Daheim gebe ich bei Google »Kool & The Gang« ein. Aber da stürzt mein Computer ab.
Der Flaum im Gesicht der Nazis
Der Tipp kommt von einem Berlinale-Experten. Irgendwas leichtes Französisches. Der Berlinale-Experte sagt natürlich mehr als nur: »Ist irgendwas leichtes Französisches«, aber mehr will ich mir gar nicht merken, weil ich das ja dann sowieso früh genug sehe.
Ich komme mit einem abgelaufenen Journalistenausweis rein, was mich ein wenig skeptisch macht. Vorne in der zweiten Reihe ist noch was frei. Ein Mann im grauen Zweireiher, der ein bisschen hängt – der Zweireiher, nicht der Mann –, stellt den Film vor. Sich selbst brauche er ja nicht vorzustellen, weil ihn sowieso jeder kenne. Da habe ich ja Glück, dass ich nicht »jeder« bin, weiß jetzt aber immer noch nicht, wer er ist.
Er übergibt das Mikrofon dann einer Frau, die sagt, dass sie nur sagen wolle, dass Alfred Holighaus nicht da sei, was schade ist, denn den hätte ich gekannt. Er ist Schalke-Fan und wenn Schalke gegen Dortmund spielt, gucken wir zusammen, wie Schalke verliert.
Dann werden noch ein paar Leute, die den Film gemacht haben, vorgestellt, aber nicht der Regisseur, weil der gerade in seiner Villa in Los Angeles ist.
Als der Film anfängt, stellt sich schnell heraus, dass es nichts leichtes Französisches ist, sondern was schweres Deutsches. Ich merke das daran, dass die Untertitel Englisch sind, was mich zunächst etwas verwundert. Und dann wird auch noch deutsch gesprochen. Trotzdem lese ich die Untertitel mit, weil’s da mehr zur Sache geht. Wenn einer sagt: »Bewegt euch!«, steht unten: »Move your asses!«
Sonst werden viele glatzköpfige Neonazis gezeigt, wie sie in Autos rauchen, kopulieren, laut Nazimusik hören, Bier trinken, schlägern und tun, was Nazis eben so tun. In Nahaufnahme. Man sieht sogar den Flaum im Gesicht der weiblichen Nazis. Das wollte ich eigentlich nicht sehen. Als ich aus dem Kino gehe, wartet schon der Mann im grauen Zweireiher auf mich und sagt: »Das hier sind die Macher des Films.« Ich sage nichts. Das mit dem Flaum hätten sie sowieso nicht verstanden.
Ich liebe die Notaufnahme im Urban-Krankenhaus. Wenn man dort ist, geht es einem schon gleich besser. Nicht wirklich natürlich, aber im Vergleich zu den anderen, die auch in der Notaufnahme des Urban-Krankenhauses liegen. So schlecht, dass ich ununterbrochen ein schluchzendes Heulen in höherer und einen durchaus zum Abtöten von Nerven geeigneten Ton von mir geben würde, geht es mir jedenfalls nicht. Still liege ich auf der Pritsche und warte auf den Arzt. Das tun alle hier.
In der Nähe sitzt ein Mann auf dem Bett. Neben ihm ein Sanitäter, der ihn hierher gebracht hat. Der Sanitäter sagt: »Nu leng Se sich mal hinne und sitzen Se nicht wie ‘n Schluck Wasser in der Kurve. Wer weiß, wann Se wieder so’n bequemes Bett kriegen.« Der Arzt kommt. Nicht zu mir, sondern zum Schluck Wasser in der Kurve.
Der Arzt sagt: »Haben Sie getrunken?«
Der Schluck Wasser in der Kurve sagt: »Ob ich jetrunken habe? Na sicha hab ick jetrunken. Seit zwee Wochen schon. Is doch scheißkalt draußen.«
Der Arzt nickt. Kälte ist ein guter Grund zu trinken.
Im Zimmer nebenan schreit ein Mann: »Das Arschloch hat mich angespuckt. Der hat Aids. Sie müssen mir sofort Blut abnehmen. Und dem Arschloch auch.«
»Wir können dem anderen kein Blut abnehmen«, sagt eine Arztstimme.
»Wieso nicht? Hat doch Aids!«
Die Arztstimme wieder: »Wir können nicht einfach jemandem Blut abnehmen, wir leben in einem Rechtsstaat.«
»Scheiß Rechtsstaat«, sagt die aufgebrachte Stimme. »Dem muss Blut abgenommen werden. Hat mich angespuckt.«
Der Arzt sagt nichts mehr. Die aufgebrachte Stimme aber ramentert weiter. Nach einer Viertelstunde verliert der Arzt die Contenance. Er sagt: »Jetzt halten Sie endlich die Klappe. Ich musste gerade jemanden einen Finger amputieren. Der ist viel schlimmer dran als Sie.«
Besser als das Urban war da nur die Notaufnahme in Harlem. Da wurden Leute mit Schusswunden eingeliefert. Ein amputierter Finger war da eine Lappalie.
Vor dem »Pavillon Prisma« an der Kottbusser Brücke esse ich eine Teigtasche mit Käse und Ei und lese zum Nachtisch ein Manuskript, aber ich komme über die ersten zwei Seiten nicht hinaus, weil sich ganz in der Nähe eine dicke Frau mit stufig geschnittenen blondierten Strähnen niederlässt. Naja, deswegen eigentlich weniger, aber sie hat einen dünnen glatzköpfigen Mann im Schlepptau. Er ist Pokerspieler. Ich dachte, die würden schweigen und ein Pokerface aufsetzen, aber der redet ununterbrochen auf sie ein.
»... sacht die, dass se in nem Bio-Laden arbeitet. Da musste ick wieder lachen. In nem Bio-Laden! Wenn se in ner Bäckerei gearbeitet hätte, hätt ick ja normal jefunden, aber Bio-Laden! Sacht die zu mir, wir könnt’n ja zusamm mit nem Taxi heimfahren, aber Geld hätt se keens. Sach ick, is jut, wa, aber ick loof ma lieber. Hab’s ja ooch nicht so dicke. Ick also los. Zwee Ecken weiter kommt ‘n Auto neben mir zu stehen. Janz normales Auto. Ick denk mir erstma nix dabei. Spring zwee Zivis raus, ziehn ihre Knarren, stelln mir an die Wand, Beine breit, wa, Handschellen, det janze Programm. Geben se durch ‘n Funk: Wir ham ihn. ›Was ’n jetzt los?‹, frag ick. Sacht der eene zu mir: ›Versuchte Vergewaltigung.‹ Sach ich: ›Wat? Ick soll der Frau an die Wäsche jegangen sein? Das is ja wohl der Witz des Monats.‹ Kommt ‘n Bullenwagen mit der Frau anjerauscht. ›Ja, das isser‹, sacht die. ›Wenn ick dir hätte verjewaltigen wollen, hätt ick dir ja wohl nicht meene Adresse gegeben.‹ Weeßte ja, Steglitzer Damm neben Drospa. ›Und außerdem könnt ihr doch selber gucken, is doch alles uff’m Video vonner U-Bahn drauf. Seien se mir nicht böse, wa, aber Sie sind nicht nach meem Jeschmack.‹ Sacht die wieder: ›Aber der roocht Haschisch.‹ Ich sach: ›Jetzt hör doch ma uff.‹ Die Bullen kieken sie an, kieken mich an. Sacht der eine: ›Na, dann is ja alles Bestens, dann könn’ Se jetzt ja nach Hause gehen.‹ Sach ich: ›Moment ma! Sie fahrn mich jetzt mal schön nach Hause. Ick bin jetzt fix und alle nach der Uffregung.‹ Sacht die Alte: ›Och, da fahr ick doch mit.‹ Denk ick, jetzt werd ick die Alte schon wieder nicht los. Die Bullen fahrn mich also nach Hause, halten an, sacht die Alte: ›Och, da steig ick doch auch gleich mit aus.‹ Ne, denk ick, det darf ja jetzt wohl nicht wahr sein. Uff der Straße sacht se: ›Jetzt bleim Se doch ma stehn. Ick möchte mir nämlich janz herzlich bei Ihn entschuldijen. Ick hab zu Hause noch ne Flasche Wein. Wolln se nicht mitkomm?‹ ›Nene‹, sach ich, ›muss morgen früh raus.‹ Zwee Stunden später klingelt’s an der Tür, steht se da mit ner Torte und nem Blumenstrauß. Platzt mir der Kragen. Sach ick: ›Jetzt is aber mal jut, ick komm mit dicken und fetten Menschen nicht klar, die stinken mir zu sehr.‹«
Die dicke Frau mit den blondierten Strähnen zieht an einer Zigarette und nickt verständnisvoll.
Ein bisschen mehr Distanz
Oh Gott, ich bin alleinerziehend! Für einen Tag. Nur?, werden einige müde lächeln, aber auch ein Tag muss erstmal rumgebracht werden. Fup will mit seinem »Morad« raus, das heißt übersetzt Motorrad, ist aber nur ein Laufrad. Bitte schön. Raus ist immer gut. Nur mit der Richtungsangabe gibt es in der Regel kleine Differenzen, denn wenn ich sage: »Da lang«, dann sagt Fup grundsätzlich: »Nein, da lang.« Mein »da lang« und sein »da lang« hören sich zwar gleich an, bezeichnen aber unterschiedliche Richtungen.
Da ich nichts vorhabe, sage ich nicht »da lang«, sondern: »Du bist der Bestimmer. Wohin willst du?« Fup hat da eine ganz bestimmte Vorstellung. Ich bin gespannt, wohin er mich führt. Er führt mich stracks zum Kottbusser Tor. Einmal rund um den Platz, bis er den Aufgang zur Hochbahn entdeckt. Er will U-Bahn fahren. Nein, U-Bahn ist nicht drin. Na gut, dann weigert er sich eben, überhaupt weiterzugehen.
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