Datenabzocke erschüttert Vertrauen
Doch nicht nur mit dem Diebstahl von virtuellem Geld hat das Internet zu kämpfen, auch der massenhafte Identitätsklau ist ein leidvolles Thema, das wertvolles Vertrauen verspielt. Ein Vertrauensverlust, der für eine moderne Gesellschaft bedrohlich ist, zumal deren digitaler Umbau mitten im Gange ist. Vor zehn Jahren titelte der Fernsehsender ntv auf seiner Webseite »Wilde Zeiten. 2009. Das Jahr der Datenskandale«. 40 Der größte Skandal war dabei der Angriff eines jungen Hackers, dem es gelungen war, 1,6 Millionen Userdaten bei SchülerVZ abzuziehen. 41 Zehn Jahre später ist das bereits Peanuts. Da lautete die Schlagzeile: »Millionen Passwörter im Netz veröffentlicht«. 42 Ein Konglomerat aus 773 Millionen gestohlenen E‐Mail‐Adressen und 21 Millionen Passwörter wurden frei zugänglich ins Netz gestellt. 43 Der Datenklau verzeichnete eine steile Kurve nach oben. Doch dieser Kursanstieg war kein Gewinn wie an der Börse, sondern ein Verlust, bei dem das Vertrauen der Kunden in den Keller rutschte. Der bisher größte Datenklau aber geschah 2013 bei Yahoo. Daten von drei Milliarden Yahoo‐Konten wurden gehackt. 44 Betroffen von Datenabzocke waren nicht nur die großen Konzerne wie Yahoo, auch die kleinen und mittleren Unternehmen wurden in Mitleidenschaft gezogen. Jedes zweite mittelständische Unternehmen wurde bereits Opfer. 45 Ein Ende ist nicht in Sicht. Der Identitätsklau wurde ein ständiger Begleiter der digitalen Gesellschaft.
Daten als Geschäftsmodell
Weiteres wertvolles Vertrauen wurde verspielt, als der illegale Datenaustausch der großen IT‐Konzerne aufflog. Allen voran: Facebook. Inzwischen hat das Unternehmen sich einen unrühmlichen Namen beim Datenhandel gemacht. Doch Facebook schaut auf sein Geschäftsgebaren mit ganz anderen Augen. Der Datengigant brüstet sich damit, weltweit 2,5 Milliarden Menschen miteinander zu vernetzen. 46 Dabei entstehen Daten in einer sozialen Tiefe, die nicht nur Marketingstrategen Tränen des Glücks in die Augen treiben, sondern auch Geheimdienste neidisch werden lassen. Die Verbraucher aber sind sauer wegen der illegalen Abzocke ihrer privaten Daten, vor allem in Deutschland. Facebook steht am sozialen Pranger. Immer wieder taucht der Name Facebook auf, wenn es im großen Stil um Datenverkauf oder Datennutzung im Graubereich geht. So etwa bei dem Skandal um Cambridge Analytica. 47 Als Facebook‐Kunden die App ›thisisyourdigitallife‘ nutzten, hatten viele von ihnen geglaubt, sie unterstützten mit ihren Daten die wissenschaftliche Forschung. Tatsächlich aber erstellte Cambridge Analytica Psychogramme der Facebook‐Kunden und verkaufte diese Daten an politische Strategen. Solche Daten sollen Trump zum Sieg verholfen haben. Damit jedenfalls prahlte der ehemalige Chef von Cambridge Analytica, Alexander Nix. 48 Kurz darauf wurde er gefeuert. Nach dem Fernsehinterview war klar: So werden scheinbar harmlose Daten zur politischen Waffe. Es ist sicher kein Zufall, dass der rechtspopulistische Stephen Bannon, einst Chefstratege von Trump, Vizepräsident in dem Unternehmen war, das inzwischen Konkurs angemeldet hat. 49 Vermutlich war die Berichterstattung, nachdem die Sache aufgeflogen war, doch nicht so gut fürs Geschäft. Doch das bedeutet nicht, dass damit dem illegalen Datenhandel ein Riegel vorgeschoben ist. Wo das eine Unternehmen Konkurs anmeldet, wird woanders einfach ein neues Unternehmen gegründet. Die neue Firma Emerdata ist laut eigener Beschreibung ebenfalls in der Datenverarbeitung tätig. 50 Möglicherweise war die Schließung von Cambridge Analytica bloß ein raffinierter Schachzug, um die Geschäfte nun mit neuem Namen weiterführen zu können.
Cambridge Analytica und die Folgen
Es geht also bei Facebook nicht nur darum ›Menschen miteinander zu verbinden‘, wie das in Kalifornien ansässige Unternehmen immer wieder betont, sondern im Wesentlichen darum, mit diesen Daten eine Menge Geld zu verdienen. Was andere mit den Daten machen, interessiert den Zuckerberg‐Konzern offenbar nicht. So flüsterten eingeweihte Whistleblower der englischen Zeitung Guardian , dass der Populist und Anti‐Europäer Nigel Farrage mit Cambridge Analytica zusammengearbeitet haben soll, das wiederum die Facebook‐Daten zu nutzen wusste. 51 Auch Boris Johnson steckte demnach 40 Prozent seines Wahlkampfgeldes in ein kanadisches Unternehmen, das wiederum eng mit Cambridge Analytica arbeitete. 52 Es ist daher davon auszugehen, dass dieses Datenwissen auch beim Brexit eine große Rolle gespielt hat. Das ist zwar noch nicht alles bis ins Letzte belegt, aber die Recherchen der Investigativjournalistin Carole Cadwalladr haben eine Menge ans Tageslicht gebracht. 53 So weiß Cadwalladr, dass es einen noch nicht namentlich genannten amerikanischen Milliardär gab, der mit seiner Firma beim Brexit‐Referendum half, in Großbritannien »den größten konstitutionellen Wechsel des Jahrhunderts« herbeizuführen. 54 Mit diesen Fragen und auch mit der, inwieweit die Russen die Anti‐Europa‐Kampagnen im Vorfeld des Brexit massiv beeinflusst haben, hat sich ein Untersuchungsausschuss in London befasst, dessen Ergebnisse Boris Johnson jedoch unter Verschluss hält. 55 Nun ist auch dem Letzten klar: Die Kontrolle über unsere Daten haben wir längst verloren. Denn Facebook hat nicht nur mit jenem ominösen Unternehmen Cambridge Analytica das ganz große Rad beim Datenhandel gedreht, auch mit Giganten wie Yahoo und Netflix betrieb es jahrelang ähnliche Deals. 56 Irgendwann aber packten ehemalige Mitarbeiter bei der Washington Post aus und nannten mehr als 150 Firmen, mit denen der Zuckerberg‐Konzern solche Geschäfte betrieben hatte. 57 Amazon, Spotify, Microsoft, Apple – alle profitierten davon. 58 Geld floss angeblich nicht, man half sich gegenseitig beim Wachstum und dafür brauchte man die Daten. 59 Mit diesen Daten können die Datenkonzerne die Kunden viel präziser ansprechen. Je individueller die Werbung auf den User angepasst ist, desto mehr Geld lässt sich mit den Klicks verdienen.
Auch Identitäten werden geklaut
Als der Skandal öffentlich bekannt wurde, machte sich bei den Kunden der Tech‐Riesen Unsicherheit breit, aber auch eine gewisse Resignation. Wer am digitalen Leben teil haben will, so glaubten und glauben immer noch viele, müsse wohl diese Nachteile in Kauf nehmen. Doch das Vertrauen, dass ihre Daten dort gut aufgehoben sind, ist dahin. Dabei ist es nicht nur der Verkauf ihrer privaten Daten, der viele Nutzer hat misstrauisch werden lassen, auch die Tatsache, dass immer wieder spektakuläre Hacks offenbaren, dass die Daten in den Clouds von Microsoft & Co. vor fremdem Zugriff nicht sicher sind, verunsichert die Kunden. 60 Offenbar zu Recht. Denn niemand weiß, was alles mit den Daten gemacht wird, wenn sie entwendet oder kopiert werden. Identitätsklau ist dabei ein großes Thema. Sind die Identitäten der Kunden erst einmal in die falschen Hände geraten, können Kontobewegungen manipuliert, falsche Personalausweise ausgestellt oder massenhaft Waren bestellt werden, die der eigentliche Inhaber der Identität im Zweifelsfall bezahlen muss. Dann muss Strafanzeige gestellt und die Bank informiert werden. Und zwar rasch. Sonst kann es teuer werden bis hin zur privaten Insolvenz. 61
CEO‐Fraud macht die Runde
Von professionellem Identitätsklau sind auch Führungspersönlichkeiten in Unternehmen betroffen. Ermittler nennen das ›CEO‐Fraud‘. Doch das läuft ein wenig raffinierter. Dazu werden soziale Kontakte des CEOs im Netz ausgespäht, die Mitteilungen zu künftigen Investments auf der Unternehmenswebseite verfolgt und vieles mehr. So sind die Täter bestens informiert. Sie wissen, wo sich die Führungskräfte befinden, nutzen etwa deren Auslandsaufenthalt, um mit Hilfe einer gefälschten E‐Mail‐Adresse oder einem Telefonat in der Buchhaltung Zahlungen auf andere Konten umzuleiten. 62 Meist erzeugen sie künstlichen Zeitdruck, damit nicht zu viel nachgedacht wird. Dass das funktioniert, zeigen die Zahlen. Der CEO‐Fraud verursachte allein in Nordrhein‐Westfalen im Jahr 2017 einen Schaden von 8,9 Millionen Euro. 2018 lag er bei 6,8 Millionen Euro. 63 Und das sind nur die offiziellen Zahlen eines einzigen Bundeslandes. Die Dunkelziffer wird um ein Vielfaches höher geschätzt. Dabei sind die Betrüger flexibel. Erst waren die Großunternehmen im Visier, jetzt sind es die mittelständischen Betriebe, denn die Großen sind sicherheitstechnisch inzwischen gut geschützt. Praktisch ist für die Betrüger auch, dass bei mittelständischen Unternehmen die Entscheidungswege kürzer sind. Manchmal gibt es nur ein oder zwei Leute im Unternehmen, die manipuliert werden müssen. So haben sie leichteres Spiel. 64
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