Aber dann winkte der Mann Tanja zu und ging zu seinem Wagen. Sie verschwand rasch in ihrem Haus. Hubert Lambacher wartete noch und stellte sich vor, was sie jetzt in ihrer Wohnung tat. Wahrscheinlich stand sie unter der Dusche. Die Wassertropfen perlten an ihr ab, verloren sich erst in der Spur zwischen ihren prallen kleinen Brüsten und glitten dann zielstrebig in die dunkle Tiefe zwischen ihren Beinen. Ihre geschlossenen Lider zuckten unter der Wohltat des heißen Wassers und der Mund war leicht geöffnet, während ihre Hände den Schaum des Duschbades mit dem Wasser vereinten.
Hubert wandte sich ab. In Tanja Wildbruch schlummerte ein Hass, der sich unter ihrer Vollkommenheit verbarg, nur heimlich aus den Poren herausleckte, sich aber dann schnell zu einem tödlichen Fluss auswachsen konnte. Sie war eine Mörderin, eine Hexe! Nur er würde ihr widerstehen, sich nicht einwickeln lassen. Niemals. Huberts Hände zitterten, die Kapillare gehorchten nicht mehr und verfärbten seine Fingerkuppen binnen kürzester Zeit in ein gelbliches Weiß. Er rieb die schmerzenden Spitzen, bis er wieder Gefühl bekam, startete dann den Motor und fuhr aus dem Dorf hinaus.
In der Nacht wacht er auf, weil seine Hose nass ist. Er traut sich nicht, nach der dicknasigen, schwarzen Frau zu rufen. Sie ist ihm unheimlich in dem schwarzen Mantel, der sogar das Haar bedeckt. In seiner Kirche haben die Frauen anders ausgesehen. Die, die ihm die Kekse gegeben haben.
Ganz vorsichtig schlüpft er ins Bad, zieht sich die Hose aus und klettert mit einem Handtuch wieder ins Bett. Aus Furcht, die anderen zu wecken, traut er sich nicht, etwas Trockenes aus dem Schrank zu holen, weil die Tür so quietscht. Die nasse Hose versteckt er am Fußende unter dem Laken, spürt die ganze Nacht das verräterische Knäuel. Es ist nicht gemütlich mit dem kratzenden Handtuch um den Po. Der Junge wälzt sich unruhig im Bett hin und her.
Schließlich schläft er doch wieder ein. Als er morgens aufwacht, liegt die Decke auf dem Boden. Die anderen Jungen stehen um sein Bett herum.
Sie lachen und ziehen das Handtuch weg. »Bettnässer! Der Neue ist ein Bettnässer!«
Der Junge ist froh, dass sie seinen Namen nicht sagen. So kann er sich einbilden, dass gar nicht er gemeint sei.
»Bettnässer, Bettnässer …« Die Töne gleiten wie Wellen auf und nieder, erst hoch, dann abschwellend und wieder ansteigend. Tückisch tragen sie dieses böse Wort, mit dem der Junge in der Mitte getroffen und verletzt werden soll. Weil er neu und angreifbar ist.
Der Junge schließt die Augen, taucht in den monotonen Gesang ein. Er flüstert leise die Worte seiner Mutter. »Ich komme und ich hole dich! Bald.«
Von dem Krach angelockt, kommt die schwarze Frau. Sie sieht den nackten Jungen im Bett. »Hast du an dir gespielt?« Der Junge schüttelt heftig den Kopf. »Du bist vier Jahre alt und so verdorben!« Die Frau zerrt ihn aus dem Bett und stellt ihn unter die kalte Dusche. Das helle Lachen der Jungen, der Hohn und Spott ihrer Stimmen, schicken ihn in einen schützenden Tunnel. Nur noch entfernt kommen die gesungenen Worte bei ihm an. »Bettnässer, Bettnässer …«
Das kalte Wasser schlägt Risse in die schützende Hülle. Der Gesang hat aufgehört, einzig die Wassertropfen klatschen auf seinen Körper. Der Junge beginnt zu zittern.
Schließlich kommt eine andere Frau, die nach Pfefferminz riecht. Sie umwickelt ihn mit einem Handtuch und schließt ihn in die Arme.
»Gib mir mal den Kleister, ich muss hier noch etwas nachschmieren.« Thiemo hielt Linda die Hand auffordernd hin.
Sie merkte, dass seine Laune zum Schneiden schlecht war. Seine Bewegungen, die normalerweise ruhig und ausgeglichen, immer ein bisschen selbstgefällig waren, wirkten abgehackt und fahrig. Dazu stand sein Haar widerspenstig vom Kopf ab. Thiemo musste sich mehrfach mit der Kleisterhand hindurchgefahren sein.
Sie wollten in zwei Wochen einziehen und es war nicht sicher, ob sie es schafften, bis dahin mit jedem Zimmer fertig zu werden. Thiemo kam ständig so spät von der Arbeit, dass Linda ihn, außer auf der Baustelle, fast nur noch schlafend zu Gesicht bekam. Und die Wochenenden verbrachten sie zur Zeit mit irgendwelchen Malerarbeiten oder anderem Kleinkram. Meist bekamen sie sich irgendwann in die Wolle und Thiemo rannte vor die Tür, um sich zu beruhigen.
Linda reichte ihm den Quast und er verschmierte damit den Kleister an der Rückseite der Tapete.
»Wir sollten den Maler kommen lassen«, sagte Thiemo. Er riss wütend die ganze Bahn ab, weil sie sich oben schon wieder löste. »Mir fehlt einfach die Ruhe.«
»Ich glaub auch«, sagte Linda. »Ein Cappuccino wäre jetzt wohl nicht verkehrt!« Sie flüchtete in den Raum, der einmal die Küche werden sollte.
Es lief überhaupt nicht mehr gut in den letzten Wochen. Thiemo wurde unruhiger, je näher der Einzug rückte. Sie konnte nicht genau ausmachen, ob seine Nervosität mit der Baustelle an sich oder eher mit der unterschwelligen Furcht vor dem Freiheitsverlust zusammenhing. Er äußerte ein bisschen zu oft, dass sich in Zukunft doch einiges für ihn ändere. Dazu kam, dass es zwischen Laurin und Thiemo immer mehr Spannungen gab. Es war nicht gerade die große Freundschaft, so wie Linda es erhofft hatte. Sie waren oft eifersüchtig aufeinander. Ständig hatte sie das Gefühl, keinem der beiden wirklich gerecht zu werden. Dadurch wurde sie täglich fahriger, ließ bei Laurin viel zu viel durchgehen. Ständig war sie dabei, die schlechte Laune von Thiemo abzufangen und so zu drehen, dass kein Streit daraus hervorbrach. Immer wieder sagte sie sich, es sei nur für kurz, wenn sie erst eingezogen waren, würden sie alles irgendwie in den Griff bekommen.
Linda sah auf die Uhr. Es war bald Zeit, Laurin von der Tagesmutter abzuholen. Sie gähnte. Der Kaffee würde ihr gut tun. Sie stellte den Wasserkocher an und setzte sich für einen Augenblick auf ein Brett, das sie als Bank auf ein paar Kalksandsteine gelegt hatte.
Sie war so müde. Jede Nacht erwachte sie davon, dass Thiemo aufstand, um ein Glas Wasser zu trinken. Danach schlief er zwar wieder ein, wälzte sich aber unruhig im Bett hin und her. Sie lag dann den Rest der Nacht grübelnd neben ihm und lauschte seinem unruhigen Atem. Oft merkte Linda, dass er die Decke anstarrte, als bekäme er von dort eine Antwort auf all die Fragen, die sie nicht kannte.
»Ich denke, wir werden dort glücklich und es läuft besser«, hatte Thiemo eines Nachts flüsternd gesagt. Eher zu sich selbst als zu Linda, von der er annahm, sie schliefe.
Damit hatte er wohl seine ureigensten Gedanken das erste Mal in Worte gefasst, aber der Blick seiner Augen war weiter düster und schwer. Er wirkte gehetzt, eine Regung, die Linda an ihm nicht kannte und sie das erste Mal darüber nachdenken ließ, dass sie von ihrem Mann eigentlich nur wenig wusste.
Er sprach nicht viel über sich. Thiemos Vater führte als Steuerberater eine Kanzlei und seine Mutter, eine rundliche Frau, verblasste hinter der Dominanz ihres Mannes. Sie trat nur in Form von gebackenem Apfelkuchen in den Vordergrund, verschwand aber ebenso schnell, wie dieser gegessen wurde.
Thiemo schien nichts dabei zu finden. Er kannte es auch nicht anders, aber Linda kam es immer recht armselig vor. Seine Mutter war für sie das beste Argument, sich doch recht schnell wieder Arbeit zu suchen, damit sie sich nicht unter Zimtschnecken und Schweinebraten als die Frau an Thiemos Seite verlor.
Irgendwann stand sie in solchen Nächten dann meistens auf und sah nach Laurin, der sich inzwischen, trotz Thiemos Anwesenheit, dazu bequemt hatte, in sein eigenes Zimmer zu ziehen, statt in ihrem Bett zu übernachten. Erst sein gleichmäßiger Atem, der beruhigend durch den Raum zog, ließ Lindas Lider wieder schwerer werden. Danach konnte sie dann neben Thiemo endlich einschlafen.
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