Wir starten morgens noch in der Dunkelheit, pausieren dann über Mittag im Schatten unserer Motorräder und legen am Nachmittag weitere Kilometer zurück.
Assamakka, die Grenze zu Niger. Wir werden gründlich gefilzt. Was aber wohl weniger daran liegt, dass die Grenzer uns misstrauen, als vielmehr daran, dass an dieser Grenze so gut wie nichts los ist. Da sind zwei Motorradfahrer eine willkommene Abwechslung. Aber schließlich setzt die Hitze den Männern doch zu sehr zu, und sie lassen uns fahren.
Die Piste ist kaum noch als solche zu bezeichnen. Laster haben in der Regenzeit tiefe Spuren gezogen, die nun steinhart sind und in die wir immer wieder hineingeraten. Zudem sind wir inzwischen in einer Dornensavanne angelangt, haben immer wieder platte Reifen. Was für eine Tortur, vor allem bei den Hinterreifen: Gepäck abladen, Seitentaschen abbauen, Rad ausbauen, Reifen runterziehen, was bei den breiten Sandreifen, die wir fahren, besonders schwierig ist. Das Loch im Schlauch zu flicken ist dagegen eine Kleinigkeit. Und dann das Ganze andersherum: Reifen aufziehen, Rad einbauen, Gepäck aufladen. Wenn dann am Abend die fünfte Reifenpanne auftritt, empfindet man neben einer massiven Erschöpfung nur noch dumpfe Wut. Doch nach ein paar Hundert Kilometern verschwinden diese Probleme wieder aus unserem Bewusstsein.
Die Sahelzone. Obwohl wir vorbereitet sind, trifft uns die Wirklichkeit jetzt hart. Plötzlich wird die zu Hause eher abstrakt wahrgenommene Berichterstattung über Dürre und Hunger konkret. Die Menschen, ehemals reiche und stolze Nomaden, verhungern buchstäblich auf der Straße. Ihre Herden sind durch lange Dürren stark dezimiert. Und das nicht nur hier, wo wir gerade sind, sondern in einem 1.000 Kilometer langen und 500 Kilometer breiten Gebiet. Uns ist völlig unklar, wovon die noch Lebenden sich ernähren. Caspar und mir wird bewusst, wie klein unsere eigenen Probleme doch sind. Was ist schon ein platter Reifen, eine gebrochene Speiche?
Nach Tagen erreichen wir Benin, eines der ärmsten Länder der Welt. Hier, so hatten wir in Deutschland gelesen, funktioniert gar nichts. Es gibt keine intakte Regierung, keine Verwaltung und eine korrupte Polizei. Die lernen wir auch schnell kennen. Wir sind noch keine 20 Kilometer im Land, als wir von Polizisten angehalten werden. Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder wir diskutieren lange über die unsinnigen Vorwürfe, die uns gemacht werden, und nehmen damit eine Nacht im Gefängnis in Kauf. Oder wir machen kleine Geschenke in Form von Geld oder Zigaretten und können danach sofort weiterfahren. Wir entscheiden uns für die zweite Möglichkeit und fahren gut damit. Leider begegnen wir nach 20 Kilometern bereits den nächsten Polizisten. Auch sie lassen uns nach einer kleinen Gabe weiterfahren. Als aber nach 40 Kilometern die dritte Polizeisperre in Sicht kommt, entwickeln wir eine dritte Möglichkeit, auf eine solche Situation zu reagieren: Wir bremsen vor den Polizisten ein wenig ab – und jagen dann einfach mit Vollgas an ihnen vorbei. Eine Verfolgung kommt nicht infrage, da die Autos der Polizisten im schwierigen Gelände stecken bleiben würden. Ein Telefon gibt es hier nicht, und wenn es eines gäbe, würde es nicht funktionieren.
Der Grenzübergang von Benin nach Togo macht keine Probleme. Jetzt sind es nur noch ungefähr 200 Kilometer Piste bis nach Lama-Kara. Ab dort, so hatten wir zumindest gehört, führt eine Asphaltstraße nach Süden bis zur Atlantikküste, bis nach Lomé, 400 Kilometer. Eine richtige Straße – immer wieder stellen wir uns vor, wie das wohl sein wird, auf einem festen Untergrund einfach die Augen in die Ferne zu richten, nicht auf Verwehungen, Spurrillen und versteckte Hindernisse achten zu müssen. Einfach nur zu fahren.
Der Himmel unterbricht unsere Träume, er wird stahlgrau. Die ersten Regentropfen. Wir genießen sie, nach sechs Wochen Wüste hinterlässt das Wasser schmutzige, sandige Spuren auf unseren Gesichtern. Wir halten an, um unsere Regenkombis aus der Tiefe der Packtaschen zu ziehen. Doch bevor ich überhaupt die Reifen losbinden kann, die über den Packtaschen liegen, öffnet der Himmel alle Schleusen: Einen solchen Regen gibt es in Mitteleuropa nicht. Nach weniger als zwei Minuten ist die Straße überschwemmt, und ergeben kämpfen wir uns mit gesenkten Köpfen ohne die Regenkombis durch die Fluten; es dauert nur eine halbe Minute, dann sind wir nass bis auf die Haut. Doch erstens glauben wir, dass afrikanischer Regen zwar heftig, aber kurz ist und die Sonne anschließend unsere Klamotten und uns schnell wieder trocknen wird. Und zweitens sind es nur noch wenige Stunden bis zu unserem Ziel.
Lomé, Togo. Wir versenken unseren Blick in den Atlantik. Nach Wochen der Wüste, Hitze und Sonne. Es ist eine Mischung aus Glück, Stolz und Wehmut. Ja, wir haben die Sahara durchquert, haben Hitze, Pannen, Schlag- und Schlammlöchern getrotzt und uns von Erschöpfung und manchmal scheinbar ausweglosen Situationen nicht beirren lassen. Jetzt sind wir angekommen, unsere gemeinsame Reise ist zu Ende.
Aber noch haben wir ein paar Tage, entdecken die Stadt, das afrikanische Leben, unternehmen noch kleine Ausflüge entlang der Atlantikküste. Auf unseren Streifzügen durch die Stadt treffen wir einen jungen deutschen Entwicklungshelfer. Als er hört, dass Caspar sein Motorrad verkaufen will, ist er begeistert; die beiden einigen sich auf einen Kaufpreis von 2.000 Mark. Ich übernehme das komplette Werkzeug und alle Ersatzteile, um mich für die Soloheimfahrt zu rüsten. Das gibt mir zwar einerseits Sicherheit, andererseits habe ich keine Ahnung, wie ich diesen ganzen Krempel auf meinem Motorrad verstauen soll. Aber bis dahin ist ja noch Zeit, ich habe es nicht eilig mit der Rückfahrt.
Als ich Caspar zum Flughafen bringe, wissen wir beide nicht, was wir reden sollen. Wir haben schwierige und gefährliche Situationen gemeistert, konnten uns blind auf den anderen verlassen – was gibt es da noch zu reden? Wir umarmen uns, dann geht er zum Flugzeug. Ich bleibe so lange, bis der Jet im gleißenden Himmel Afrikas verschwunden ist.
Die nächsten Tage verbringe ich damit, mich auszuruhen. Ich habe keine Pläne, stehe morgens auf, wenn es im Zelt zu warm wird, frühstücke, bummele durch die Gassen von Lomé, lasse mich treiben. Gelegentlich springe ich aufs Motorrad und erkunde die Küste.
Ich richte mich auf einen längeren Aufenthalt in Lomé ein und finde einen geeigneten Platz für mein Camp: neben dem Hotel Tropicana. Das Tropicana liegt außerhalb der Stadt an einem traumhaften Strand – es ist ein Hotel für Touristen, aber auch für deutsche Geschäftsleute.
Schnell freunde ich mich mit den Angestellten des Hotels an: Kellner, Zimmermädchen, Koch und Wächter, sie alle kommen und staunen, was da für ein merkwürdiger Mensch am Strand campiert. Ich erzähle unsere und nun meine Reisegeschichte – und nach ein paar Tagen sind wir so gute Freunde, dass sie mich ans abendliche Buffet lassen, für umsonst.
Was für ein Luxus, was für ein Überfluss. Über Wochen habe ich karg gegessen: Müsli mit angerührtem Milchpulver, Reis, Datteln, Feigen. Jetzt stehe ich vor einem zehn Meter langen Tisch, der überladen ist mit kulinarischen Genüssen. Und alles ist für mich umsonst. Schnell entwickle ich eine Technik, möglichst viel auf den Teller zu packen: ganz unten, entlang dem Tellerrand, flache Steaks, fliesenartig geschichtet. Über die Steaks Gemüse. In die Mitte, sozusagen in den nun entstandenen kleinen Turm, Rahmgeschnetzeltes mit Reis. Und obendrauf ein ganzes Huhn. Bon appétit. Und was an dem Abend nicht mehr reinpasst in den Magen, wickle ich in eine Serviette ein: Frühstück und Mittagessen für den nächsten Tag.
Zunächst habe ich Bedenken, dass sich die »seriösen« Gäste an meiner Essgewohnheit stören, doch es dauert nicht lange, dann bin ich gern gesehener Gast an den Tischen; ein »bunter Hund«, der tolle Geschichten erzählt, während er nebenher seinen Futterberg verputzt.
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