Unbekannt
Die Otterbrüder
Geschunden und mit zahlreichen Wunden übersät lagen die Otterbrüder auf einem Hauch Stroh in der Ecke des Raumes. Sie versuchten sich Mut zu machen, doch es half nichts. Sie waren des Todes und es gab keine Hoffnung auf Erlösung. Ihrem Schicksal zu entfliehen, schien unmöglich. Schwermütig dachten sie an den Umstand ihrer Pein. Noch vor einem Tag waren sie glücklich gewesen. Ein Kunde hatte sie beide gekauft und mitgenommen. Froh dem Sklavenhändler entkommen zu sein, verwendeten sie all ihr Wissen darauf, sich ihrem neuen Meister erkenntlich zu zeigen.
Sie lasen ihm jeden Wunsch von den Augen ab und taten alles, was er verlangte. Ihren Herrn zufriedenzustellen und ihm dienen zu dürfen, war alles, was sie wollten. Doch der Primär des Meisters sah seine Position gefährdet. Zwei so willige und perfekte Sklaven, das konnte er nicht zulassen. Und so begann die Pein der Otter.
Mit einer List lockte der Primär die Otter in einen Raum, dort sagte er ihnen, sie sollten die Gegenstände in den Regalen herausnehmen und in Beutel verstauen. Mit einer Verbeugung machten die Brüder sich ans Werk. Keine fünf Minuten später stürmte ihr Meister in den Raum hinein, mit schweißnasser Stirn und tobend vor Wut. In der einen Hand hatte er eine Peitsche, in der anderen einen Stock mit metallischen, scharfen Kanten. Mit Hass in den Augen schlug er ein ums andere Mal auf die neuen Sklaven ein. Dabei schrie er, wie sie es wagen konnten, ihn zu bestehlen. Wimmernd und geschunden verloren sie das Bewusstsein.
Als sie erwachten, waren ihnen Arme und Beine gefesselt. Der Primär ihres Meisters schenkte ihnen ein dämonisches Grinsen und flüsterte ihnen zu: »Ihr zwei seid nun keine Gefahr mehr für mich. Wir sehen uns in der Hölle, geht ruhig schon mal vor.« Dann wurde der Kofferraum zugeschlagen und sie wurden zu ihrem alten Herrn, dem Sklavenhändler Ursay zurückgebracht.
Mit den Worten: »Ich erwarte einen wichtigen Kunden, ich kümmere mich später um die beiden«, wurden sie vom gelben Tiger des Händlers in eine der Zellen verfrachtet. Sie konnten hören, wie sich der Geschäftsmann wiederholt entschuldigte und dem Kunden immer höhere Rabatte versprach, bis dieser einlenkte und sich beruhigte. Es hatte keinen Zweck, ihrem alten Meister die Situation zu erklären. Das Wort zweier Sklaven stand gegen das eines Kunden. Es gab keine Chance auf Rettung für sie und so konnten die beiden nur schweigend ihrem Schicksal entgegenschauen.
Plötzlich entstand Unruhe. Der wichtige Kunde musste eingetroffen sein. Auf dem Gang vor ihrer Zelle herrschte hektischer Betrieb. »Alle in einer Reihe aufstellen. Hopp, hopp, nicht so langsam«, grölte die Stimme des Primärs durch den Gang. Der eine Bruder stand auf und sah durch die Gitter auf das Chaos vor der Tür.
»Jerry, steh auf. Ein neuer Meister ist da.«
»Glaubst du, er meinte uns auch, Terry?«
»Ja. Er sagte doch alle . Komm schnell, wir müssen gehorchen.« Aneinander gestützt öffneten sie die unverschlossene Zelle und gesellten sich in die Reihe der Wartenden. Die anderen Sklaven sahen ihre malträtierten Körper erstaunt an.
Ein Geflüster hob an. In Windeseile wussten alle Sklaven, dass die Otter wieder da waren. Die anderen begriffen sofort, was geschehen würde. Keines der Wesen wollte ihr Schicksal teilen und alle wichen entsetzt vor ihnen zurück.
»Guck mal, Terry, die machen uns Platz.«
»Komm, wir dürfen den Kunden nicht warten lassen.«
Einige der Umstehenden schüttelten die Köpfe. Die Otter waren echt liebenswerte Gesellen, doch ihr Verstand war eindeutig zurückgeblieben. Aber das machte sie zu perfekten und vor allem treuen Sklaven. Jedenfalls, solange niemand versuchte, den beiden eine Aufgabe zu befehlen, die die Fähigkeit zu denken voraussetzte.
Durch einen Spalt im Vorhang konnten die Brüder ihren alten und nun wieder aktuellen Primär erkennen. Dieser verbeugte sich gerade demütig und gab ihnen das Zeichen zum Eintreten. So anmutig, wie es eben ging, schlurften die Otter auf die Bühne und verbeugten sich ebenfalls vor den Menschen im Raum. Der Primär erbleichte und schien zu geschockt, um eingreifen zu können. Auch der Sklavenhändler sah erschüttert und sprachlos zu den Ottern auf. Er konnte offenbar nicht fassen, was er da zu Gesicht bekam.
»Oh, die sehen etwas, ähm…, mitgenommen aus, würde ich mal anmerken. Ist das der Normalzustand hier?«, fragte der neue Kunde und musterte die Sklaven interessiert.
»Vergebt mir diesen Fehler, mein Herr. Wir werden gleich mit der Vorführung beginnen können«, erwiderte der Händler und warf seinem Primär einen vernichtenden Blick zu. Mit einer Geste machte er dem Tiger verständlich, dass er die Otter wegschaffen sollte.
»Wartet, ich möchte sie mir genauer ansehen.«
»Mein Herr, das ist nur Abfall, ich zeige Euch nun die richtige Ware.«
»Und was ist, wenn ich die beiden haben möchte?«
»Tut mir sehr leid, mein Herr, aber da muss ich ablehnen. Ich habe einen Ruf zu verlieren. Ich kann keine beschädigte oder fehlerhafte Ware verkaufen.«
Der Primär schritt ein und schob die Brüder eilig von der Bühne. Er schubste sie grob in ihre Zelle zurück und schlug sie nieder. Die Otter krochen in eine Ecke und wimmerten, während ihr Peiniger sich umdrehte und wortlos verschwand. Die Eisentür fiel ins Schloss und der Tiger knurrte wütend auf. Noch während er die Tür abschloss, fauchte er die Sklaven im Gang an, warum sie die Otter nicht aufgehalten hatten. Keiner wagte es zu antworten und so schrie er die Wesen an: »Niemand geht durch diesen Vorhang, bevor ich ihn nicht für gut genug befunden habe.«
In ihrer Ecke kauernd konnten die Brüder hören, wie der Primär vor ihrer Zelle wütete. Ein paar Wesen jaulten schmerzerfüllt auf, als er sich ihrer annahm. Nur wenige durften zum Vorzeigen gehen, die meisten aus dieser Gruppe schlug er nieder und schickte sie zu ihrer Unterkunft zurück. Dann wurde es etwas ruhiger, aber immer, wenn der Tiger an ihrer Tür vorbeikam glühten seine gelben Augen von all dem Hass gegenüber den Ottern.
Nach einer ganzen Weile wurde die Zelle wieder geöffnet und der Obersklave stand in der Tür. Hinter ihm konnten die Otter noch zwei andere Gestalten ausmachen. Diese beiden waren muskelbepackte Wesen, die meist zum Tragen schwerer Lasten eingesetzt wurden. Die Geschundenen wussten, dass ihr Ende nun gekommen war. Es gab nichts, was sie jetzt noch retten konnte.
»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für euch. Die Gute ist, ihr werdet dem Kunden als Bonus geschenkt, also werde ich euch nicht das Fell abziehen…«, schwatzte der Sadist gut gelaunt, wobei seine Augen vor Schadenfreude nur so sprühten. »Und nun zur schlechten Nachricht: Er wird euch über seinem Kamin an die Wand nageln«, ergänzte er und begann dämonisch zu lachen. Anschließend gab der Primär seinen eingeschüchterten Trägern ein Zeichen. Sie traten gehorsam in den Raum und warfen sich je einen Otter über die Schulter. Anschließend ging die Prozession, angeführt vom Primär, zum Ausgang.
Vor dem Laden stopften sie die Brüder in den Kofferraum eines Wagens und schlossen mit Schwung die Klappe. Dieser Raum war nicht für zwei Lebewesen ausgelegt. Hier war einfach zu wenig Platz und auch die Luft wurde mit jedem Atemzug weniger. Am Rande der Bewusstlosigkeit, bekamen sie noch mit, dass Personen in das Auto stiegen. Dann wurde alles schwarz.
Als die Otter wieder zu sich kamen, lagen sie auf weichen Sitzen in der Personenkabine, man hatte sie aus dem Kofferraum befreit. Innerlich hatten sie jedoch schon mit ihrem Leben abgeschlossen und bedauerten, dass sie wieder aufgewacht waren. So einfach und schmerzfrei wäre es gewesen, ins Nichts zu gleiten. Aber nein, ihr neuer Meister hatte wohl andere Pläne. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als mit leerem Blick an die Decke zu starren und zu warten.
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