Regine Wagner-Preusse
Mördermädchen
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Inhaltsverzeichnis
Titel Regine Wagner-Preusse Mördermädchen Dieses ebook wurde erstellt bei
Mördermädchen Mördermädchen sagte Lorenz, wenn Laura Lili ihr Mädchen nannte. Lorenz dachte an die Maus, die Lili am Morgen präsentiert hatte. Getötet mit Absicht bei Sonnenschein und blauem Himmel, während die Vögel in den Bäumen ihr Lied singen. Lili jagt im hohen Gras auf der Blumenwiese. Lili lauert lange vor dem Loch der Maus. Sinnlos gewordenes Töten, anders als bei ihren Vorfahren, die Beute machen mussten, um zu überleben. Lili lauert regungslos, packt die Maus im richtigen Moment und beginnt ihr tödliches Spiel. Am Ende die tote Maus auf der Fußmatte vorm Haus. Als Trophäe, als Geschenk. Lorenz war entsetzt, denn Haustiere, die gab es nicht in seiner Familie. Nur der kleine Bruder hatte einmal einen Kanarienvogel gehabt. Der wurde zerquetscht, als die Mutter die Tür schließen wollte. Aus Versehen. Sie hatte den Vogel nicht bemerkt. Dass Mäuse gefressen werden, das war für Laura ganz normal, damals in ihrer Kindheit. Nur dafür wurden die Katzen auf dem Hof geduldet. Dass der Bruder eine Maus tot schlug, das war normal für Laura. Beim Kartoffellesen warf die Tante einen Stein auf die Maus, die aus ihrem vom Pflug zerstörten Loch flüchten wollte. Das fand Laura schrecklich. Da war sie schon elf. Beim Schweineschlachten wurden Laura und die Brüder ins Haus geschickt. Hinterher durften die Kinder auf dem Hof spielen. Zwei Schweinehälften hingen vom Scheunendach herab. Das ganze hieß auch noch Schlachtfest. Abends kamen die Nachbarn, tranken Schnaps und aßen Wellfleisch mit Erbsenbrei und Sauerkraut. Später blieb Laura an solchen Tagen nach Schulschluss in der Stadt. Den Geruch von Blut und Fleisch, das am Morgen noch lebendig war, den ertrug sie nicht mehr.
Im Reich der Träume
Lieblich war die Maiennacht…
Auf der Brücke
O du Falada, da du hangest
Wie eine ewige Krankheit…
Die Zeit, die wir die Lebensmitte hießen…
Fremd bin ich eingeboren
Einer muss es ja machen
Unsichtbar
Mein Vater war ein Bauersmann
Eri
Im Dorf
Kurz vor Mitternacht
Im grünen Wald
Helmut erzählt
Wiedersehen
Nur die unteren Äste
Fromme Freundin
Was man angefangen hat…
Pia spielte gern Schule,
Ratten retten
Es ist nicht auszuhalten
Christianes Flucht
Der Tote im See
Familiengeheimnisse
Wutrunden
Nesthocker
Leere
Altlasten
Tschüss, Eri
Impressum neobooks
sagte Lorenz, wenn Laura Lili ihr Mädchen nannte. Lorenz dachte an die Maus, die Lili am Morgen präsentiert hatte. Getötet mit Absicht bei Sonnenschein und blauem Himmel, während die Vögel in den Bäumen ihr Lied singen. Lili jagt im hohen Gras auf der Blumenwiese. Lili lauert lange vor dem Loch der Maus. Sinnlos gewordenes Töten, anders als bei ihren Vorfahren, die Beute machen mussten, um zu überleben. Lili lauert regungslos, packt die Maus im richtigen Moment und beginnt ihr tödliches Spiel. Am Ende die tote Maus auf der Fußmatte vorm Haus. Als Trophäe, als Geschenk.
Lorenz war entsetzt, denn Haustiere, die gab es nicht in seiner Familie. Nur der kleine Bruder hatte einmal einen Kanarienvogel gehabt. Der wurde zerquetscht, als die Mutter die Tür schließen wollte. Aus Versehen. Sie hatte den Vogel nicht bemerkt.
Dass Mäuse gefressen werden, das war für Laura ganz normal, damals in ihrer Kindheit. Nur dafür wurden die Katzen auf dem Hof geduldet. Dass der Bruder eine Maus tot schlug, das war normal für Laura. Beim Kartoffellesen warf die Tante einen Stein auf die Maus, die aus ihrem vom Pflug zerstörten Loch flüchten wollte. Das fand Laura schrecklich. Da war sie schon elf.
Beim Schweineschlachten wurden Laura und die Brüder ins Haus geschickt. Hinterher durften die Kinder auf dem Hof spielen. Zwei Schweinehälften hingen vom Scheunendach herab. Das ganze hieß auch noch Schlachtfest. Abends kamen die Nachbarn, tranken Schnaps und aßen Wellfleisch mit Erbsenbrei und Sauerkraut. Später blieb Laura an solchen Tagen nach Schulschluss in der Stadt. Den Geruch von Blut und Fleisch, das am Morgen noch lebendig war, den ertrug sie nicht mehr.
„Könntest du bitte den Sam noch ein paar Runden Schritt reiten? Ich muss in einer halben Stunde am Bahnhof sein und vorher noch die beiden Hengste verladen.“ Sünje springt vom Pferd und überläßt der Praktikantin die Zügel. In großen Schritten läuft sie zu den Boxen. Hier bewegt sie sich vorsichtig. Bloß keine Hektik aufkommen lassen. Die jungen Tiere sind noch nicht an den Hänger gewöhnt. Sünje verteilt Möhren, dabei redet sie mit leiser Stimme zu den Pferden, streichelt über ihren Kopf und legt ihnen ein Halfter an. Als sie den Bahnhof erreicht, steht Laura schon suchend am Ausgang.
„Das war knapp, entschuldige, ich mußte noch hier die Jungs verladen.“ Sünje springt aus dem Jeep und hat gleich Laura im Arm, die sie um Haupteslänge überragt.
„Willst du etwa jetzt gleich mit mir zum Turnier?“ Laura blickt zum Pferdehänger.
„Noch besser. Die beiden sollen jetzt ihren Sommerurlaub antreten. Wenn du einverstanden bist, bringen wir sie jetzt gleich zu den Hengstweiden. Wir sollten ankommen, bevor es dunkel ist. Tut mir leid, dass ich dich gleich so überfalle, aber die Pflegerin hat sich heute krank gemeldet, sodass ich einspringen muss.“
„Aber es ist doch erst halb zwei“, wendet Laura ein.
„Spät genug, wenn alles glatt geht, brauchen wir mindestens drei Stunden. – Hast du warme Sachen dabei? Und feste Schuhe? Dann kannst du den Ben auf die Weide führen. Das ist ein ganz Braver. Ich nehme den Max. – Wenn wir Pech haben, müssen wir lange laufen, bis wir eine Herde finden.
„Die sind den ganzen Tag draußen?“
„Bis zum Herbst, dann hole ich sie wieder ab. Alles junge Hengste, die noch nicht unter den Sattel müssen. Sie verbringen die Sommermonate auf riesigen Weiden in Ostfriesland. Können dort den ganzen Tag herumlaufen und ihren Platz in der Gruppe finden. Ein Paradies für Pferde. Der Max, der wollte im letzten Herbst gar nicht heim. Es dauerte zwei Stunden, bis er sich von Daniel einfangen ließ. Den Tieren geht’s richtig gut. Das merke ich, wenn ich mit ihrer Reitausbildung beginne. Sie sind ausgeglichen und weniger ängstlich als ihre Altersgenossen, die im schlimmsten Fall ihre Kindheit zusammen mit Kühen bei irgendeinem Bauern im Stall verbringen. Wenn die zu uns in die Anlage kommen, erleiden sie beim Anblick der vielen Pferde einen Kulturschock.“
Laura macht ein bekümmertes Gesicht:
„Die haben es immer noch besser als unser Hector. Mein Großvater brauchte ihn für die Feldarbeit. Dafür holte er ihn aus dem Stall und spannte ihn gleich vor den Wagen oder Pflug. Das Pferd war sein ganzes Leben lang nur im Geschirr oder allein im fensterlosen Pferdestall. – Aber jetzt bin ich hier und freue mich auf die lange Autofahrt. Ich bin gespannt zu hören, wie du zu diesem Pferdeparadies gekommen bist.“
Laura steigt in Sünjes alte Reitstiefel. „Ich habe seit Jahren nicht mehr auf einem Pferd gesessen.“
Lieblich war die Maiennacht…
Laura versucht, gegen den Strom zu schwimmen. Kämpft gegen braunes Schlammwasser. Das kalte Wasser dringt durch den Anorak, ihre Hose, und den Wollpullover. Die Haare werden naß. Laura presst die Lippen fest zusammen, das Dreckwasser soll nicht in den Mund kommen. Sie versucht, Boden unter die Füße zu bekommen. Vergebens. Sie tritt ins Leere, will sich über Wasser halten. Bloß nicht untergehen. Kämpft gegen die Strömung, um nicht noch weiter vom Ufer abgetrieben zu werden. Das ist anstrengend. Die Beine werden schwer. Laura schnappt nach Luft und schmeckt die faulige Brühe. Wird von Dämmerung umfangen, schwefelgelbes Dämmerlicht. Kein Ufer, kein Himmel, keine Bäume, keine Sonne, kein Vogelgesang. Sie ist allein in der dunklen Kloake.
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