Es klopfte an Maurers Bürotür. Perkins steckte seinen Kopf herein.
»Ich bin den Stapel durchgegangen, Chef, aber da ist nichts. So was wie heute hat es vorher noch nicht gegeben. Ich hab alle möglichen Verrücktheiten dabeigehabt, nur nichts, was hierzu passt.« Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Sorry, Chef!«
»War einen Versuch wert!«, entgegnete Maurer, aber Perkins war schon verschwunden. Der Mann hatte es immer eilig. Maurer seufzte unwillkürlich. Er kam sich wirklich überflüssig vor.
»Ich könnte einen Kaffee vertragen, Finnegan.« Er blickte seine Assistentin an. »Sie auch?«
Finnegan nickte und wollte aufspringen, aber Maurer schob seinen Stuhl zurück und erhob sich.
»Milch oder Zucker?«, fragte er, als er an ihr vorbeiging.
»Schwarz!«, antwortete Sergeant Finnegan mit trockenem Hals.
»Oh, ja, natürlich!«, murmelte Maurer und ging in Richtung Kaffeeküche. Sergeant Finnegan fragte sich, was daran natürlich war, dass sie ihren Kaffee schwarz bevorzugte. War das eine Anspielung auf ihre Hautfarbe?
Maurer setzte in der Küche frischen Kaffee auf. Ein echter Luxus. Die meisten Abteilungen mussten sich mit Automaten begnügen, die gegen viel Geld nur etwas hergaben, das den Namen Kaffee nicht wirklich verdiente.
Er schmunzelte. Er hätte sich denken können, dass Finnegan ihren Kaffee schwarz wollte. Junge Frauen achten immer auf ihre Figur. Finnegan machte da wohl keine Ausnahme. Zucker ist eine Kalorienbombe, und Milch enthält Fette, das weiß man ja. Natürlich verzichtete sie darauf. Ob Mrs. Stone wohl auch verzichtete? Maurer hatte den Verdacht, dass die entführte Mrs. Stone nicht zu Verzicht und Zölibat neigte. Er hatte zwar nur Fotos von der Dame gesehen, aber die vermittelten ihm nicht das Bild einer Florence Nightingale, eher einer Mata Hari. Die Frau hatte einen arroganten Zug um ihre Mundwinkel. Sie war es gewohnt, ihren Willen zu bekommen. Maurer stellte sich einen Streit mit Mrs. Stone vor. Er erhielt eine keifende Xanthippe.
Der Kaffee war durchgelaufen. Maurer schenkte zwei Becher voll und sicherte den Rest in der Thermoskanne. Drei Löffel Zucker in seinen Becher, umrühren. Er liebte seinen Kaffee süß. Zum Glück musste er nicht auf seine Figur achten. Er konnte essen und trinken, was und so viel er wollte, er behielt sein Gewicht.
Maurer balancierte die beiden Becher mit ihrem heißen Inhalt vorsichtig zu seinem Büro. Als er eintrat, saß eine junge Frau bei Sergeant Finnegan, die sofort aufsprang, als Maurer eintrat.
Fast hätte er den Kaffee verschüttet.
»Das ist Mrs. Broderson, Detective«, stellte Finnegan die Frau vor, »Mrs. Stones Sekretärin, Sir!« Finnegan sprach sehr förmlich. Maurer fragte sich, ob sie das wegen der Sekretärin tat.
Er stellte seinen Becher auf dem Tisch ab und reichte Sergeant Finnegan ihren.
»Ohne Milch und ohne Zucker, bitte sehr!«, sagte er und lächelte sie an. Finnegan sah wirklich verdammt gut aus. Finnegan nahm den Becher entgegen. Sie konnte diesen Mann nicht einschätzen. Hatte er nun eine Anspielung gemacht, oder hatte sie etwas falsch interpretiert? Warum störte sie das überhaupt?
»So, Mrs. Broderson, ja, also, sie sind die Sekretärin der Entführten!«, wiederholte Maurer, um irgendwie einen Einstieg in die Befragung zu bekommen. Graue Maus, ordnete Maurer sie ein. Nicht hässlich, aber unscheinbar und so falsch gekleidet, wie es nur ging. Erstaunlich, dass sie keine Brille trug! Graues Kostüm, hochgesteckte Haare, Perlenohrstecker, ein schlichter goldener Ring an der Hand, eine einfache Uhr, Lederarmband. Maurer hätte gewettet, dass Mrs. Stone sich ihre Sekretärin mit Bedacht ausgewählt hatte.
»Sie kennen ihre Chefin doch sicher gut, wenn sie ihre Sekretärin sind, Mrs. Broderson?« Maurer nippte an seinem Kaffee. »Oh, möchten Sie auch einen Kaffee?«
Mrs. Broderson schüttelte den Kopf. Sie stand noch immer.
»Ich vertrage Kaffee nicht«, sagte sie. »Tee auch nicht!«, fügte sie hastig hinzu.
»Setzen Sie sich doch bitte, bevor ich einen steifen Nacken bekomme, weil ich immer zu Ihnen aufsehen muss!« Maurer deutete auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch. Verzagt schob Mrs. Broderson sich auf das Möbel.
»Wie ist das nun mit ihrer Chefin?«, begann Maurer erneut. »Wie ist sie so – als Mensch und als Arbeitgeberin?«
»Mrs. Stone ist eine sehr korrekte Arbeitgeberin!«, antwortete die graue Maus leise. »Sie legt viel Wert auf genaue und schnelle Arbeit, und ich habe immer pünktlich mein Gehalt bekommen! Das schien ihr wichtig zu sein.«
»Und als Mensch, so als Privatperson?«, bohrte Maurer weiter.
»Ich habe Mrs. Stone nie privat erlebt, immer nur beruflich, geschäftlich. Sie war immer sehr korrekt und …« Sie brach ab.
»Und was?«, fragte Maurer. Abgebrochene Sätze machten ihn immer neugierig.
»Auf mich wirkte sie immer sehr kühl und distanziert. Manche halten sie sogar für arrogant …« Wieder brach Mrs. Broderson ab. Maurer bekam das Gefühl, dass sich dieses Gespräch noch hinziehen würde.
»Wenn Sie gestatten, Chef«, sagte Finnegan halblaut, »wenn Sie gestatten, führe ich das Gespräch mit Mrs. Broderson weiter. Sie müssen sich noch um die anderen kümmern …«
Finnegan warf ihm einen Rettungsanker zu, und Maurer war dankbar. Er hasste es, seinem Gesprächspartner jedes Wort aus der Nase ziehen zu müssen.
»Gut, dass Sie mich daran erinnern, Sergeant«, gab er zurück. »Ja, wenn sie so nett wären …«
Er verabschiedete sich von Mrs. Broderson. Beim Hinausgehen zwinkerte Finnegan ihm zu. Maurer lief ein Schauer den Rücken hinunter. Er zwinkerte zurück. Als die beiden Frauen gegangen waren, legte er die Füße hoch und widmete sich seinem Kaffee.
Noch war er heiß …
Roberta Stone konnte nicht sehen, was der Entführer tat. Sie hing so, dass sie vor sich eine nackte Steinwand aus grob gefügten Blöcken sah, auf dem die flackernden Fackeln Schatten tanzen ließen. Der Mann machte auch nicht viele Geräusche, die ihr Aufschluss darüber geben konnten, was er trieb.
Nachdem er seine Beschuldigungen ausgesprochen hatte, war er in Schweigen verfallen. Er lief herum und tat etwas. Manchmal kam er in ihr Blickfeld. Er hob nicht einmal seinen Blick zu ihr oder sah sie an. Als wäre sie gar nicht da. Sah sie nicht toll aus? Männer wollten sie, begehrten sie! Sie liebten ihre weiche, gepflegte Haut, ihr blondes Haar. Ihr Blick wanderte zur Seite, wo eine Strähne ihres langen Haares über ihre Brust fiel. Es war braun. Wie konnte das sein? Seit ihrem siebzehnten Geburtstag war sie nicht mehr brünett gewesen! Sie hatte eine Blondine aus sich gemacht! Männer bevorzugen Blondinen!
Deshalb auch hatte sie jedes Körperhaar entfernt oder entfernen lassen. Nichts sollte ihre wahre Haarfarbe verraten. Und jetzt hatte ihr Haar wieder die verhasste braune Farbe! Wie konnte das sein?
Das musste er getan haben! Was hatte er noch mit ihr angestellt, während sie bewusstlos gewesen war? Sie verrenkte sich, um so viel von sich sehen zu können, wie in ihrer Lage möglich war. Sie erkannte ihre Brüste, die Brustwarzen, Knie, Bauch … Alles so, wie sie es gewohnt war. Hatte er sie vergewaltigt? Etwas sagte ihr, dass er es nicht getan hatte. Sie kannte das Gefühl in ihrer Scheide, wenn ein Mann in ihr gewesen war.
Vielleicht brauchte er etwas anderes, was ihn antörnt, fragte sie sich. Sie hatte schon alle möglichen Perversionen erlebt, und es würde sie nicht wundern, wenn hinter all dem ein neues, perverses Spielchen stecken würde.
Fast wünschte sie sich, er würde endlich tun, was sie dachte, dass er tun wollte. Dann hätte sie es hinter sich, und alle könnten wieder nach Hause gehen. Aber so würde es nicht laufen. Er hatte es ihr schon gesagt: Wenn er mit ihr fertig wäre, würde es sie nicht mehr geben. Außerdem kannte er all ihre kleinen, miesen Pläne – und den großen: den geplanten Mord an ihrem Mann. Wenn er sie nicht gekidnappt hätte, wäre Alexander Stone jetzt schon Vergangenheit. Das nahm sie zumindest an. Sie musste sich eingestehen, dass sie nicht einmal annähernd sagen konnte, wie spät es war oder welcher Tag heute war. Wie lange war sie weggetreten gewesen? Stunden? Tage? Sie verspürte ein Hungergefühl in der Magengegend, und sie war durstig. Der Gummiball an ihrer Zunge wirkte rau, sie hatte keinen Speichel mehr. Sie bezweifelte allerdings, dass ihr Entführer ihr etwas zu trinken geben wollte. Er hätte ihr sonst wohl kaum diesen Gummiball zwischen die Lippen gesteckt.
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