»... Was soll das heißen, der Plan hat sich geändert? ...«, schallte es vom Tal zu ihnen hinauf.
Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr der neben ihm stehende Cedryk fort: »Ich will es verstehen, Skal. Ich will verstehen, warum du das getan hast. Oft habe ich nach meinem Tod auf mein einstiges Leben zurückgeblickt, bis zu jenem Zeitpunkt, da wir uns gegeneinander gewendet haben.« Bitterkeit und Melancholie spiegelten sich auf den Zügen des jungen Mannes wider und seine Stimme klang ehrlich, so als wolle er eine Rechtfertigung hören.
Skal beobachtete, wie er selbst, nur einen Steinwurf weit entfernt, in diesem Moment mit der geballten Faust zum Schlag ausholte. Reflexartig drehte der Cedryk im Tal seinen Kopf zur Seite, als ihm der Angriff die Nase zertrümmerte. Allerdings ging er nicht zu Boden, sondern trat, aus der Drehung heraus, nach Skals Brust.
»... Du Hurensohn, ich bring dich um! ...«
»Du willst es also verstehen, Cedryk?« Skal wandte sich beinahe angewidert von ihren beiden vergangenen Ichs ab. »Gut, ich erkläre es dir«, meinte er schwermütig und mit einem letzten Handzeichen in Richtung des Kampfgeschehens, wo Cedryk seinem ehemaligen Selbst soeben den Ellenbogen ins Gesicht schlug, fügte er hinzu: »Ich wünschte nur, du hättest mich damals schon gefragt ... und auch zu Wort kommen lassen. Denn dann hätte vielleicht alles anders kommen können.« Cedryk schwieg resigniert und blickte ihn weiterhin vorwurfsvoll an.
Als könne er dadurch das Unvermeidliche hinauszögern, atmete Skal langsam und geräuschvoll aus, bevor er zu erklären begann, was ihm seit Monden auf der Seele lastete und das er bisher noch niemandem hatte mitteilen dürfen.
»Du erinnerst dich doch noch, wie es in den letzten Jahren war, oder? Eigentlich schon fast dein ganzes Leben lang. Die Grafschaften und Herzogtümer unseres Volkes haben sich seit dem Tod von König Sarilandos vor nunmehr zwanzig Jahren untereinander stets mehr oder weniger stark bekriegt. Ich erinnere mich, dass auch wir in einigen Schlachten unsere Finger mit im Spiel hatten. Weißt du noch?« Skals Miene hellte sich beim Gedanken an ihre früheren Kriegsdienste für einen Moment etwas auf. Cedryks Gesicht blieb jedoch ebenso starr wie das Eis, welches sie zu allen Seiten umgab und ließ nicht erkennen, ob er sich überhaupt noch daran zurückerinnern konnte. Entschlossen, es ihm gleichzutun und ohne jede Emotion in seinem Bericht fortzufahren, sprach Skal nach der Dauer einiger Wimpernschläge weiter.
»Wie dem auch sei, das Reich der Menschen war im Begriff zu zerfallen. Die Kämpfe machthungriger Aristokraten haben das Land über Jahre hinweg zunehmend ausbluten lassen. Und während wir dazu verdammt waren, unserem Volk beim Sterben zuzusehen, gefielen sich die alten Rassen darin, sich zunehmend von uns abzuwenden, anstatt mit ihrer viel gerühmten Weisheit zu helfen. Andererseits kann man es ihnen auch kaum verdenken. Ich selbst habe lange Zeit versucht, gegen das Vorurteil anzugehen, dass jenen, die sich mit den Menschen abgeben, nichts als Leid und Unheil widerfährt. Aber leider waren die Abneigungen nur allzu oft gerechtfertigt.
Die Elfen haben schon vor langer Zeit erkannt, dass unsere Rasse noch zu jung und zu unerfahren ist, um mit ihnen auf einer Stufe zu stehen. Nicht umsonst halten sie ihre Heimat vor den meisten von uns geheim. Weil sie wissen, dass die Menschen, da wo sie hinkommen, nur Tod und Zerstörung mit sich bringen. Auch die Zwerge sind inzwischen zunehmend zu dieser Erkenntnis gelangt und verbringen ihre Zeit lieber mit dem Ausgraben unterirdischer Schätze, als mit der Pflege von Handelsbeziehungen und freundschaftlichen Kontakten. Erkennst du, worauf ich hinaus will, Cedryk?« Skals Stimme war bittend, fast flehentlich und sein Gegenüber schien nun erstmalig ein gewisses Verständnis für seine Lage aufzubringen.
Dennoch meinte der junge Mann einsilbig und strikt darum bemüht, so kühl wie möglich zu klingen: »Fahre fort.« Skal nickte und während er mühsam der Versuchung widerstand, erneut hinab ins Tal zu sehen, von wo aus jetzt zum ersten Mal das Geräusch aufeinanderprallender Schwerter erklang, sprach er weiter.
»Die vielen kleineren und größeren Kriege, sowie die Abschottung der anderen Zivilisierten Völker von Epsor, waren ein Dämonenkreis, welchen wir aus eigener Kraft nicht mehr zu überwinden vermochten. Im Gegenteil. Von Jahr zu Jahr wurde es schlimmer. Auch unserer eigener Orden, die Iatas, war schon lang nicht mehr dazu in der Lage, der Sache Herr zu werden, wie du weißt.
Wann immer wir gehofft hatten, unter den vielen Herrschern einen auszumachen, der in der Lage sein könnte, die anderen zu führen, haben wir alles daran gesetzt, ihn zu unterstützen. Mit dem Erfolg, dass jeder von ihnen uns früher oder später in den Rücken gefallen ist – vorausgesetzt, dass er sich dafür lang genug an der Macht halten konnte. Die meisten wurden ja schon frühzeitig von ihren Generälen, Beratern oder den eigenen machthungrigen Familienmitgliedern geputscht. Andere wiederum starben durch die Hände einfacher Kopfgeldjäger, die wie Unkraut aus der Erde gesprossen sind.
All diese Schwätzer im Hohen Rat verstanden sich nur allzu gut darauf, beim nächsten Mal alles besser zu machen. Doch sie sahen nicht, dass es immer wieder und wieder ein nächstes Mal gab. Wir Menschen sind einfach nicht dazu gemacht, in Frieden miteinander zu leben. Zumindest nicht, wenn wir nur auf uns gestellt sind. Ich habe das erkannt, Cedryk. Ich habe erkannt, dass wir jemanden brauchen, der schützend seine Hand über uns hält. Wie eine Mutter, die ihr närrisches Kind auf den rechten Weg weist.
Aber im Gegensatz zum Hohen Rat habe ich nicht die Hände in den Schoß gelegt und darauf gewartet, dass andere für mich in die Bresche springen. Ich habe gehandelt! Lange Zeit war ich zwar gewillt, etwas zu verändern, doch fehlte es mir an Möglichkeiten. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Denn an wen hätte ich mich wenden können, wo die Elfen und Zwerge uns bereits aufgegeben hatten? Die langlebigen Geschöpfe saßen solche Problemsituationen mit unserem Volk aus, wie sie es immer taten. Hundert oder zweihundert Jahre sind für sie keine allzu lange Dauer und mit der Zeit, so dachten sie sich wohl, würde die Menschheit des Kämpfens müde und schließlich auch wieder zur Besinnung kommen. Doch solange konnte und wollte ich nicht warten. Ich wollte mein Volk jetzt retten!«
»Und da kamen dir die Alben in den Sinn?«, mutmaßte Cedryk, der den Zusammenhang endlich zu verstehen schien.
»Ja.« Skal nickte. »Dass sie ganz ausgestorben waren, habe ich sowieso nie glauben wollen. Und eines Tages war es dann tatsächlich soweit, dass ich durch Zufall einem von ihnen begegnet bin. Es war zu der Zeit, als du in Iramalu mit einer schweren Beinverletzung ans Bett gefesselt warst. Als ich eines Nachts von einem Krankenbesuch bei dir in meine Herberge zurückkehren wollte, traf ich in einer dunklen Gasse, unweit deines Lazaretts, auf Pahrafin.
Ich weiß nicht, was er dort getan oder weshalb er mich nicht angegriffen hat, als ich im flackernden Schein meiner Laterne seine schwarzen Augen erkennen konnte. Im Nachhinein habe ich es einfach als einen Wink des Schicksals gesehen. Ein Zeichen dafür, dass ich nun endlich einen Weg gefunden hatte, um mein Volk zu retten. Denn er, der mich anhand meines Umhangs sofort als einen Iatas identifizieren konnte und in mir ebenfalls eine Chance auf die Erfüllung seiner Pläne sah, hielt unser Zusammentreffen wohl auch für vorherbestimmt. Vielleicht war es das sogar.
Nachdem ich ihm von meinen Sorgen und Ängsten über die Zukunft des Menschengeschlechtes berichtet hatte und mit der Frage endete, ob er denn nicht einen Rat wüsste, da auch seine Rasse dem Untergang mehr als nahe stand, unterbreitete er mir einen tollkühnen Plan. Seit dem Ende des Großen Krieges vor zweihundert Jahren verfolgten er und sein Bruder ebenso ehrgeizig wie erfolglos das Ziel, ihren Gott, Loës, aus der Verbannung der anderen Götter zu befreien.
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