Aus systemischer Sicht geht es um Beziehung, Kommunikation und Kooperation im Systemfeld Schule und Schulsozialarbeit. Dies liegt bereits in ihrem Wesen systemischer Theorie, Therapie und Beratung und ist verbunden mit dem Wissen über das Funktionieren von Systemen und mit einer systemischen Haltung (s. Abschn. 3.3), bei der es um Würdigung dessen geht, was ist. Der Schulsozialarbeiter ist auf die Sicherheit seines Beratungshandelns angewiesen, um im Dschungel von Trägerpluralismus und Aufgabenvielfalt Klarheit zu finden, will er nach systemischen Ansätzen das sozialpädagogische Beratungsfeld in den Schulen bedienen (Just 2016b). Erfahrungen belegen, dass Lehrer in vielen Situationen von einer klaren systemischen Haltung der Schulsozialarbeit profitieren, auch gestärkt werden, indem sie andere Sichtweisen für sich entdecken und Verständnis dafür entwickeln, dass nur in Beziehungen und Kommunikation Unterricht möglich ist. Schüler nehmen wahr, wie es sich anfühlt, neue Sichtweisen bezüglich eigener Problemsituationen zu entdecken oder Probleme plötzlich anders zu sehen. Familien lernen, ihre gelernten Strukturen zu hinterfragen, wenn sie Veränderungen im familiären Klima als erforderlich erachten. Klassentrainings (Gruppenarbeit) können im offenen Setting mit Lehrern stattfinden, und zirkuläre Fragen sind auch angesichts einer Vielzahl von Teilnehmern möglich.
Die Herausforderung der systemischen Schulsozialarbeit besteht in der Komplexität der Situationserfassung in Systemen und Subsystemen. Kinder, Jugendliche und Erwachsene sind in unterschiedlichen Systemen vernetzt und bewegen sich in subjektiven Kontexten (Herkunftsfamilien), in denen sie Bewältigungsmuster (Strukturen) gelernt haben, auf die sich ihr Verhalten und Handeln stützt. Fällt dieses Verhalten und Handeln in der Schule als »anders« oder »nicht tragbar« auf, gewinnt ein prozessorientierter Perspektivenwechsel an Bedeutung. Einen solchen vermag die systemische Schulsozialarbeit methodisch gemeinsam mit dem Schüler (u. a.) anhand der aktuellen Problemsituation zu nutzen, um neue Möglichkeits-, Wirklichkeits- und Lösungskonstruktionen zu (er)finden, die (auch) zur Vermeidung oder Verringerung von Schulstress oder Leistungsversagen beitragen.
Angemerkt sei, dass auch Evaluation ein unverzichtbares Instrument zur Darstellung von Ergebnissen ist (s. Kap. 7).
Nun stellen sich erneut Fragen: Fragen nach Unterschieden zwischen Systemen, nach unterschiedlichen Sichtweisen bei Beobachtung und Beschreibung, Fragen als Einladung zum Nachdenken oder als Anregung, neue Perspektiven zu entwickeln. Wie sehen die einzelnen fachlichen bzw. pädagogischen Vorstellungen aus? Wovon lassen der oder die Befragten sich leiten? Wie sehen die Unterschiede aus in Bezug auf gestern/heute, morgens/abends oder zwischen Personen, Meinungen oder allgemeinen Denkweisen? Gibt es Situationen, in denen bestimmte Probleme nicht auftauchen? Woran erkennt man, ob, wann oder wie Erwartungen erfüllt oder nicht erfüllt werden? Was sind überhaupt welche Erwartungen, und wo kommen sie her? Wie ist die Bedeutung des jeweiligen Tuns vonseiten der Kollegen, der Schüler, der Eltern oder der Schulleitung einzuschätzen? Wie kann ich als Schulsozialarbeiter meinen Platz in einem fest strukturierten System finden? Häufig gibt es bereits antwortenthaltende Fragen, wenn wir sie aus einem Kontext heraus stellen. Wer profitiert am meisten von Schule, wer am wenigsten? Wer hat Schule erfunden, oder wer möchte am meisten, dass sie so funktioniert, wie sie funktioniert? Durch Fragen werden Ideen angestoßen.
Es darf »ungewöhnlich« gedacht und auch ungewöhnlich gefragt werden, das ist erlaubt, aber zu ungewöhnlich wäre gewöhnungsbedürftig, weil es auf zu ungewöhnliche Fragen häufig keine gewöhnlichen Antworten gibt.
Manchmal beinhaltet bereits die Frage eine Antwort, die vor allem dem Befragten selbst neue Informationen gibt (Herwig-Lempp 2001, S. 34). Fragen können jedoch auch als Provokation wahrgenommen werden. Das sind Fragen, anhand deren Befragte sich in einer Rechtfertigungssituation vermuten. Dazu gehören beispielsweise Warum-Fragen. Sie fragen nach Ursachen, häufig nach Schuld. Sie bewegen sich schnell auf der Ebene von (gefühltem) Angriff und (gefühlter) Verteidigung. In der systemischen Schulsozialarbeit soll es aber gerade um konstruktives, klares, (zirkulär) offenes Fragen, möglichst im Beisein aller Beteiligten, gehen. Das bedeutet das Anerkennen und Verstehen von (auch »verrückten«) Sicht- und Verhaltensweisen in dem Kontext, in dem sie geschehen – unabhängig vom Alter der betreffenden Person. Damit neutral umzugehen ist eine Kunst. Systemische Schulsozialarbeit soll nicht Besserwissen sein. Vielmehr ist sie der systemischen Haltung und dem Interesse am anderen geschuldet.
So ist schließlich die Frage nach der Funktion von Schulsozialarbeit von Bedeutung, die Frage danach, wie sie welchen Platz im Bildungssystem Schule einnimmt, wie ihr Auftrag lautet, wer ihre Auftraggeber sind und welches fachliche Spektrum sie wie bedient. Diese Fragen sind mitunter gar nicht so leicht einzuordnen und zu beantworten, da die Vielfalt an Trägern, Aufträgen und Modellprojekten dazu verleiten kann, die einzelnen schulsozialpädagogischen Fachkräfte in ihren jeweiligen Schulformen in einer Art Einzelkämpferposition zu wähnen. Soll ein Schulsozialarbeiter seine Position im Kollegium von Lehrern und Schulleitung mit Leben und Inhalt füllen, sind ein fachspezifischer Ort (Dienst-/Fachaufsicht), ein eindeutiger Status (Funktion/Arbeitsverhältnis) und ein klares Aufgabenprofil vonnöten, die ihm professionelle Sicherheit geben. Das Umfeld, in dem der Schulsozialarbeiter sich bewegt, soll mit einer einfachen Darstellung einen Überblick geben und angrenzende Aufgabenbereiche skizzieren. Es kann nicht von Vollständigkeit ausgegangen werden, jedoch wird es möglich, Ideen anzustoßen oder neue Fragen zu (er) finden. Abbildung 1zeigt einen Versuch.

Abb. 1: Verortung Schulsozialarbeit (Legende: SSA = Schulsozialarbeit; JH = Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfe); SA = Soziale Arbeit; BuT = Bildungs- und Teilhabepaket; SchG = Schulgesetz; SGB = Sozialgesetzbuch; BMBF = Bundesministerium für Bildung und Forschung; BMFSFJ = Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend; SL = Schulleiter; WB = Weiterbildung; QMS = Qualitätsmanagementsystem)
Das Organigramm ist selbsterklärend, und weitere unmittelbar angrenzende Bereiche und spezielle Tätigkeitsfelder wie Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe, Kooperationskriterien oder Netzwerke könnten hinzugefügt werden. Schließlich sind auch Felder von Konflikten vorhanden, die auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert und ausgetragen werden. Dazu gehören das Verhältnis zwischen Schulleitung und Schulsozialarbeit sowie Anerkennung im Lehrerkollegium ebenso wie die zu beschreibende Position der Schulsozialarbeit im System »Schule«. Ausgehend von Abbildung 1, zeigt Abbildung 2die im Bildungssystem angenommene Position der Schulsozialarbeit.

Abb. 2: Position Schulsozialarbeit (ergänzende Legende zu Abb. 1: KMK = Kultusministerkonferenz der Länder; Sch = Schule; SA/SP = Sozialarbeit/Sozialpädagogik; SLE = Schüler, Lehrer, Eltern; KOOP = Kooperation)
Auch wenn die Schulsozialarbeit in Abbildung 2einen relativ kleinen Platz einnimmt, geht es nicht um größer oder kleiner, wichtiger oder unwichtiger, sondern darum, die Position, die in einem organisierten System entstanden ist, als eine wichtige Funktion im Gesamtsystem wahrzunehmen und aus dieser Position heraus zu handeln. Die Schulsozialarbeit ist ein kleiner Teil im großen System »Schule«. Auch als ein kleines Element kann sie ausdrucksstark sein und einen wichtigen Platz im System einnehmen. Systemisch spricht man von »in einem System eingebunden sein«.
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