»Wir sind Penner’s Radio«, sagte Noh nach einer Weile besänftigt. »Wir sind Freaks. Wir Freaks haben’s nicht leicht in diesem unseren Lande . Wir müssen zusammenhalten.«
»Schon besser«, schnurrte seine Angetraute.
»Wir tingeln seit fuffzehn Jahren durch die Gegend und erzählen den Kids, dass man auch anders leben kann als ihre Alten. Wir machen ihnen Mut, das zu versuchen …«
»Und leben’s ihnen vor«, ergänzte Oblong.
»Und leben’s ihnen vor. Wir wollen echte Demokratie und Toleranz und Frieden auf der Welt und in unserem Land und in unseren Stammkneipen.«
»In jeder Kneipe«, ergänzte ich.
»In jeder Kneipe, jawoll. Wir sind gegen Aufrüstung und Nachrüstung und überhaupt gegen Rüstung, gegen Volkszählung und Kontaktbereichsbeamtenschnüffelei, gegen SDI und CIA und CSU, gegen Diskriminierung von Schwulen und Langhaarigen und Ausländern …«
»Und Frauen«, ergänzte Bruni.
»Und Weibern. Von mir aus. Wir sind gegen den militärisch-industriellen Komplex …«
»Wow!«, machten wir alle.
»… und da der für Atomenergie ist, sind wir auch gegen Atomenergie.«
»Außerdem haben wir Hiroshima, mon amour gesehen«, ergänzte ich.
»Außerdem haben wir Hiroshima gesehen. Aber wir haben auch Das Kettensägenmassaker gesehen und sind trotzdem nicht gegen Kettensägen, Herr Klütsch – wie stehen Sie nun dazu?«
»Wenn einer mit ’ner Kettensäge nicht auf seinen Birnbaum, sondern auf mich losgeht, kann ich’s hören. Wenn mir vierhunderttausend Sievert oder Becquerel oder Millirems oder wie die Dinger heißen, von Russland oder Kalkar oder Biblis oder Brokdorf in den Salat fliegen, hör’ ich nix. Ich kann die nicht mal riechen.«
»Gut gegeben, Herr Klütsch. Aber woher gedenken Sie denn in Zukunft den Strom für die Instrumente Ihrer Mitspieler zu nehmen – die Ressourcen fossiler Energie auf diesem Planeten neigen sich dem Ende zu. Oder wollen Sie demnächst ein reines, unverstärktes Perkussionsorchester aufmachen?«
» Penner’s Omo-Trommel «, schlug Oblong vor.
»Nix da«, entschied ich. »Wenn ich je eine Percussion-Truppe gründe, wird sie Kladderadatsch heißen.«
»Strom kommt aus der Steckdose«, rief Little Joe nach hinten.
»Wir wissen alle, dass es alternative Energiegewinnungsmöglichkeiten gibt, meine Herren«, ließ ich mich nicht lumpen. »Aber natürlich liegt das Problem hierbei vor allem darin, dass es gesellschaftliche Gruppen gibt …«, hier hob ich meine geballte rechte Faust, »… die industriellen Bonzenschweine zum Beispiel, deren vordringliches Interesse es ist, den exklusiven Zugriff auf Energie und ihre Verteilung zu haben und damit die Kontrolle über Energiepreise.« Jetzt hatte ich mir ein allgemeines »Wow« verdient. »Weshalb die weitere Erforschung schwer kontrollierbarer und vermarktbarer natürlicher Energiequellen wie Sonne, Wind und Wasser von diesen Dumpfbacken auch massiv blockiert wird. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen, Herr 400-Watt- Marshall – über kurz oder lang wird man herausfinden, wie viel Energie ein Meister von einem Schlagwerker, wie ich es bin, bei einem Konzert produziert, die völlig ungenutzt verpufft. Energie, mit der man aber vielleicht drei von Ihren gehörschädigenden Kleiderschränken mit ausreichend Strom versorgen könnte, um auch dem letzten Waldschrat in der letzten Reihe der Mehrzweckhalle Habbelrath die frohe Botschaft vom Zeitalter des Wassermanns, der freien Liebe, des jedermann zugänglichen Haschgifts und des Freibiers für alle zu verkünden und sechsstimmig in die weich gekiffte Birne zu prügeln. Falls Sie ihr Instrument zufällig mal wieder ordentlich gestimmt haben sollten.«
»Apropos freie Liebe«, sagte Bruni. »Das sind nicht mehr meine Füße, die du da massierst.«
»Oh«, sagte ich.
»He«, sagte Noh.
»Ach«, sagte Oblong.
»Ich glaub’, ich bau’ mal einen«, sagte Emerson.
»He, Emmer – wolltest du nicht was besprechen?«, fragte Noh nach ein paar Kilometern in allgemeinem Schweigen. Bruni hatte mir ihre Füße entzogen, sich auf dem Sitz neben ihm zusammengerollt, den Kopf in seinem Schoß, und schlief. Ihr kurzes geblümtes Kleidchen hatte sich bis über ihr Hinterteil geschoben, und sie lag da wie der fleischgewordene Traum jedes Playboy- Lesers. Wie einer meiner fleischgewordenen Träume, um ehrlich zu sein. Noh bemerkte meinen versonnenen Blick, schüttelte missbilligend den Kopf und zog das Stöffchen zurecht.
»Spielverderber«, sagte ich.
»Selber«, sagte er.
»Ich?!«
»Ich kann mich grad’ nicht bewegen«, sagte er mit einem Kopfnicken auf die schlafende Prinzessin hin. »Aber mein Bier is’ alle.« Ich stand auf, holte zwei frische aus der Kühlbox und spendierte ihm eins davon. Als hätte ich etwas wieder gut zu machen.
»Was war denn jetzt, Em’?«
»Ihr könnt mich mal«, brummte Emerson.
»He, he«, sagte Oblong und wackelte lüstern grinsend mit den Augenbrauen wie Groucho Marx.
»Fühl dich diskriminiert«, sagte Emerson und produzierte eine Rauchwolke, mit der man eine ganze Schulklasse hätte antörnen können.
»Kann ich jetzt das Radio wieder anmachen?«, fragte Little Joe.
Stuttgart, Samstag, 19. Juli 1986
»Herein, wenn’s kein Schneider ist!«, schrie Heinz Gehrmann und kicherte in sich hinein, weil er wusste, wer geklopft beziehungsweise leise wie immer viermal kurz, zweimal lang an die Tür gepocht hatte. Aber Willy Schneidereit hatte sie schon aufgedrückt, langsam, fast schüchtern, wie es seine Art war, gerade so weit wie nötig, und schob sich durch den Spalt ins Zimmer. Dann wurde die Tür grob sperrangelweit aufgestoßen und der dicke Klemens stampfte hinterher. Dick und Doof , dachte Heinz, und sein Kichern artete in unkontrollierbares Gegacker aus.
»Schön, dass Sie ihren Spaß haben, Herr Gehrmann«, versuchte Schneidereit die Musik zu übertönen. »Ah – Charlie Parker, oder? Ornithology? «
»Nicht schlecht!«, giggelte Heinz. »Aber nur fast – es ist Night in Tunisia .« Er saß im Schneidersitz auf seinem ungemachten Bett, den aufgeklappten grauen Saxophonkoffer links neben sich, und polierte das halb auseinander gebaute Instrument in seinem Schoß. Rechts von ihm qualmte ein Joint im Deckel eines Marmeladenglases. Heinz trug eine grüne Turnhose und ein schwarzes T-Shirt, auf dem Frank Zappa mit heruntergelassenen Hosen auf einem Klosett saß. Das Zimmer um das Bett herum sah aus, als hätte sein Bewohner ein paar Flohmarktstände ausgeraubt und die Säcke mit der Beute zur Begutachtung einfach ausgekippt – Kleidungsstücke aller Art, Stoffpuppen, Tonbänder, Platten und Plattencover, ein halbes Fahrrad, Kerzenständer aus Messing und Holz, ein gelbes Umleitungsschild, zwei verschrammte Lederkoffer, aus denen weitere Klamotten quollen, randvolle Aschenbecher, Geschirr mit längst versteinerten oder womöglich schon wieder lebenden Essensresten, eine Wasserpfeife, Zeitschriften, Taschenbücher und Berge von Notenblättern in wildem Durcheinander.
Der dicke Klemens stiefelte durch das Chaos wie durch Herbstlaub, quer durch das Zimmer, zu dem Plattenspieler, der auf einer dreibeinigen weißen Kommode voller Brandlöcher stand, das fehlende vierte Bein war durch ein paar Karl-May-Bände ersetzt. Er packte mit einer lässigen Bewegung den Tonarm, ließ die Nadel mit einem hässlichen Kreischen über die Rillen schrammen, brach ihn einfach ab und warf ihn in eine Zimmerecke. Heinzens Gekicher verstummte, sein Kinn klappte herab, aus einem Mundwinkel hing ein Speichelfaden. Für ein paar Sekunden war es mucksmäuschenstill im Raum.
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