»Altes Ferkel«, schimpft Barbara. »Wasch deine Hände und dann rein mit dir in das Kleid!
Sie nimmt das Kostüm vom Bügel und hält es mir zum Reinschlüpfen hin. Ich steige mit dem rechten Fuß zuerst in mein Traumkleid, dann mit dem linken, Barbara zieht es hoch bis zum Po, dann bleibe ich hoffnungslos darin stecken. Ich kneife die Pobacken zusammen, ziehe den Bauch ein und halte die Luft an. Barbara zerrt und zerrt, bis die Seide ratscht. Meine Busenfreundin schlägt entsetzt ihre Hände vor den Mund, dann zieht sie den zarten Stoff wieder nach unten.
»Mach schon, Margit, nichts wie raus aus dem Kleid, wir probieren es von oben.«
Sie nimmt das zarte Gebilde vom Boden und streift es über meinen Kopf. Meine Haare laden sich in Sekundenschnelle elektrisch auf. Barbara schlägt sich auf die Schenkel und lacht schallend.
»Du siehst aus wie ein Hamster unter Stromschlag, Margit.«
Sie fummelt an dem Reißverschluss. »Bauch einziehen und Luft anhalten, Margit!«
Ich ziehe meinen Bauchnabel Richtung Wirbelsäule, so wie es mich der Fitnesstrainer im Volkshochschulkurs gelehrt hatte, halte den Atem an, bis mir schlecht wird. Der Reißverschluss schafft es bis kurz vor den Halswirbel, dann hält Barbara den Reißverschlussschieber in der Hand.
»Sind nur ein paar Pfündchen, die zuviel sind Margit«, tröstet sie mich. Sie holt kurzerhand meinen Schal von dem Garderobenhaken, drapiert ihn so geschickt um meine Schultern, so dass auch der Riss im Stoff verdeckt ist. Sie befestigt ihre Kunst mit Sicherheitsnadeln und nickt zufrieden mit dem Kopf. »Du siehst aus wie ein Burgfräulein, Margit.«
»Ich fühle mich eher wie eine abgepackte Leberwurst«, piepse ich weinerlich. »Ich habe wirklich nicht die geringste Lust auf Fasching feiern, Barbara!«
»Bis du Musik hörst und dein Tanzbein schwingen kannst, Margit.«
Barbara grinst. »Du könntest dir deine Tanzsportmedaillen um den Hals hängen, Liebes.«
Wir haben das Glück, den letzten freien Parkplatz zu ergattern. Es schneit in Riesenflocken und Barbara sprintet der Festhalle zu.
»Meine Brille«, stöhnt sie, bleibt an der obersten Treppenstufe stehen und kramt in ihrer Handtasche nach dem Brillenputztuch. Ich bleibe fasziniert unter der Laterne stehen, bewundere die Schönheit der sechseckigen Kristallgitter und ziehe genießerisch die Luft durch meine Nase. Jede einzelne der Riesenschneeflocken ist ein Unikat, stelle ich fest. Raucher gesellen sich zu Barbara. Ich halte mir provokant die Nase zu und haste an ihnen vorbei.
»Immer noch besser als Krankenhausluft«, lästert Barbara, drückt ihre Zigarette aus, schnappt nach meiner Hand und zieht mich neben sich her. Die Stimme der Provinzbandsängerin dröhnt durch den übervollen Saal. »Gell du hosch mich gelle gern …«
»Hier bekommen wir doch nie einen Sitzplatz«, meckere ich, als Barbara mich durch die endlosen Stuhlreihen zieht.
»Du bist immer so entsetzlich pessimistisch, Margit.«
Meine Freundin findet tatsächlich zwei leere Stühle, ziemlich weit vorne sogar, man kann die Band gut sehen.
»Hier, Margit«, triumphiert sie, setzt sich und fängt augenblicklich einen Flirt mit ihrem Stuhlnachbarn an. Ich sehe mich in der Halle um. »Gell du läschd mich net im Stich«, hallt die Piepsmausstimme der Sängerin an mein Ohr.
»Wie passend der Text doch ist«, lästert Barbara und wendet sich wieder ihrem Gesprächspartner zu.
»Wollen wir tanzen?«
Ich fühle mich einsam und verlassen, schaue desinteressiert dem bunten Treiben zu. Ein Schneespaziergang in der verzuckerten Landschaft wäre mir viel lieber gewesen. Barbara tanzt und flirtet auf Teufel komm raus. Es dauert Ewigkeiten, bis sie sich wieder zu mir an den Tisch gesellt. Ihre Haare sind zerzaust, ihr Gesicht hochrot. »Der Typ ist genau meine Kragenweite«, raunt sie in mein Ohr.
»Und was ist mit dem Anderen?«
»Welcher Andere, Margit?«
»Na der Vielleicht-Beamte auf Lebenszeit.«
Barbara macht eine abfällige Handbewegung. »Der ist doch längst schon Schnee von gestern, Margit.«
Sie fährt wie von einer Tarantel gestochen hoch, als ein Vampir den Nebentisch ansteuert.
»Mein Gott, ist das ein Mann, Margit!«
Der Pirat an ihrer Seite zupft am Nonnenkostümärmel, hält das Sektglas in die Höhe. »Lass uns anstoßen, Babsi!«
Barbara beachtet ihn nicht. Die Kapelle spielt einen Tusch. Damenwahl. Die Halle gleicht in Sekundenschnelle einem Bienenschwarm. ‚Lei-Lei-Lei-Lei-Lei-Lei. Es ist Faschingszeit. LeiLei-Lei-Lei-Lei-Lei. Es ist wieder so weit.’
»Den forderst du jetzt zum Tanz auf, Margit!«
»Nein.«
»Es ist Damenwahl, Margit.«
»Ich fordere keine Männer zum Tanzen auf, Barbara, das weißt du ganz genau.«
»Es ist Fasching, Margit.«
»Auch nicht im Fasching, Barbara!«
»Schau doch einmal wie der sich bewegt, Margit. Wie er sein Glas hält.«
Sie schmachtet. »Hast du seine Augen gesehen, Margit? Die leuchten wie Feuerglut! Die vollen Lippen? Und schau dir diese Figur an! So richtig erotisierend.«
Barbara leckt genüsslich ihre Lippen. »Das ist ein Baron-Vampir, Margit! Ich tippe mal darauf, er ist Beamter. Ein Beamter auf Lebenszeit vielleicht. Wenn du dir den angelst, hast du ausgesorgt, Margit.«
»Psssst, nicht so laut Barbara«, mahne ich. Barbara lacht, greift nach dem Arm ihres Stuhlnachbarn und schleppt ihn laut singend wieder zurück auf die Tanzfläche. »Es dreht sich alles um den Mann, den bösen Herzensdieb.«
Der Baron-Vampir nimmt am Nebentisch Platz, nippt immer wieder an seinem Getränk und lässt mich nicht aus den Augen. Mein Herz schlägt im Dreivierteltakt. Er sieht mir so lange in die Augen, bis ich den Blick senke, erhebt sich vom Stuhl, steuert direkt auf mich zu und fragt mit samtweicher Stimme: »Darf ich zum Tanz bitten, verehrtes Burgfräulein?«
Ich habe einen Kloß im Hals, stehe wortlos auf und stolpere hinter ihm her bis zur Tanzfläche. Der Frontsänger brüllt heiser in sein Mikrofon. »Heute haun wir auf die Pauke.« Hoffentlich lösen sich die Sicherheitsnadeln während des Tanzens nicht, bange ich.
Staffagen abgenutzter Gesichter drehen sich im Kreis, ich finde keine Gemeinsamkeit mit meinem schweigsamen Tänzer. Er tapst herum wie ein ungelenker Bär, tritt immer wieder auf meine Füße. »Sie können nicht tanzen, Burgfräulein«, stellt er nach ein paar Minuten fest. Ich verschweige meine Tanzmedaillen, löse mich von den Händen auf meinem Rücken und steuere durch die Wogen tanzender Masken meinen Sitzplatz an. »Ich gehe«, sage ich zu meiner Freundin. Barbara und der Pirat legen gerade eine Tanzpause ein.
»Schnaps, das war sein letztes Wort«, grölt dieser begeistert den Klassiker von Willi Millowitsch mit. Der Frontmann der Kapelle ist ein Freund von ihm. Sie strecken sich ihre gehobenen Daumen entgegen. »Dann trugen ihn die Englein fort …«
»Du musst auf’s Klo, Margit?« Barbara springt von ihrem Stuhl auf. »Ich gehe mit.«
Sie grinst. »Rein prophylaktisch, Margit.«
»Ich muss nicht auf die Toilette, Barbara. Ich gehe nach Hause.«
»Nach Hauuuse?«
Barbara sieht mich an, als hätte ich chinesisch mit ihr gesprochen. Sie zieht ihre Augenbrauen nach oben.
»Aber wir haben doch Jutta, Karin und Anna noch gar nicht begrüßt. Die Mädels warten doch auf uns, Margit.«
»Du hast getanzt, statt sie zu begrüßen, Barbara, mich alleine am Tisch sitzen lassen.«
Ich stehe auf, trinke das Glas mit Wasser leer und greife nach dem Riemen meiner Handtasche, die ich vorsichtshalber an der Stuhllehne angebunden habe.
»Also ich geh dann mal.«
»Aber Jutta, Karin und Anna …«
»Ruf sie auf ihren Handys an, Barbara, ihr werdet euch schon finden.«
Barbara hackt auf ihrem Handy herum. »Sie sind da«, jubelt sie.
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