III.Öffentlicher Auftrag
1.Begriff
Während § 98 GWB den persönlichen Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts festlegt, beschreibt § 103 (im Zusammenspiel mit den Schwellenwerten der VgV) den sachlichen Geltungsbereich, indem die Vorschrift definiert, was unter „öffentlichen Aufträgen“ zu verstehen ist.
§ 103 Abs. 1 GWB enthält eine Legaldefinitiondes Begriffs des öffentlichen Auftrags. Öffentliche Aufträge sind danach entgeltliche Verträgevon öffentlichen Auftraggebernund Wirtschaftsteilnehmern überdie Beschaffung von Leistungen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungenzum Gegenstand haben.
Der Begriff des Entgeltsist weit auszulegen; die Gegenleistung muss nicht notwendig in einer Geldzahlung bestehen. Erfasst wird jede Gegenleistung, die einen Geldwert hat. Dies kann auch in der bloßen Erstattung der Kosten des Auftragnehmers bestehen. 74Der BGH hat sogar einen entgeltlichen Vertrag angenommen, wenn ein Landkreis die Altpapierentsorgung nachfragt und dem Auftragnehmer für diese Leistung lediglich das Altpapier, für das der Auftragnehmer seinerseits ein Entgelt zu zahlen hat, überlässt. 75Die Entsorgung von Pappe, Papier und Karton ist eine Dienstleistung; das Entgelt besteht in der Überlassung eines Sekundärrohstoffs zur eigenständigen wirtschaftlichen Verwertung. Dem Vergaberecht unterfällt damit grundsätzlich jede Art von zweiseitig verpflichtendem Vertrag. 76
Fall 7:Beste Absichten
Sachverhalt:
Die Stadtvertretung der Stadt B hat beschlossen, dem Abschluss eines Rahmenvertrages zwischen der Stadt und der Firma Nordman AS zur Entwicklung und Errichtung wirtschaftlicher und touristischer Infrastrukturprojekte in B zuzustimmen. In der Präambel des Vertrages erklären die Vertragspartner ihre Absicht, bei der Entwicklung der Stadt B zu einem Kurort auf der Basis der städtischen Planungs- und Entwicklungsziele zusammenzuarbeiten. Konkrete Projekte enthält der Rahmenvertrag nicht. Eine Ausschreibung ging dem Abschluss des Vertrages nicht voraus. Aus diesem Grunde legt das Entwurfsbüro Gordon Grau einen Rechtsbehelf ein. Es ist der Auffassung, dass es einer Ausschreibung nach vergaberechtlichen Vorschriften bedurft hätte. Trifft diese Ansicht zu?
Lösung:
Fraglich ist, ob der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet ist. Voraussetzung hierfür ist, dass es sich um einen öffentlichen Auftrag handelt, folglich um entgeltliche Leistungen, zu denen sich ein Vertragspartner verpflichtet. Demgemäß sind Rahmenvereinbarungen nach § 15 UVgO Vereinbarungen zwischen einem oder mehreren Auftraggebern und einem oder mehreren Unternehmen, die dazu dienen, die Bedingungen für die öffentlichen Aufträge, die während eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis.
Der hier vorliegende Rahmenvertrag enthält keine Bestimmung, die eine Zahlungsverpflichtung der Stadt B begründet. Einklagbare Forderungen können erst auf der Grundlage von konkreten Einzelverträgen entstehen; Vertragsgegenstand ist hier aber lediglich eine Kooperation. Dabei bleibt aber unberücksichtigt, dass Rahmenvereinbarungen jedenfalls im Ergebnis auf einen Leistungsaustausch gerichtet sind und in der Regel auch ein schützenswertes Vertrauen auf Seiten des Auftragnehmers begründen, dass daraus später Einzelaufträge erfolgen werden.
Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal verlangt die Rechtsprechung für einen öffentlichen Auftrag eine einklagbare Leistungsverpflichtungdes Auftragnehmers. Hieran fehlt es beispielsweise, wenn die öffentliche Hand im Rahmen eines Vertrages mit einem gemeinnützigen Verein Zuwendungen für dessen Tätigkeit bei der Ausführung sozialer Leistungen (etwa die Betreuung von Asylbewerbern) gewährt, im Vertrag jedoch die Leistungen des Vereins nicht im Einzelnen und verbindlich definiert sind, sondern dem Verein lediglich ein Verwendungsnachweis für die Finanzmittel obliegt und als Sanktion für die zweckwidrige Mittelverwendung die Rückforderung der Zuwendungen bestimmt ist.
Unerheblich ist, ob der Vertrag – wie regelmäßig – privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur ist. Im Hinblick auf Letzteres rückt vor allem die interkommunale Zusammenarbeitin das Blickfeld des Vergaberechts. Öffentlich-rechtliche Kooperationsverträge zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften dürfen nach der Rechtsprechung des EuGH nicht von vornherein der Anwendbarkeit des Vergaberechts entzogen werden. 77Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorfliegt ein öffentlicher Auftrag vor, wenn eine Gemeinde ihre Nachbargemeinde mit dem Einsammeln und Entsorgen von Abfall beauftragt. Zur Begründung führt das Gericht aus, die beauftragte Gemeinde sei Unternehmerin im funktionellen Sinne, da sie außerhalb ihres Gemeindegebiets tätig werde und sich wie ein Marktteilnehmer verhalte. 78
Besondere Beachtung fand eine Entscheidung des OLG Naumburg 79, wonach selbst ein Fall einer echten Aufgabendelegation, bei der die Gemeinde ihre Zuständigkeit insgesamt auf eine andere Körperschaft, zum Beispiel einen Zweckverband, überträgt, vergaberechtlich erfasst werden kann. Die EU-Kommission, die diese Auffassung zunächst ebenfalls vertreten hatte, hat inzwischen eine Reihe von Vertragsverletzungsverfahren eingestellt, wenn mit der Aufgabendelegation eine nahezu vollständige Übertragung von Verantwortlichkeiten erfolgt ist.
Inzwischen haben sowohl der EU-Normgeber und – in nationaler Umsetzung der Richtlinien – auch der deutsche Gesetzgeber eine ausdrückliche Regelung zu den Voraussetzungen einer vergabefreien vertraglichen Kooperation zwischen mehreren öffentlichen Auftraggebern geschaffen (vgl. § 108 Abs. 6 GWB).
2.Abgrenzung der Auftragsarten
Schwierigkeiten in der Praxis bereiten bisweilen die Unterscheidung zwischen den einzelnen Auftragsarten und die daraus resultierende Anwendbarkeit der jeweiligen Vergabe- und Vertragsordnung. Grundsätzlich empfiehlt sich die folgende Prüfungsreihenfolge:
Zunächst ist zu prüfen, ob bei der Vergabe des Auftrages Sonderregelungen – wie das Sondervergaberecht der SektVO oder der VSVgV oder der KonzVgV – anzuwenden sind. Ist der Gegenstand der Vergabe keine Sektorentätigkeit i. S. d. § 102 GWB – dies sind sämtliche Aufträge, die im Zusammenhang mit Tätigkeiten auf dem Gebiet der Trinkwasserversorgung, der Energieversorgung (Elektrizitäts-, Gas- und Wärmeversorgung) oder des Verkehrs vergeben werden 80–, keine verteidigungs- oder sicherheitsspezifische Beschaffung i. S. d. § 104 GWB – z. B. der Beschaffung von BOS-Digitalfunkgeräten für die Landespolizei – und keine Konzession i. S. d. § 105 GWB – bei der das Entgelt bzw. ein wesentlicher Teil des Entgelts in der vorübergehenden Überlassung des Rechts zur eigenen wirtschaftlichen Verwertung der Leistung besteht und der Auftragnehmer das Betriebsrisiko übernimmt (z. B. Neubau eines Autobahnabschnitts gegen das Recht der Einziehung einer Maut für einen Zeitraum von 20 Jahren) –, so kommt das klassische Vergaberecht zur Anwendung.
Innerhalb des Vergaberegimes einer Vergabeverordnung ist zu prüfen, ob es sich um einen Bauauftragi. S. d. § 103 Abs. 3 GWB handelt und demgemäß im Wesentlichen die VOB/A anzuwenden ist. Ist das nicht der Fall, ist zu prüfen, ob ein Lieferauftragi. S. d. § 103 Abs. 2 GWB gegeben ist. Wird auch diese Frage verneint, liegt ein Dienstleistungsauftragvor. Bei Dienstleistungsaufträgen ist u. U. weiter zu differenzieren zwischen „klassischen“ Dienstleistungen, sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen i. S. d. § 130 GWB, Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr i. S. d. § 131 GWB, Planungswettbewerben i. S. d. § 103 Abs. 6 GWB und Architekten- und Ingenieurleistungen i. S. d. § 73 Abs. 2 VgV.
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