»Ja klar, aber das ist in Ordnung. Ich warte auf die Berichte, und dann fahre ich in die Bondegata.«
»Gut, dann verbleiben wir so. Halte mich auf dem Laufenden. Du bist vorerst deine eigene Projektleiterin.«
»Nur eine Sache noch: Was weiß die Presse?«
»Ich habe einige Fragen bekommen und gesagt, dass wir noch nichts wissen.«
»Haben sie gedrängt?«
»Nein, nicht besonders. Alte Männer, die im Zusammenhang mit einer Sauferei sterben, haben keinen Nachrichtenwert. Und wir sind uns ja tatsächlich unsicher, nicht wahr?«
Margret ging in ihr Büro. Sie nahm ihre Notizen aus der Bondegata hervor und las sie durch. Der Todesfall hatte sich vor zwei Tagen ereignet.
Die Stunden vergingen. Gegen Mittag hatte Margret weder von den Technikern noch von den Gerichtsmedizinern etwas bekommen. Sie ging hinunter ins Aquarium, die Kantine beim Schwimmbecken. Sie bestellte das Tagesgericht: Makkaroniauflauf mit zerlassener Butter.
Den Kaffee ließ sie aus.
In dem Moment, als sie zurück ins Büro kam, klingelte das Telefon. Es war einer der Techniker. Ja, sie hatten Spuren an der Herdecke gesichert. Der Mann war genau dort aufgeschlagen, der Schlag musste hart gewesen sein, es gab zahlreiche Hautpartikel, Blut, Haare.
Und Fingerabdrücke?
Ja, von mehreren Personen. Es hatte ja ein Fest in der Wohnung stattgefunden, vielleicht waren es die Fingerabdrücke der Gäste, aber das wusste man noch nicht. Wie viele Personen?
Vier verschiedene Personen, Abdrücke auf Gläsern und Flaschen, auf dem Tisch und der Arbeitsplatte.
Was sonst noch?
Haare, Textilfragmente, Zigarettenkippen, also reichlich DNA-Material. Und dann noch Urin und ein paar andere Kleinigkeiten auf der Toilette.
Ein paar andere Kleinigkeiten?
Ja, etwas benutztes Toilettenpapier, das neben dem Klo gelandet war.
Okay, gut, danke.
Ein ausführlicher Bericht würde folgen. Das wars fürs Erste, aber so war es ja immer.
Es waren also eine ganze Menge Leute in der Wohnung gewesen. Nun ging es darum, sie ausfindig zu machen.
Margret fuhr in die Bondegata.
Die Wohnung war abgesperrt, das Schild der Polizei klebte an der Tür. Margret hatte einen Schlüssel bekommen, da das Dezernat bereits Kontakt mit dem Verwalter aufgenommen hatte.
Sie machte langsam auf, lauschte auf das knarrende Geräusch der Tür, dachte, dass es sich so angehört haben musste, wenn der Mann, der hier gewohnt hatte, die Tür öffnete, tausende von Malen, zehntausende von Malen. Ein vertrautes Geräusch, vielleicht ein liebgewordenes Geräusch?
Und als der Mörder kam?
Wenn es einen Mörder gab. Aber falls es so war, wie reagierte er auf das Geräusch der Tür? Reagierte er beunruhigt, gestört, ängstlich, böse auf ein ungewohntes Geräusch, das vielleicht Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte?
Margret schloss die Tür genauso langsam, wie sie sie geöffnet hatte.
Der Blutfleck in der Küche war noch da, aber nicht mehr so klebrig, etwas von dem Geruch hing noch in der Luft, süß, leicht übelkeiterregend.
Sie blickte sich um, musterte alle Gläser, Flaschen, Essensreste, Zigarettenkippen, Flecken.
Dann ging sie ins Schlafzimmer. Dort war es aufgeräumter. Das Fest hatte offensichtlich in der Küche stattgefunden. Das Bett war ungemacht. Auf dem Boden lagen Zeitungen und auf einem kleinen Tisch neben dem Bett Bücher: ein Krimi von Dürrenmatt, ein Buch über Segelschiffe im Indischen Ozean, Mein erster Kreis von Olof Lagercrantz.
Margret überlegte, dass die Bücherauswahl vielleicht typisch war für einen alten Journalisten: eine bunte Mischung, ein breites Allgemeininteresse.
Am Fußende des Bettes war eine Schranktür. Margret öffnete sie, sie quietschte, aber das Geräusch war ein anderes als das der Wohnungstür.
Der begehbare Schrank war groß. Er erstreckte sich über die gesamte Seite des Raumes. An der Decke hing eine Leuchte. Margret machte das Licht an. Der Schrank war vollgestopft. An der einen Seite hingen Kleidungsstücke, unter denen drei große Kartons standen.
Margret machte den Deckel eines Kartons auf. Er war gefüllt mit Ordnern, Zeitungen, Papierstapeln, Heften, Umschlägen mit Zeitungsausschnitten. Der Inhalt des zweiten Kartons war ähnlich, der des dritten ebenso. Sein Lebenswerk, dachte Margret.
Seine alten Zeitungsausschnitte und Notizen und all so etwas, was Journalisten vermutlich sammeln.
Sie ging zurück in die Küche. Dann rief sie Verner an. Ausnahmsweise ging er sofort ans Telefon.
»Ich bin in der Wohnung von Lasse Bergman«, sagte Margret.
»Hast du etwas herausgefunden?«
»Nein, nichts Konkretes.«
»Wann bekommst du den Obduktionsbericht?«
»Heute.«
»Ruf mich an, wenn du ihn gelesen hast.«
»Verner, ich arbeite allein an diesem Fall, das ist nicht gut.«
»Nein, das ist nicht gut.«
»Kannst du mir helfen?«
»Wie denn?«
»Kannst du herkommen?«
»Jetzt?«
»Ja, kannst du so schnell wie möglich herkommen?«
»Du weißt, dass du mich nicht reinlassen darfst?«
»Klar weiß ich das.«
Verner rief ein Taxi und war fünfundzwanzig Minuten später in der Bondegata. Er klopfte an, wartete aber die Antwort nicht ab, sondern trat ein. Er kannte sich aus, war schon früher in der Wohnung gewesen, hatte viele Male mit Lasse dort gesessen und geredet.
Verner umarmte Margret und küsste sie auf die Wange. Es schien ihm, als sei es lange her seit dem letzten Mal, und er wusste, dass er es war, der sich bei ihr hätte melden sollen.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Ja, bei dir auch?«
»Hast du etwas Besonderes gesehen?«
»Nein, nicht direkt.«
Er sah sich um. Margret beobachtete ihn, eine lange Zeit sprachen sie nicht miteinander. Verner saß lange in der Hocke neben dem Blutfleck, stand auf, sah sich weiter um, wandte sich um, ging wieder in die Hocke.
Er fasste nichts an. Aber er schaute genau und lange hin, schnupperte, sagte nichts.
Dann ging er hinüber ins Schlafzimmer. Margret folgte ihm. Er öffnete die Schranktür.
»Hast du in den Kartons nachgeschaut?«, fragte er.
»Ich habe die Deckel aufgemacht, aber ich habe nichts von dem angefasst, was in den Kartons ist. Sind das Sachen von seiner Arbeit?«
»Ich nehme es an.«
»Weißt du, was das für Sachen sind?«
»Ich kann es nur vermuten, aber ich weiß es nicht genau. Wahrscheinlich sind es Dinge, die er nicht wegwerfen wollte, aber es kann ja zum größten Teil alter Krempel sein, alte Zeitungen und Zettel und sowas.«
»Wie viel weißt du eigentlich über Lasse Bergman?«
»Über sein Privatleben fast nichts. Wenn wir uns trafen, sprachen wir über die Arbeit, und das ist lange her. Wir haben einander bei ein paar Sachen geholfen.«
»Du hast schon damals auf deine eigene Weise gearbeitet, nehme ich an.«
»Das kann man vielleicht so sagen. Wir hatten ganz einfach Nutzen voneinander.«
»Kannst du mir denn jetzt helfen?«
»Ich darf nicht mit dir arbeiten, das weißt du.«
»Aber wenn es sich regeln ließe, hättest du dann Lust?«
»Wie zum Teufel sollte das zugehen?«
»Ich weiß nicht, es war nur so ein Gedanke.«
Um halb fünf war Margret zurück im Dezernat. Sie bekam den Gerichtsmediziner vom Karolinska institutet zu fassen. Ja, die Obduktion war abgeschlossen.
»Und was kann man sagen?«
»Tja, der Schlag auf den Kopf war tödlich. Es war ein einziger Schlag, und er war sehr hart. Der Mann könnte gestürzt sein, aber in dem Fall hätte er eine ordentliche Geschwindigkeit drauf gehabt. Es sieht fast aus, als sei er gegen etwas Hartes geschleudert worden, eine Ecke, könnte man tippen.«
»Das klingt, als sei er Gewalt ausgesetzt gewesen.«
»Das kann sein, aber es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass er sich die Verletzung selbst zugefügt haben kann. Er kann ja auf dem Tisch gestanden haben und gestürzt sein oder gelaufen und gestolpert sein.«
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