Roberta warf sich hin und her, in den engen Grenzen, die ihr die eisernen Bänder gestatteten. Kraftvergeudung. Ihre Wut war unermesslich. Hass, Hass, Hass! Purer, blanker Hass! Mordlust schimmerte in ihren Augen. Sie knurrte unkontrolliert.
Ketten rasselten hinter ihr, ein Zahnrad drehte sich tackernd, dann fuhr ein scharfer Schmerz durch ihre Arme bis in die Brustmuskeln, als sie hochgezogen wurde. Sie hatte frei gehangen, jetzt spannte sich die Kette, und die Stange, die ihre Beine hielt, war offenbar mit dem Boden verbunden. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Der Zug an Handgelenken und Füßen war kaum zu ertragen. Ihre Wirbel knackten im Rücken, als sie gestreckt wurde.
»Du hast keinen Grund, dich so aufzuführen!«, sagte die Stimme des Entführers hinter ihr. »Was willst du? Du bist – im Gegensatz zu deinen Opfern – noch am Leben.«
Hatte er das Wort »noch« eben nicht seltsam betont? Roberta spürte ihr Herz bis in den Hals hoch schlagen. Sie hatte Angst. Die Wut und der Hass waren fruchtlos, hatten ihre Lage nur noch verschlimmert. Sie musste sich zusammenreißen! Wenn sie sich gehen ließ, die Kontrolle über sich verlor, dann war sie wahrhaft verloren. Sie musste sich zusammennehmen und ruhig bleiben, sonst würde ihr Peiniger sich die nächste Steigerung ausdenken oder sie gleich töten. Roberta wollte nicht sterben. Sie klammerte sich an jeden Fetzen Leben, genau wie es jeder andere Mensch an ihrer Stelle tun würde.
Sie gab ihren Widerstand auf. Schlaff hing sie an ihrer Kette. Die kurze Kette, die die Stange an Robertas Beinen mit einem Ring am Boden verband, war straff gespannt. Die Kette an ihren Händen hatte sie nur ein paar Zentimeter höher gezogen, aber das hatte gereicht. Ihre Arme waren so stramm nach oben gezogen, dass ihre Brüste ein ganzes Stück höher saßen. Es sah unnatürlich aus.
Der Mann legte einen Stift an der Vorrichtung um, die die Kette hielt. Es ruckte, und der Zug an Robertas Fesseln lockerte sich um ein Kettenglied. Noch zweimal ließ er ein Kettenglied durchrutschen. So war der Zug an Armen und Beinen für seine Gefangene nicht mehr so heftig wie zuvor, aber es war immer noch mehr, als sie zu Anfang gespürt hatte.
Roberta seufzte erleichtert. Die Entlastung kam keine Sekunde zu früh. Sie hatte geglaubt, es nicht mehr aushalten zu können. Wo sollte das noch enden? Er würde ihr am Ende die Arme und Beine ausgerissen haben, bevor er sie umbrachte!
Wie stark kann man einen menschlichen Körper strecken? Die Folterknechte im Mittelalter hatten das sicher ganz genau gewusst, und Roberta fragte sich, ob ihr persönlicher Folterknecht auch über solches Wissen verfügte.
Der Mann wusste genau, was er tat. Er hatte das schon zuvor getan, damals allerdings unter dem Befehl seines Kommandanten. Es war so einfach, die Verantwortung nicht zu übernehmen – ganz besonders beim Militär. Ein paar Jahre später hatte er am eigenen Leib auch die andere Seite kennengelernt. Der Feind war nicht weniger zimperlich gewesen, als er selbst mit seinem Opfer umgegangen war. Ein Mensch kann Erstaunliches ertragen. Wenn der »Befragende« den »Befragten« auch noch sachkundig behandelt und seine Grenzen erkennt, dann kann ein Mensch Monate so überleben. Er selbst war dafür der Beweis. Es hatte sieben Monate gedauert, bis er endlich hatte fliehen können – sieben Monate, in denen er vorwiegend an einer Kette von einer Decke herabgehangen hatte.
Er hatte sich dabei eine neue Schicht Narben zugelegt, denn die Soldaten spielten gern mit Feuer und ihren Messern. Sie hatten darin viel Übung …
Der Mann streckte seinen vernarbten Arm aus und legte die narbige Hand flach auf das Gesäß seiner Gefangenen. Mit sanftem Druck drehte er sie zu sich herum. Roberta zitterte augenblicklich, als sie seine Hand auf ihrem Hintern fühlte. Jetzt kam es! Jetzt würde sie zerstückelt – oder wenigstens brutal vergewaltigt!
Zum ersten Mal sah er ihr in die Augen. Er hielt ihre Hüften mit beiden Händen, sonst hätte sie sich unter dem Druck der verdrillten Kettenglieder zurückgedreht.
»Zwing mich nicht, das noch einmal zu tun.« Seine Stimme befahl nicht. Er bat sie darum. Roberta registrierte es verwundert. Sie hatte angenommen, dass er das Ganze genoss – so, wie sie es genossen hätte.
Er ließ sie los, und ihr Körper federte an seiner Fessel zurück in die vorige Position. Roberta starrte wieder auf die Wand. Vertan! Sie hatte eine Chance vertan, einen Blick in den anderen Teil ihres Gefängnisses werfen zu können. So unerwartet war die Berührung durch seine Hände gekommen, dass sie nur in sein narbiges Gesicht gestarrt hatte; von dem Raum hinter ihm hatte sie nichts gesehen.
Was hätte es ihr auch genützt? Was hätte sie denn getan, wenn sie gewusst hätte, was noch in diesem Keller war außer ihr, dem Entführer und diesen vermaledeiten Ketten? Sie konnte hören, wie der Mann wieder einmal zu dem Ofen ging und Brennstoff nachlegte. Die Hitze in dem Raum war kaum noch erträglich. Gehörte das zu ihrer Folter, oder liebte ihr Entführer es einfach nur warm? Heißer als die Hölle. Der Teufel könnte es nicht heißer mögen, dachte sie, und ihr lief ein Frösteln über die Schultern, trotz der Hitze. Außerdem schwitzte sie. Es klapperte hinter ihr. Der Mann ging hin und her, trug etwas Metallenes.
Er kam seitlich in ihr Blickfeld, wie immer. Vor sich her trug er eine eiserne Metallschüssel von nicht unbeträchtlichem Durchmesser. Sie mochte wenigstens drei Fuß messen, und das Metall war erstaunlich dick. Der Mann war nicht schwächlich, aber sie sah, dass er sich beträchtlich anstrengen musste, um die Schale zu heben. Er stellte die Schale ab und ging wieder. Mit einem Dreifuß kehrte er zurück, einem annähernd auf Hüfthöhe sitzendem Gestell, auf das er die Metallschale setzte. Wollte er ein Opferfeuer anzünden? Wirklich kam er als Nächstes mit einer Kiste voller Holzkohle zurück und schüttete sie in die Schale. Dann legte er mit einer Kohlenzange eine große, glühende Kohle auf die Holzkohle. Er schob sie mit der Zange geschickt unter den schwarzen Haufen, so dass sie völlig von der Holzkohle bedeckt wurde. Er ging erneut und kam mit einem Blasebalg und einer emaillierten Kanne wieder. Die Kanne war riesig, fasste bestimmt mehr als zwanzig Liter. Wortlos begann er, die Glut mit dem Blasebalg anzufachen. Mit langsamem Druck und Zug ließ er einen Luftstrom unter die Kohlen blasen, bis die Holzkohle durchgeglüht war und eine unglaubliche Hitze abstrahlte. Der Schweiß lief dem Mann in Strömen über seinen Körper. Der Bund der Jeans war dunkel von Feuchtigkeit.
Dann zog er die Kanne zu sich heran. Es gab ein hässlich schabendes Geräusch auf dem Stein, als die weiße Emaille darüber kratzte. Der Mann tauchte seine Hand in das Wasser und sprengte es dann über die glühenden Kohlen. Die rote Glut verfärbte sich zu schwarzen Punkten, wo das Wasser auf die Glut tropfte. Es zischte, und eine Dampfwolke stieg auf. Ein seltsamer Duft machte sich breit. Roberta sog die Luft scharf durch die Nase. Weihrauch oder etwas Ähnliches? Sie konnte den Geruch nicht genau einordnen. Er kam ihr bekannt vor, aber sie bekam den Zipfel des Erkennens nicht zu fassen, wie das sprichwörtliche Wort, das einem auf der Zunge liegt …
Der Mensch war wirklich völlig verrückt! Als wäre es noch nicht heiß genug, entfachte er jetzt auch noch zu allem Überfluss eine Sauna! Roberta fühlte, wie die Feuchte der Dampfwolken sie streifte, wie die Tropfen Wasserdampf auf ihrer Haut kondensierten. Kleine Bäche rannen an ihrem Körper herunter. Schweißtropfen vermischten sich mit Wassertröpfchen und hüllten sie in einen glänzenden Film aus Feuchtigkeit. Die Hitze im Raum übertrug sich auf Roberta. Sie spürte, wie ihr Inneres sich immer mehr aufheizte. Wollte sie der Kerl kochen? Dampfgaren? Vor ihren Augen flimmerte die Luft, so groß war die Hitze, die das Kohlebecken abstrahlte. Sie fühlte, wie die feinen Härchen auf ihren Oberschenkeln sich in der Hitze zu kräuseln begannen, wie sich die Haut spannte. Immer mehr Dampf stieg auf. Wieder sprühte der Mann Wasser in die Glut. Zisch, Dampf, zisch, Dampf, fast wie eine Maschine.
Читать дальше