte auf dem groben Schotter, brach aus und kam mit einem letzten Ruck zum Stillstand. Conor wusste, was das bedeutete. Seine Hand schnellte zum Türgriff, doch er war zu langsam. Bucks Faust klatschte ihm hart in den Magen, dass Conor zusammenklappte wie ein Springmesser. »Hab dich gewarnt, Conor.« Er schlug ein weiteres Mal zu, dieses Mal in Conors Gesicht. Dessen Lippe platzte auf und Blut spritzte. »Hab ich dich nicht gewarnt? Wieder und wieder?«
Buck ließ von ihm ab und packte mit beiden Händen das Lenkrad. Verzweifelt lehnte er sich mit der Stirn gegen das griffige Leder. »Was soll ich nur mit dir machen, Mann?« Er packte ihm in die Haare und riss seinen Kopf nach oben. »Meinetwegen kannst du rummachen, mit wem oder was du willst, aber behalt deine Aufgabe vor Augen, kapiert?«
Conor stöhnte. Blut lief ihm aus Mund und Nase, trotzdem nuschelte er schwach: »Ja, Mann.«
Dad hätte sicher eine Lösung gehabt. Er hätte Conor windelweich geprügelt und zum Prediger gebracht, damit der sich mit ihm befasste. Das volle Programm der Läuterung in Blut und Schmerz. Die Wahrheit war, dass es mit Conor immer schlimmer wurde und Buck Angst hatte, die Kontrolle zu verlieren.
Letztendlich Daddys Weg …
»Ich bring dich zum Prediger!«
Conor richtete sich röchelnd auf, schlüpfte aus dem Shirt und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. »Was?« Er schüttelte den Kopf. »Das kannst du nicht machen, Mann … wir sind Brüder!«
»Gleich morgen … da bring ich dich zum Prediger!« Buck klang entschlossen. Er nickte, richtete sich auf und gab Gas. Sie hatten durch das Geplänkel Zeit verloren und die musste er jetzt aufholen. »Wenn du Pech hast, schneidet er dir den Sack ab – oder gleich alles, was da baumelt.«
»Bitte, Mann, ich will nicht zu dem«, beschwerte sich Conor. Seine Stimme klang weinerlich, weil er Angst hatte. »Der macht’s am Ende sogar noch …«
Buck dachte an die Aufgabe, die ihnen der Prediger zugedacht hatte, und schluckte. Typen wie Conor konnten alles vermasseln. Vor allem jetzt, so nah am Ende, war äußerste Konzentration angebracht. Er durfte nicht zulassen, dass Conor aus der Reihe tanzte. »Du tust, was ich dir sage, oder ich schlag dich tot!«
Welcome to Deadwood, South Dakota
13. Juli – Black-Hills-Territorium
Ungewöhnlich heftige Regenfälle hatten die Straßen in den Black Hills in Schlammlöcher verwandelt, die selbst Pferde nur mit Mühe passieren konnten. Auch jetzt regnete es wieder.
Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen. Graues Regenlicht verfärbte sich zu tiefem Schwarz. Er musste sich beeilen, wenn er die Nacht nicht draußen verbringen wollte. Der einsame Reiter zog sich den Kragen seines gewachsten Segeltuchmantels enger zusammen und neigte den Kopf nach vorne, damit das Wasser vom Hut laufen konnte. Er war vollkommen durchnässt, schnalzte mit der Zunge und der Schimmel ohne Namen setzte sich in Bewegung. Sie passierten eine improvisierte, halb im Schlamm versunkene Zeltstadt. Abgehalfterte Prostituierte zogen ihre prallen Brüste aus den fleckigen Kleidern, während er an ihnen vorbeiritt. Eine fluchte ihm hinterher, dass ihn die Krätze holen solle, weil er sie nicht beachtete. Die Luft roch in einem scharfen Unterton nach menschlichen Ausscheidungen und dem nassen Holz, das die Glücksritter in ihren Zeltöfen verbrannten.
Verdammte Goldgräber, wühlen sich in die Hänge, brechen die Erde auf und lassen ihren Unrat zurück … Was bleibt, ist ein vernarbtes, kaputtes Land …
Die Zelte der Goldgräber blieben zurück. Die Main Street wurde von grob gezimmerten, dicht beieinanderstehenden Holzhäusern gesäumt. Gelbliches Licht fiel aus den Fenstern auf die Straße, vermischte sich mit dem helleren der Petroleumlaternen zu einem diffusen Schein, der an eine Zirkusmanege erinnerte. Der Reiter fand, dass es durchaus Ähnlichkeiten damit gab, wenn man die Geräuschkulisse aus vielerlei Sprachen hinzuzog. Schilder stachen wie ausgestreckte Arme in die Straße hinein, auf denen Liquor Dealers, Dentist oder Saloon zu lesen stand. Schiefe Veranden aus ungeschälten Bohlen bildeten fragil schwebende Konstruktionen über dem Straßenschlamm. Selbst um diese späte Stunde herrschte reges Treiben. Eine Menge Pferde stand gesattelt vor den Geschäften und Saloons. Planwagen rollten schmatzend von Kaltblutpferden oder Ochsen gezogen zwischen den Häusern hindurch. Ihre Räder zogen tiefe Furchen in den Schlamm, den man hier Straße nannte. Hunde streunten herum, taxierten Passanten, die Essen mit sich führten. Bärtige Goldschürfer mit eingefallenen Wangen drängten sich neben Anzugträgern und Frauen der Heilsarmee dicht an dicht auf den hölzernen Stegen. Eckensteher mit halb zugeknöpften Westen über karierten Hemden musterten argwöhnisch jeden Fremden, die Hand lässig auf den Colt gestützt. Er kannte diese unlösbare Verbindung zwischen Schütze und Waffe nur zu gut. Aus den Saloons und Spielhallen erklangen Gelächter und Klaviermusik, durchmischt von deutlich hellerem Lachen chinesischer Huren.
Die Bank und ein imposanter Eisenwarenladen schienen die einzigen Steingebäude der Stadt zu sein. Vor ihnen lungerten bärtige Männer in dunklen Anzügen herum, um den Wert der Häuser hervorzuheben. Die hielten Flinten lässig auf die Hüften aufgesetzt, ihre Hosenbeine steckten in hohen, schlammverschmierten Stiefeln.
Der einsame Reiter zog sich den Hut tiefer ins Gesicht und ritt weiter. Sein Ziel war der Nuttall & Man’s Saloon und der musste die Straße hinab liegen. So stand es zumindest in dem Telegramm, das er von einer alten Weggefährtin erhalten hatte. Der verstörende Satz, mit dem sie ihn bat, nach Deadwood zu reiten, hatte ihn dazu bewogen, Cheyenne in Wyoming und den Zirkus seiner Frau Agnes Lake Thatcher zu verlassen, den er Zuhause genannt hatte. Die Wahrheit war, er war geritten, weil es ihn in den Fingern juckte und die Vorderlader-Colts an seinem Gürtel, die noch aus dem Krieg stammten, lange kein Feuer mehr gespuckt hatten. Der alten Zeiten willen. Das waren genug Gründe, um sich in den Sattel zu schwingen und den beschwerlichen Weg nach South Dakota auf sich zu nehmen.
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