• Handmotorik (Hände und Finger)
• Körperlänge, Körpergewicht, Kopfumfang.
Die Diagnostik der Bewegungsmuster wird Motoskopie genannt. Ein ausführliches Untersuchungsschema hat Touwen bereits 1982 vorgelegt. Ein wichtiges Merkmal dieses Untersuchungsschemas ist die Beobachtung assoziierter Bewegungsmuster: Das sind unwillkürliche Mitbewegungen, z. B. der Zunge, des Mundes oder der anderen Körperseite, die bei Kindern bis zu sechs Jahren in gewissem Maße normal sind. Auch Erwachsene kennen das: Bei einer sehr diffizilen handmotorischen Aufgabe oder beim Zehengang verzieht sich manchmal der Mund, die Zunge wird ein bisschen vorgestreckt oder die gegenseitige Hand spiegelt die Bewegung der ausführenden Hand. Solche assoziierten Bewegungen lassen sich bei einer leicht durchzuführenden Aufgabe sehen: Das Kind steht mit ausgestreckten Armen und gespreizten Fingern. Es soll dann den Mund öffnen und die Augen schließen. Kinder bis zu acht Jahren haben unter dieser Bedingung häufig assoziierte Bewegungen und Haltungsasymmetrien. Stark ausgeprägte assoziierte Bewegungen können ein Hinweis für eine neurologische Erkrankung sein.
Wenn die neurologische Untersuchung keine ausreichende Klarheit der Befunde schafft, sollte der Kinder- und Jugendarzt weitergehende Untersuchungen durchführen oder veranlassen.
Weitergehende Untersuchungen
• Blut, Urin zur Prüfung, ob eine Infektion oder eine Stoffwechselstörung vorliegt
• Ultraschalluntersuchung des Gehirns (ist bei Säuglingen möglich, bei denen die Fontanelle noch nicht geschlossen ist)
• Kernspintomographie (MRT) bei Verdacht auf raumfordernden Prozess, Fehlbildung, Erweiterung der Hirninnenräume (Hydrozephalus), perinatale Hirnschädigung
• Genetische Untersuchungen zur Prüfung von Fehlbildungskrankheiten (Syndrome)
• Elektrophysiologische Untersuchungen mittels Hirnstromuntersuchung (EEG), Nervenleitgeschwindigkeit (NLG), Elektromyogramm (EMG) bei Verdacht auf Epilepsie, Muskelerkrankung, Erkrankung des peripheren Nervensystems.
In der Sportwissenschaft werden die motorischen Leistungen ähnlich wie in der Medizin unterteilt: Bei der Körpermotorik werden die Lokomotionsbewegungen, großmotorische Teilkörperbewegungen und die Haltung unterschieden und entsprechend untersucht. Unterschiede zur oben dargestellten ärztlichen Diagnostik bestehen darin, dass neben den Fähigkeiten der Koordination, der Haltung und der Muskelanspannung auch die Ausdauer, die Belastbarkeit und die Schnelligkeit eine wesentliche Rolle spielen. Oberger und Mitarbeiter (Oberger, Opper, Karger, Worth, Geuder & Bös, 2010) differenzieren zehn Leistungsbereiche: aerobe und anaerobe Ausdauer, Kraftausdauer, Maximalkraft, Schnellkraft, Aktionsschnelligkeit, Reaktionsschnelligkeit, Koordination unter Zeitdruck, Koordination bei Präzisionsaufgaben und Beweglichkeit. In der ärztlichen Praxis scheitert eine Ausdauerdiagnostik meist an den Kosten und der Zeit. In einem pädagogischen Kontext sind aber Faktoren wie Ausdauer, Schnellkraft und Reaktionsgeschwindigkeit leichter zu beobachten und können sehr wertvolle Hinweise für die motorische Leistungsfähigkeit eines Kindes geben.
4.1.3 Merkmale einer motorischen Störung
Bei einer neurologischen Untersuchung können sich verschiedene motorische Auffälligkeiten präsentieren. Diese Symptome sind (An-)Zeichen, also noch kein Ausdruck einer Störung. Auf eine neurologische Auffälligkeit können folgende Symptome deuten:
• Zustand herabgesetzter Muskelspannung (Hypotonus)
• Zustand erhöhter Muskelspannung (Hypertonus)
• gesteigerte Reflexerregbarkeit (Hyperreflexie)
• Überstreckung des Rumpfes (Opisthotonus)
• allgemeine Übererregbarkeit (Hyperexzitabilität)
• Seitendifferenzen im Tonus, in der Haltung, in der Bewegung oder in den Reflexen (Asymmetrie)
• verspätetes Abklingen der Neugeborenen-Reflexe (Persistenz von Neugeborenen-Reflexen)
• angeborene oder erworbene, knöcherne oder muskulär bedingte Extremitätenfehlstellungen.
4.2 Einteilung der motorischen Störungen
Die motorischen Störungen werden in willkürliche und unwillkürliche Formen unterschieden. Störungen der willkürlichen Motorik sind:
• Schlaffe Parese (Lähmung): geringe Muskelanspannung (Hypotonus) und geringe Kraft
• Spastische Parese: starke Muskelanspannung, die aber nicht selektiv genug und schlecht dosiert ist
• Ataxie: zeitlich-räumliche Störung der Koordination, Bewegungsunsicherheit mit falscher Anspannung und überschießend-ausfahrenden Bewegungen (z. B. in der Handmotorik) oder mit unflüssigen und wackeligen Mustern (Gangataxie).
Unwillkürliche, nicht an eine Intention gebundene Muskelkontraktionen werden als Dyskinesie oder dyskinetische Bewegungsstörung bezeichnet. Zu den Dyskinesien zählen u. a. Tics: unwillkürliche, schnelle und stereotype Bewegungen, manchmal mit Lautäußerung.
Kinder mit schlechter Muskelanspannung, schlaffem Tonus und hypotoner Bewegungs- und Haltungsstörung machen uns oft Sorgen. Sie werden zwar oft ermahnt, sich besser zu halten, aber sie können ihre Körperspannung nicht dauerhaft hochhalten. Ursächlich ist oft eine Veranlagung. Erst viel später, in der Pubertät, kann sich der Tonus unter dem Einfluss der Hormone verbessern. Eine Therapie ist dann sinnvoll, wenn andere Entwicklungsschwierigkeiten parallel bestehen: Eine hypotone Mundmuskulatur und Mimik erschweren z. B. die Behandlung einer Sprech- oder Sprachstörung. Oder: Bei gleichzeitiger Beeinträchtigung der Handmotorik ist eine therapeutische Verbesserung des Tonus notwendig, um in einer guten Körperhaltung üben zu können. Hypotone Neugeborene und Säuglinge erfordern eine detaillierte neurologische Untersuchung und Abwägung. Eine Muskelschwäche ist zwar nur ein wenig spezifisches Krankheitszeichen, aber sie kann auf eine Reihe von krankhaften Störungsbildern hinweisen: Muskelerkrankungen, Erkrankungen des Rückenmarks, genetische Erkrankungen und Stoffwechselerkrankungen (Enders, 2010).
Hypertone Haltungsstörung
Auch eine erhöhte Muskelanspannung kann zu gewissen Haltungs- und Bewegungsauffälligkeiten führen. Nehmen wir als Beispiel den Zehenspitzengang: Es gibt Kinder, die immer auf der Fußspitze stehen oder gehen. Physiotherapeutisch sind sie häufig nur schwierig zu behandeln, sie benötigen dann eine orthopädische Therapie.
4.3 Umschriebene Entwicklungsstörung motorischer Funktionen (UEMF)
Die häufigste motorische Störung ist die Umschriebene Entwicklungsstörung motorischer Funktionen (UEMF). Mindestens 5–6 % aller Kinder sind betroffen. Manche Autoren gehen sogar von 15 %-20-% aus. Dabei spielen Definition, Diagnostik und Abgrenzung eine besondere Rolle. Jungen sind viel häufiger (2 : 1 bis 7 : 1) betroffen als Mädchen (Zahlen aus der AWMF-Leitlinie bei UEMF; Blank, 2011). Ob gesellschaftliche Faktoren, Ernährung und Bewegungsarmut zu einer Zunahme motorischer Störungen führen, ist noch nicht gesichert, vieles spricht aber dafür.
Der Oberbegriff »Umschriebene Entwicklungsstörung (UES)« bedeutet, dass das Kind ansonsten unauffällig ist. Eine UES ist also eine isolierte und umschriebene Funktionsstörung in der kindlichen Entwicklung, bedingt durch eine gestörte Informationsverarbeitung im Zentralnervensystem. Der Begriff Entwicklung legt nahe, dass die Störung nur vorübergehend ist bzw. durch Übung und/oder durch Reifung des ZNS im Laufe der Zeit weitgehend abklingt. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass eine solche Schwäche oder Störung vollständig oder abgeschwächt bis ins Erwachsenenalter persistiert.
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