Das Merkmal der Nichtgewerblichkeitder Aufgabenwahrnehmung dient der Einschränkung des Begriffes der im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe. Eine Aufgabe ist häufig dann nichtgewerblicher Art, wenn mit ihrer Erfüllung keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt wird. Allerdings ist zu beachten, dass die Gewinnerzielungsabsicht allein die Nichtgewerblichkeit nicht ausschließt. Sie ist aber ein gewichtiges Indiz für die Gewerblichkeit des Handelns. Immer ist die Frage zu stellen, ob das Unternehmen ebenso wie ein Privatunternehmen dem Druck des Wettbewerbs standzuhalten hat oder über eine staatlich herbeigeführte marktbezogene Sonderstellungverfügt. Der EuGH fragt danach, ob das Unternehmen Gewinne zu erzielen beabsichtigt, unter normalen Marktbedingungen agiert und das Verlustrisiko selbst trägt. Liegen diese Kriterien vor, spricht dies für eine Gewerblichkeit der Aufgaben.
Weiterhin erforderlich ist eine gewisse Staatsnäheder juristischen Person, die sich aus einer überwiegenden Finanzierung durch die öffentliche Hand und deren Beteiligungen oder aus der Reichweite der staatlichen Aufsicht – etwa durch die Satzung und den Gesellschaftsvertrag oder die tatsächliche Besetzung ihrer Organe und Gremien 67– ergeben kann. Nur im Fall eines solchen öffentlichen Beherrschungsverhältnissesi. S. einer qualifizierten staatlichen Einflussnahmemöglichkeit kann es sich um einen öffentlichen Auftraggeber gem. § 99 Nr. 2 GWB handeln.
Fall 6:Wohnungsbau im Zwielicht
Sachverhalt:
Die Wohnungsbau GmbH ist eine 100 %-ige kommunale Gesellschaft in einer Großstadt. Sie wurde ursprünglich gegründet, um Sozialwohnungen zu errichten und zu bewirtschaften. Die GmbH beabsichtigt den Neubau eines Wohnparks „Wohnen im Sonnenschein“ mit höherwertigen Eigentumswohnungen in einer gelockerten Bauweise. Sie schreibt die Planungsleistungen trotz der Überschreitung des maßgeblichen Schwellenwerts nicht EU-weit aus, sondern schließt einen Architektenvertrag mit Büro „Immer bereit“. Der Architekt Argus leitet ein Nachprüfungsverfahren ein und beantragt die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages wegen der Nichtbeachtung der Ausschreibungspflicht. Mit Erfolg?
Lösung:
Ob eine EU-weite Ausschreibungspflicht besteht, hängt davon ab, ob die Wohnungsbau GmbH in den subjektiven Anwendungsbereich des GWB fällt. Sie ist zwar privatrechtlich organisiert, ihre Geschäftsanteile hält aber allein die Kommune, die ein klassischer öffentlicher Auftraggeber ist. Nach § 99 Nr. 2 GWB kommt es deswegen darauf an, ob die GmbH als juristische Person (nicht etwa nur bei dem konkreten Bauvorhaben) bei wertender Betrachtung ausschließlich oder jedenfalls teilweise dem Zweck dient, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen. Der GmbH obliegt, auch wenn sie mit dem konkreten Bauvorhaben ein anderes Ziel verfolgt, zumindest auch der soziale Wohnungsbau und das Anbieten von Sozialwohnungen; diese Aufgaben liegen im Allgemeininteresse. Die vorbeschriebene Tätigkeit erfolgt zwar in einem gewerblichen Umfeld, es gibt auch private Wohnungsbaugesellschaften. Die GmbH arbeitet nach privatwirtschaftlichen Prinzipien; daran ändert es nichts, dass sie etwaige Gewinne u. U. an ihre Gesellschafterin abführen muss. Das spricht gegen eine Stellung als öffentlicher Auftraggeber. Jedoch unterliegt die GmbH im Unterschied zu typischen Marktteilnehmern keinem realen Insolvenzrisiko. Häufig existiert sogar schon eine entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag. Selbst wenn eine Einstandsverpflichtung nicht vertraglich geregelt ist, spricht vieles dafür, dass die Stadt als alleinige Gesellschafterin bei drohender Insolvenz finanziell einspringt, um ihr Instrument für die Realisierung einer sozialverträglichen Wohnungspolitik nicht zu verlieren. Dem steht auch nicht entgegen, wenn aktuell das Insolvenzrisiko der GmbH gering sein sollte, denn die Insolvenzfestigkeit verschafft ihr eine atypische, nicht gewerbliche Marktstellung als Nachfrager von Bau- und Planungs- oder Finanzleistungen. Bei wertender Betrachtung ist sie der öffentlichen Hand zuzurechnen und muss deswegen das Vergaberecht beachten.
Nach § 99 Nr. 3 GWB sind auch Verbände, deren Mitglieder unter Nr. 1 oder 2 der Vorschrift fallen, öffentliche Auftraggeber. Der Begriff „Verband“ umfasst Zusammenschlüsse aller Art, ohne dass es auf die Rechtsform ankommt. Er erfasst insbesondere Zweckverbändeund Spitzenverbändewie etwa Städte- und Landkreistage.
§ 100 GWB qualifiziert natürliche und juristische Personen des privaten Rechts, die in bestimmten Aufgabenfeldern („Sektoren“) tätig werden, als öffentliche Auftraggeber. Als Sektoren gelten nur noch 68die in § 192 GWB aufgeführten Bereiche der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung . 69
Sektorenunternehmen gelten einmal dann als öffentliche Auftraggeber, wenn sie einem beherrschenden Einfluss der öffentlichen Handunterliegen. Auch wenn der beherrschende Einfluss des Staates fehlt, handelt es sich um öffentliche Auftraggeber, wenn Sektorenunternehmen ihre Tätigkeiten auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechtenausüben, die von einer zuständigen Behörde gewährt wurden. Nach § 100 Abs. 2 GWB handelt es sich bei diesen um solche Rechte, die dazu führen, dass die Ausübung dieser Tätigkeiten einem oder mehreren Unternehmen vorbehalten wird und dass die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigt wird. Erfasst werden z. B. Unternehmen, denen der Staat Privilegien bzw. eine Monopolstellung einräumt, etwa durch Gewährung von Wegerechten, Ausschließlichkeitsrechten (Anschluss- und Benutzungszwang zugunsten privater Unternehmen) und Grundstücksnutzungsrechten.
§ 99 Nr. 4 GWB erfasst Auftraggeber im Bereich öffentlich geförderter Projekte. Es handelt sich um natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts, soweit Letztere nicht unter Nr. 2 fallen, die Leistungen im Zusammenhang mit der Erstellung von bestimmten Bauvorhaben nachfragen und die für das Gesamtprojekt erforderlichen Mittel zu mehr als 50 % von Auftraggebern nach § 99 Nr. 1 bis 3 GWB erhalten. Als einschlägige Bauvorhaben benennt die Vorschrift abschließend Tiefbaumaßnahmen, die Errichtung von Krankenhäusern, Sport-, Erholungs- oder Freizeiteinrichtungen, Schul-, Hochschul- oder Verwaltungsgebäude, wobei auch die damit in Verbindung stehenden Dienstleistungen und Auslobungsverfahren erfasst werden. Jedenfalls für bestimmte umfangreichere Bauvorhaben, die im Allgemeininteresse verwirklicht werden, soll es keinen Unterschied machen, ob öffentliche Auftraggeber diese Aufträge selbst vergeben oder durch Dritte vergeben lassen, wenn dabei überwiegend Finanzmittel der öffentlichen Hand zum Einsatz kommen.
Wird ein Vergabeverfahren von mehreren Auftraggebern mit (z. T.) verschiedenen Bedarfen eingeleitet, spricht man von einer „zentralen Beschaffung“.
Dem Auftraggeber stehen als potentielle Vertragspartner die Wirtschaftsteilnehmergegenüber. Wirtschaftsteilnehmer kann jedes Subjekt mit eigener Rechtspersönlichkeit sein, das weder Verbraucher ist noch im Rahmen hoheitlicher Befugnisse tätig wird; auf eine bestimmte Rechtsform, eine dauerhafte Betätigung am Markt oder Gewinnerzielungsabsicht kommt es hierbei nicht an. 70Daher kann auch eine Kapitalgesellschaft der öffentlichen Hand auf eine Ausschreibung bieten, wenn sie weder an der Vorbereitung der Vergabe noch an der Vergabeentscheidung beteiligt war und dadurch einen wettbewerbswidrigen Wissensvorsprung gegenüber den Konkurrenten erlangen konnte. 71Maßgeblich für die Eigenschaft als Wirtschaftsteilnehmer ist die Herstellung oder Verteilung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, die nicht zu privaten Zwecken erfolgt, sondern dem Erwerbsleben zugerechnet wird. Unternehmen sind daher auch Freiberufler, staatliche Unternehmen, Universitätenund deren Einrichtungen 72sowie Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des Öffentlichen Rechts, soweit diese berechtigt sind, wie ein Unternehmen am Wettbewerb teilzunehmen. 73
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