»Wenn die Signale des Antriebssystems an den Coping-Apparat durch den Filter der exekutiven Kontrolle gegangen sind, bezeichnen wir das als Emotionen. Fehlt diese Kontrolle oder gelingt es ihnen, sie zu durchbrechen, sprechen wir von Affekten« (Bischof, 2008, S. 387).
Diese definitorische Unterscheidung unterstellt, dass Emotionen und Affekte prinzipiell bewusstseinsfähig sind, ansonsten wäre ja keine Kontrolle möglich. Ebenso wird die Beteiligung einer kontrollierenden Instanz für Emotionen postuliert. Dieser Auffassung zufolge ist ein Affekt also eine heftige emotionale Aufwallung, die nur deshalb existiert, weil sie nicht mehr vom Individuum kontrolliert werden kann, ein überschießender, nicht mehr kontrollierbarer Gefühlsbetrag bzw. eine unkontrollierbare Gefühlsintensität. Als kontrollierende Instanz wird das Ich angesehen, das auch bei Lewins Feldtheorie eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des Affekts spielt.
»Danach beruht der Affekt auf einem Konflikt zwischen Feldkräften in einer Situation, die ein Aus-dem-Felde-Gehen unmöglich macht. Der Übergang vom Normalzustand bis zum Ausbruch geht kontinuierlich mit dem Ansteigen der Spannung, die sich aufgrund von Barrieren nicht ausgleichen kann, vor sich. Die Wandfestigkeit der gespannten Systeme des Ich hält dem wachsenden Druck nicht mehr stand, sodass sich die Spannungsenergie weitgehend über alle Bereiche des Ich ausbreiten kann. Ebenso verwischen sich die Grenzen zwischen dem Ich und dem übrigen Feld. Ergebnis ist das Abfallen der Differenziertheit bis auf einen minimalen Grenzwert« (Bergius, 2014, S. 103; Hervorh. b. Verf.).
Auch Thomae (1983) unterscheidet zwischen Emotion und Affekt. Affektive Prozesse würden negativ bewertet, da sie normative Schranken außer Kraft setzten und quasi ein Zeugnis »vorintellektueller, ungeistiger und willensmäßig unkontrollierter Haltung« (Lersch, 1970, S. 225) darstellten, wie diese Auffassung auch Kant teilte.
»Die Ausschaltung der Orientierung an der Gesamtlage erfolgt einmal unter den Bedingungen extremer ›affektiver‹ Erregung, zum anderen durch situativ bedingte kognitive Verzerrungen. … kommt der Begriff heute noch in der Wortbildung ›Affektivität‹ vor, die synonym mit ›Emotionalität‹ gesehen wird (Kretschmer, Weitbrecht, Bas). Affekt meint seinem im Deutschen heute vorherrschenden Sinne nach ein ›rasch anspringendes, große Intensität erreichendes Gefühl‹. Die Beziehung dieser Motivationsform zu den Problemen der Norm-Orientierung ergibt sich aus der Aussage von I. Kant, wonach Affekte Gefühle seien, welche ›die Schranken der inneren Freiheit im Menschen überschreiten (Anthropologie 61 Anm.)‹« (Thomae, 1983, S. 305; Zitate dort).
Die Auffassung, dass Affekte von minderer psychischer Qualität seien, werden in der psychiatrischen Literatur und im Kern auch der psychoanalytischen Auffassung geteilt. Im Unterschied zu Emotionen wird in Affekten die versagende Kontrolle des Ichs bzw. der Abwehr gesehen. Der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers (1973) greift ein Zitat C. G. Jungs auf, der in der Affektreaktion eine »Emotionsstupidität« gesehen haben will und spricht selbst von einer »Bewusstseinsleere« bzw. von »Bewusstseinstrübungen«.
»Senkungen, Trübungen, Verengungen des Bewußstseins gibt es in mannigfachen Formen als Folge und Begleitung einzelner Erlebnisse. … Bei heftigen Affekten, in Angstzuständen, ferner in tiefen Melancholien, wie in manischen Zuständen ist die Konzentration, die Möglichkeit, sich auf etwas zu besinnen, über etwas nachzudenken, ein Urteil zu gewinnen, sehr erschwert« (Jaspers, 1973, S. 119); Hervorh. b. Autor).
Bei aufregenden Gelegenheiten würde die normalerweise gegebene Kontrolle von Emotionen versagen, alle Fähigkeiten versagten in der Affektreaktion.
Die Rolle der Persönlichkeit, speziell die des Ichs, im Zusammenhang mit Emotionen bzw. Affekten wird weiter unten noch ausführlich zu behandeln sein.
Die außerordentlich vielfältigen Definitionsvorschläge sollten nach Auffassung des Emotionspsychologen Klaus R. Scherer nicht dazu führen, eine allgemein verbindliche Emotionsdefinition vorzulegen. Es reiche aus, von der Vorstellung auszugehen,
»… daß zum Zustandekommen und Ablauf emotionaler Prozesse sowohl subkortikale als auch kortikale Verarbeitungsmechanismen externer oder interner Reizung, neurophysiologische Veränderungsmuster, motorischer Ausdruck, Motivationstendenzen und Gefühlszustände beitragen« (Scherer, 1990, S. 3).
Scherer schlägt ein Modell mit fünf »organismischen Subsystemen« vor, die alle jeweils eigene Funktionen für Adaptation und Verhalten des Organismus hätten:
• Informationsverarbeitungssystem,
• Versorgungssystem,
• Steuerungssystem,
• Aktionssystem,
• Monitorsystem.
»Die hier vorgeschlagene Definition postuliert mithin folgenden Ablauf des Emotionsprozesses: Die Ergebnisse von Informationsverarbeitungsprozessen, kortikal oder subkortikal, führen zu Veränderungen der Zustände aller fünf Subsysteme. Diese Veränderungen führen zu komplexen Wechselwirkungen und damit zu einer Synchronisation der Systemzustände, auch wenn die speziellen Eigenschaften der einzelnen Subsysteme unterschiedliche Verlaufsformen oder Veränderungsprozesse nahelegen. Während der Episoden der so synchronisierten Subsysteme ist mithin die gesamte Verarbeitungskapazität des Organismus auf den speziellen Auslöser gerichtet. Die emotionale Episode endet, wenn die Synchronisation und das gegenseitige Einwirken der Subsysteme aufeinander schwächer werden und die einzelnen Subsysteme wieder ihre speziellen Funktionen übernehmen« (Scherer, 1990, S. 7).
2.3 Funktionen von Gefühlen und Emotionen
Von der Evolution herausgebildete, erbbiologisch tief verankerte Reaktionsweisen basieren auf ganz grundlegenden Mechanismen, die mit Gefühlen in Verbindung gebracht werden müssen wie Kampf- oder Fluchtimpulse, die einen Überlebensvorteil bieten, eben um lebenswichtige Ziele zu sichern bzw. zu erlangen und schädliche Situationen zu beenden (Schneider & Dittrich, 1990). Erstere sind mit aggressiven und letztere mit Angstemotionen verbunden. Einig ist man sich in der heutigen Emotionsforschung darüber, dass Emotionen unverzichtbar wichtig sind bei der Erreichung von Verhaltenszielen, die den Reproduktionserfolg und so die Weitergabe von Genen sicherstellen und gefährliche Situationen zu vermeiden gestatten. Biologen und Philosophen sind sich darin einig, dass die Erscheinung von Emotionen essenziell war, um Leben in der Evolution auf eine höhere Stufe zu heben (Langer, 1967; Izard & Malatesta, 1987).
Emotionen konnten erst auf einer Stufe der Entwicklung der Arten vorteilhaft werden, auf der starre Verknüpfungen von Reiz-Reaktionsschemata zugunsten einer größeren Verhaltensvariabilität und damit zugunsten einer größeren Entscheidungsfreiheit aufgegeben werden konnten (Izard & Malatesta, 1987; Schneider & Dittrich, 1990).
Emotionen haben eine »handlungsstützende« sowie eine »kommunikative« Funktion (Geppert & Heckhausen, 1990). Im ersteren Sinne dienten Emotionen der Initiierung und Bestimmung der Intensität einer Handlung, der Aufrechterhaltung oder Beendigung einer Handlung, während die kommunikative Funktion von Emotionen darin bestehe, dass über Ausdruckserscheinungen Beobachtern Signale bezüglich der eigenen Zustände und Handlungsbereitschaften geliefert werden.
»Emotionen greifen in die bewusste Verhaltensplanung und -steuerung ein, indem sie bei der Handlungsauswahl mitwirken und bestimmte Verhaltensweisen befördern. Hierbei spricht man von Motivation. Als Wille ›energetisieren‹ sie die einen Handlungen bei ihrer Ausführung und unterdrücken als Furcht oder Abneigung andere. Sie steuern unsere Gedanken, Vorstellungen und insbesondere unsere Erinnerungen.
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