Ich bin begeistert. Gestern habe ich an mir gezweifelt, ich war ein Versager, unfähig. Heute bin ich der Chef. Ich fahre ins Büro, zwinge mich dann aber zu Gelassenheit. Ruhig gehe ich zu Herrn Goger ins Büro, lege ihm den Vertrag vor und frage betont unaufgeregt: »Herr Goger, haben Sie noch ein paar Karten?«
Einen Monat später habe ich 5.000 Punkte gemacht, weitere zwei Monate später bin ich der erfolgreichste Verkäufer der Filiale. Erstens habe ich irgendwie den Bogen raus, um die Menschen, die Kunden zu erreichen und zu überzeugen. Vor allem aber habe ich von Herrn Goger gelernt, nicht einzelne, zufällige Adressen zu sammeln oder Klinken zu putzen, sondern eine Quelle aufzutun: Herr Goger hat seine Unimitarbeiterinnen, andere die Prostituierten, und ich habe inzwischen – Handballvereine.
Weil sich die Vereine gegenseitig die guten Spieler abwerben, versucht jeder Verein, seine jungen Spieler zu halten. Mit Geld, aber auch in Form einer guten Alterssicherung. Und die besorge ich. Ich kenne mich inzwischen perfekt aus, kann die besten Tarife und die günstigsten Konditionen anbieten und den Vereinen erklären, wie sie die Verträge mit den Spielern abfassen müssen, damit über das Incentive Versicherung ein Wechsel zu einem anderen Verein für den Spieler weniger attraktiv wird. Ich schließe ganze Serien von Verträgen ab.
Überhaupt mutiere ich voll und ganz zum Versicherungsvertreter. Ich habe immer ein Antragsformular dabei, und mir gelingen sogar Abschlüsse in der Kneipe. Es ist wie eine Jagd, die süchtig macht: unten rechts die Unterschrift. Irgendwas geht immer. Den da schreibe ich, denke ich mir – und es gelingt. Es geht nicht mehr um Punkte, um Geld. Es geht um die Trophäe, das unterschriebene Antragsformular. Fragt man uns, wenn ich mit Kollegen abends noch einen trinken gehe, was wir beruflich so machen, dann sagen sie: Anlageberater. Ich sage: Versicherungsvertreter – und checke die Lage, welcher Tarif passen könnte. Ich unterscheide die Menschen zunehmend in versicherbar oder uninteressant.
Mit einem gebrauchten Porsche Targa lasse ich meinen Erfolg sichtbar werden. Man dreht sich inzwischen nach mir um, wenn ich montags zum Jour fixe im Porsche auf den Parkplatz fahre. Schweizer, der Aufsteiger. Gegen so viel Erfolg kommt auch Schulze nicht an; ich merke, dass er mich inzwischen in Ruhe lässt. Der Konzern schickt mich wieder auf Seminare. Aber statt im heruntergekommenen »Seminaris« in der Lüneburger Heide treffen sich Topverkäufer wie ich im Sternehotel im Allgäu oder am Starnberger See.
Und es dauert nicht lange, bis Herr Goger mich zum Gespräch bittet und mir die Leitung der Freiburger Filiale anbietet. Erst jetzt wache ich auf.
Eine Filiale zu übernehmen war das, wovon jeder aufstrebende Vertreter träumte. Chef sein, ein gesichertes Einkommen, Mitarbeiter führen. Das Unternehmen und auch Herr Goger hatten lange überlegt, ob sie mir dieses Angebot unterbreiten sollten, denn bei allem Erfolg: Ich war gerade mal 22 Jahre alt. So waren alle Entscheider nicht nur überrascht, sondern sogar verärgert und enttäuscht darüber, dass ich dieses Angebot offensichtlich nicht zu würdigen wusste und ablehnte. Aber in einer schlaflosen Nacht war mir bewusst geworden: Das ist nicht mein Weg. Ich realisierte, dass ich mich in diesen Strudel hatte reißen lassen, dass ich meine Ziele aus den Augen verloren hatte. Selbstbestimmung und Freiheit. Ich wollte doch nur einen schnellen Weg finden, um meine Schulden zu bezahlen. Dieses Ziel hatte ich längst erreicht.
Ich fühlte, dass dieser Weg zu Ende gegangen war. Und dass meine Seele mit der Arbeit, die ich machte, mit dem Leben, das ich führte, nicht einverstanden war. Ich schaute mir die erfolgreichen Kollegen in unserem selbst ernannten Royal Club an: Sie alle peilten die große Versicherungskarriere an. So war ich nicht. Und so wollte ich auch nicht werden. Ich hatte Angst, dass meine Seele irgendwann die Farben meiner Gedanken annehmen würde. Man muss nur lange genug etwas denken, dann übernimmt die Seele diese Gedanken und macht daraus Empfindungen. Und das waren in Sachen Versicherungen zumindest bei mir keine guten Gedanken. Es gibt Kollegen, die interessieren sich wirklich für die Bedürfnisse des Kunden. Wir nannten sie geringschätzig Berater. Nette Menschen, aber mit kleinen Abschlussquoten und kleinen Einkommen.
Einige Tage nach dem Angebot ging ich zu Herrn Goger. Ich bedankte mich für sein Vertrauen in mich und für sein Angebot. Und sagte ab. Er konnte es nicht verstehen. Ich versuchte es ihm zu erklären: »Herr Goger, ich weiß, dass Sie viel für mich getan haben. Aber ich merke, dass meine Zeit hier abgelaufen ist. Es geht nicht mehr. Ich muss weiterziehen.«
Dieses Gefühl habe ich später immer wieder erlebt. Stets kam ich an einen Punkt, an dem ich merkte: Das war’s. Es war schön, es ist noch schön. Ich habe gelernt, was es zu lernen gab, gemacht, was es zu tun gab. Aber nun muss ich etwas anderes machen. Ich muss weiterziehen. Und wenn überhaupt, trauere ich nur kurz über diesen Abschied. Warum er sein musste und was mir diese Zeit, diese Erfahrungen und auch die daran beteiligten Menschen gegeben haben, wird mir immer erst im Nachhinein klar. Von der Versicherung habe ich gelernt, dass eine Bezahlung auf reiner Provisionsbasis hart ist. Und aus Idealisten rücksichtslose Jäger machen kann.
Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, dann empfinde ich, wie schon nach meiner Afrikareise, eine große Dankbarkeit. Ich hatte viel Glück. Ich hatte Erfolg, Geld, bekam Anerkennung. Und ich habe Heinz Goger getroffen, meinen Förderer und Freund, einen Mann, von dem ich unendlich viel gelernt habe. Über den Job als Versicherungsvertreter, über Kunden, über Menschen, über das Leben. Er war eine Mischung aus knallhartem Verkäufer und verständnisvollem Zuhörer. Mit Staubsaugern hatte er angefangen und ist dann in die Versicherungsbranche gewechselt. Er war Vertreter aus Leidenschaft – und er stand zu seinem Beruf. Während viele Kollegen sich in der Kneipe als Anlageberater ausgaben, hat Goger immer stolz gesagt: Ich bin Versicherungsvertreter. Das hat mich ebenso sehr beeindruckt wie die Tatsache, dass er in der gleichen Kneipe zehn Minuten später einem Gast eine Lebensversicherung verkaufte. Und ich machte es ihm nach. Noch heute erinnere ich mich an seinen Standardwitz: »Wer nichts wird, wird Wirt. Und ist auch dieses ihm misslungen, dann reist er in Versicherungen.« Er lebt nicht mehr, aber immer noch sehe ich sein Gesicht vor mir mit diesen bogenförmigen, dicken Augenbrauen über wachen Augen, die beim Sprechen hoch- und runterwanderten, sodass man gar nicht wegschauen konnte von seinem Gesicht.
Danke, Heinz Goger, für alles, was Sie mich gelehrt haben.
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