Mit hocherhobenem Haupt und trotz der Schmerzen, die er zweifelsohne empfunden haben musste, war er in gemächlichen Schritten durch den Eingang seines Tempels gewandelt. In der einen Hand das Götterschwert, in der anderen eine dünne Kette, an der, eingelassen in eine goldene Fassung, der schwarze Tränenstein glänzte. Eine Aura der Macht war von dem Albengott ausgegangen, die dafür sorgte, dass sich Skals Nackenhaare unweigerlich aufgestellt hatten, wenn er mehr als drei Schritte an ihn herangetreten war.
Nur wenige Augenblicke nach ihrer Ankunft waren dem Iatas-Krieger auf unerklärliche Art und Weise die Lider schwer geworden, was nichts mit den Strapazen der Schlacht zu tun gehabt haben konnte. Kaum drei Atemzüge später hatte ihn ein tiefer Schlaf ereilt. Inzwischen war er sich beinahe sicher, dass der hühnereigroße Zauberstein nicht nur für die ungewohnte Art zu reisen, sondern auch für seine Müdigkeit verantwortlich war.
Allzu lange hatte die Ruhe in dem weichen Federbett allerdings nicht gewährt und nur kurz nachdem Skal aus seinem verräterischen Traum erwacht war, hatte die Peinigung durch seinen neuen Meister auch schon ihren Anfang genommen.
Zu Beginn hatte Loës, während er ihn gefoltert hatte, noch versucht, die Wunde in seinem Nacken mit abwertenden Äußerungen über die tote Elfenkönigin zu verharmlosen. Doch die Tatsache, dass er sich ab und an zurückziehen musste, gerade wenn er über einen längeren Zeitraum hinweg gestanden hatte, zeigte, wie es wirklich um ihn stand. Es war klar, dass die Schandworte einzig dem Zweck gedient hatten, seinen Schmerz zu überspielen. Im Gegensatz zu ihm schien Loës jedoch immer kürzere Pausen zu benötigen, um erholt an sein Tagewerk zurückzukehren.
Die Regenerationsfähigkeit eines Gottes ist nun einmal nicht mit der eines Sterblichen zu vergleichen , dachte Skal selbstmitleidig. Tatsächlich schien es, als ob die Kraft seines Meisters im gleichen Maße zunahm, wie die seine schwand.
Skal wusste, dass er die hypnoseähnlichen Angriffe auf seinen Verstand nicht mehr lange würde ertragen können. Dabei war es weniger so, dass Loës seinen Geist von außen manipulierte und ihm dadurch seinen Willen aufzwang. Vielmehr konnte der nervlich bis zum Zusammenbruch gepeinigte Krieger spüren, wie sein Gebieter in das Innere seines Kopfes eindrang und diesen mit aus dem Nichts kommenden Schmerzperioden zu überfluten schien.
Doch fast noch schlimmer als die sich stetig hochschaukelnde Intensität des Stechens und Brennens in seinem Hirn waren die kurzen Zeitabstände dazwischen, in denen die rauchige Stimme seines Meister ihn ganz leise immer und immer wieder die beiden gleichen Fragen stellte: Weißt du, warum ich das tue? Wirst du dich mir gegenüber noch ein einziges Mal respektlos verhalten?
Jedes einzelne Mal hatte Skal bei seinem Leben geschworen, dass Loës ihm vertrauen könne und dass es nie wieder zu einem Verrat seinerseits kommen würde. Doch es hatte nichts genützt.
»Na, denkst du an mich?«
Skal, der ohnehin schon am ganzen Körper bebte, zuckte plötzlich merklich zusammen, als er erneut die unverkennbare Stimme seines Meisters hinter sich vernahm. Geräuschlos war dieser, einem Geist gleich, durch die Rückwand seiner Kammer getreten und der alte Iatas konnte nun förmlich spüren, wie sich der stechende Blick in seinen Hinterkopf bohrte.
Loës stand so dicht hinter ihm, dass Skal die Stiefelspitzen des Gottes an seinem Rücken fühlen konnte. Indes schien er selbst wie von unsichtbaren Kräften am Boden gehalten zu werden und es gelang ihm nur unter größten Anstrengungen, den Kopf ein wenig zur Seite zu drehen. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie sich der Umhang seines Gebieters bewegte, so als würde ein leichter Luftzug ihn erfassen. Der sich kräuselnde Stoff raschelte kaum vernehmlich, was jedoch in Skals schnaufender Atmung unterging.
Ohne einen einzigen Ton von sich zu geben, umrundete der Albengott seinen Sklaven, dem er, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, den Respekt beibringen wollte, an dem dieser es bisher hatte mangeln lassen. Denn schließlich war es die Mühe wert. Loës konnte spüren, dass in dem Menschen noch großes Potenzial schlummerte, welches sich schon bald zeigen würde. Erneut begann er zu sprechen und wählte dabei einen bewusst spöttischen Unterton.
»Du hast mich nicht so früh zurückerwartet, nicht wahr? Hast du gehofft, ich würde noch ein wenig meine Wunde lecken und ebenso in Selbstmitleid zerfließen wie du?« Skal antwortete nicht, doch es lief ihm kalt den Rücken herunter, als die Worte süffisant an sein Ohr drangen und er kurz darauf ihren tieferen Sinn verstand.
»M...Meister, ich habe nicht ... ich ... ich wollte nicht ...« Seine Stimme war ebenso leise wie die des Dunklen Herrschers, doch klang sie um einiges kraftloser. Müde und erschöpft bewegten sich die Lippen des einst so stolzen Kriegers nur langsam. Sein Verstand hingegen arbeitete – bemessen auf seine momentanen Verhältnisse – im Hochakkord. Was hatte das nur zu bedeuten? Woher wusste sein Herrscher, was er dachte? Konnte er etwa ...
»Ja, Skal, deine Gedanken sind für mich ein offenes Buch«, unterbrach Loës seine Überlegung. Diesmal klangen die Worte seltsam beherrscht, so als müsse er sich zurückhalten, um den am Boden Liegenden nicht anzuschreien oder Schlimmeres mit ihm zu machen. Dem Iatas stockte der Atem. Unwillkürlich schloss er die Augen, in der Hoffnung, sein Innerstes damit vor dem Eindringen von außen schützen zu können. Gleichzeitig versuchte er an nichts zu denken, was sich als schwer erwies, da ihm gegen seinen Willen wieder der Gedanke daran kam, wozu sein Meister wohl noch alles in der Lage war.
Dass Loës die Fähigkeit des Gedankenlesens besaß, hatte Skal schon befürchtet, seit dieser in seinen Traum eingedrungen war und ihn dort zu dem Geständnis gebracht hatte, für welches er nun geradestehen musste. Doch so deutlich wie jetzt hatte der Albengott ihm seine Kunst noch nie vor Augen geführt.
»Ich glaube, du hast es immer noch nicht ganz verstanden«, raunte es vielsagend durch das Zimmer, sodass die Worte an den Wänden widerhallten. Skal konnte spüren, wie der Herrscher der Dunkelheit sich langsam zu ihm hinabbeugte und die langen, spinnenbeinähnlichen Finger nach seinem Gesicht ausstreckte. Es fiel ihm unsagbar schwer, keinen wimmernden Laut von sich zu geben oder zu versuchen, mit dem Kopf wegzuzucken. »Du bist ein Nichts, und wenn ich es will, dann stirbst du auf der Stelle. Aber ich habe Größeres mit dir vor und deshalb muss ich mich darauf verlassen können, dass du mir stets zu Willen bist.«
»Ich bin Euch treu, Meister. Nur Euch allein«, beschwor Skal zum unzähligen Male. Dabei versuchte er seine Stimme, die er kaum erheben musste, da das lange, spitze Ohr seines Herrschers mit Sicherheit nur eine Handspanne von seinem Mund entfernt war, fest und selbstsicher klingen zu lassen. »Nie wieder werde ich Euch Anlass dazu geben, an meiner Treue zu zweifeln.«
»Falsche Antwort!«, kam es augenblicklich und mit Eiseskälte zurück, während Loës sich erhob. Skal, der in ebendiesem Moment seine Augen wieder ein klein wenig zu öffnen gewagt hatte, sah noch, wie sich sein Meister Zeige- und Mittelfinger an die Stirn legte. Noch im selben Augenblick jagten unsagbare Schmerzen durch seinen Kopf und zwangen ihn zu den abstrusesten Verrenkungen.
Obwohl Skals Schultern und das Becken nach wie vor fest auf den Stein gedrückt waren, hob sich seine Hüfte unnatürlich weit vom Boden ab, während Arme und Beine in wildes Zucken verfielen. Kontrolle über diese Handlungen hatte er keine mehr. Das Einzige, zu dem er noch fähig war, war das Empfinden von Schmerz.
Glühend heiße und eiskalte Ströme durchfluteten seinen Kopf von beiden Seiten, bis sie sich schließlich in der Mitte vereinten und das Innere seines Schädels in Dampf zu verwandeln schienen. Skal schrie aus Leibeskräften. Ein zufriedenes Grinsen von Loës war jedoch das Einzige, was er damit hervorrief.
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