Männer waren nur Mittel zum Zweck für sie; Frauen allerdings auch. Roberta ließ nur Roberta gelten. Alle anderen hatten sich ihr und ihren Wünschen unterzuordnen.
Dass ihr Körper dabei eine starke Waffe war, die sie geschickt einzusetzen wusste, hatte sie schnell begriffen und schon in der Schule ihre Vorteile daraus zu ziehen gewusst. Roberta hatte immer gute Noten gehabt …
»Weiter!« Der Mann trat hinter die auf der Bank Stehende und redete von dort weiter. Seine Stimme hallte in dem stillen Raum.
»Du hast den Mann deiner besten Freundin verführt. Was sie dir als Freundin anvertraut hat, hast du ohne Skrupel ausgenutzt. Du hast vorgehabt, seinen Beruf als Börsenmakler für Insiderinformationen zu nutzen, indem du ihn mit eurem Geheimnis erpresst!«
Jennifer, diese dumme Pute! , dachte Roberta. Jenny hatte ihr unter dem Mäntelchen der Verschwiegenheit gebeichtet, dass ihr Mann zu gerne Analsex mit ihr haben wollte, sie das aber ekelig fände und niemals tun würde. Der geile Idiot hatte sofort angebissen, als sie ihm ihren Hintern zur freien Benutzung angeboten hatte. Die Idee mit den Insidergeschäften war ihr erst später gekommen.
Nichtsdestotrotz hatte der Mann es richtig beschrieben. So und nicht anders hatte sie vorgehen wollen. Hatte sie wirklich so viel preisgegeben in ihren Selbstgesprächen? Es musste wohl so sein! Woher sonst sollte der Entführer diese intimen Informationen haben? Roberta Stone war wütend auf sich, auf den Entführer und vor allem auf ihre Machtlosigkeit! Es kochte in ihr, und sie stieß ein verächtliches Knurren hinter dem Gummiball hervor.
Sollte er sie doch mit ihren Untaten konfrontieren! Sollte er doch! Was er auch tat oder sagte, sie wollte die stolze Roberta bleiben, die sie immer dargestellt hatte. An ihr sollte er sich die Zähne ausbeißen, wenn er glaubte, sie zum Wimmern zu bringen!
»Du hast dafür gesorgt, dass eine junge Frau, die in einer der sozialen Einrichtungen deines Mannes arbeitete, entlassen wurde. Sie hatte dir widersprochen.«
»Und ich habe dafür gesorgt, dass sie nirgends an der Ostküste noch einen Job bekommt«, fügte Roberta stumm hinzu. »Nicht mal als Klofrau! Und ich habe noch mehr getan, aber das weißt du nicht!«
Die Stimme hinter ihr fuhr fort: »Du hast die junge Frau verleumdet und dafür Sorge getragen, dass jede Arbeitsagentur von dieser Verleumdung erfuhr. Die Frau bekam keine Anstellung mehr. Sie zog in ein billigeres Viertel. Dort wurde sie von einer Bande Ghettokids übel vergewaltigt. Du hast sie damit beauftragt.«
Scheiße! dachte Roberta. Er weiß es! Sogar das weiß der Scheißkerl!
»Am 30. Dezember des letzten Jahres hat sie sich das Leben genommen. Ihr Name war Barbara Shempeera; sie war erst 33 Jahre alt.«
Roberta erinnerte sich an die junge Frau. Sie hatte sich geweigert, einen schon überfälligen, zur Zahlung anstehenden Betrag für afrikanische Organisationen noch länger zurückzuhalten. Eigenmächtig hatte sie die Gelder freigegeben, und Roberta hatte ihr schmutziges kleines Geschäft nicht machen können. Sie erinnerte sich an die dreckigen, crackverseuchten Kids, die für fünfzig Dollar Cash die Frau vergewaltigt hatten. Gangbang nannten sie das. »Wir hätten’s auch für umsonst gemacht, so eng, wie die war!«, hatte einer der Bengel hinterher gesagt. Sie hatte sich das kranke Schauspiel von ihrer Limousine aus angesehen. Es hatte sie angemacht.
»Hank Bellamy«, sagte der Mann hinter ihr.
Roberta gefror das Blut in den Adern. Nein, das konnte nicht sein! Das konnte er nicht wissen! Niemand wusste von Hank Bellamy! Hank war tot, begraben, es hatte ihn nie gegeben!
»Hank Bellamy lernte dich in einem Swingerclub kennen. Du hast ihn privat zu dir eingeladen. Er gefiel dir, denn er konnte dich befriedigen. Aber als du feststellen musstest, dass du anfingst, dich ernsthaft in ihn zu verlieben, hast du ihn umgebracht.«
Roberta spürte ein trockenes Würgen im Hals. Hank. Sie hatte ihm Chloralhydrat in den Whiskey getan. Als er fest schlief, hatte sie ihm mit einer Scherbe einer Whiskeyflasche, die sie extra dafür zerschlagen hatte, die Beinarterie aufgeschlitzt. Er war in seinem Bett verblutet, ohne es mitzubekommen. Die Polizei hat ihn erst Wochen später gefunden, als die Fliegen schon alle Spuren vernichtet hatten, die es vielleicht trotz aller Vorsicht gegeben hatte. Er wurde als namenloser Toter im County geführt, einer, der nach durchsoffener Nacht einen ziemlich blödsinnigen Tod starb. An Mord dachte niemand.
Roberta war sich so sicher gewesen, nie mit diesem Verbrechen in Verbindung gebracht zu werden! Was, um Himmels Willen, hatte der Wahnsinnige, der sie entführt hatte, nur noch alles herausgefunden?
»Sophia Mullins, Bernhard Korridge und Sebastian Laurence.«
Roberta öffnete endlich doch die Augen. Diese Namen sagten ihr alle nichts. Was sollte sie denen denn angetan haben?
»Sie saßen in einem Oldsmobile, das am 28. Februar vor sechs Jahren in den Rockies eine Serpentinenstraße hochfuhr. Sie starben, als ein brennendes Motorrad von oben in ihr Fahrzeug stürzte. Du hattest die Harley gestohlen, nur zum Spaß, und oben in den Bergen hast du die Maschine in Brand gesetzt und über die Klippe geschoben, um deine Spuren zu verwischen. Es war dir egal, was unten passierte.«
Das hatte sie nicht gewusst! Es hatte doch nur eine kleine Spritztour werden sollen! Die Versicherung würde die Maschine bezahlen, und fertig. Drei Menschen waren dabei umgekommen? Roberta fühlte sich plötzlich leer und hohl.
»Die Zeit ist um«, sagte der Mann und trat ohne Vorwarnung die Bank unter Robertas Füßen weg. Sie sackte durch und hing schwer in ihren Ketten. Ihr Körper schaukelte hin und her. Ein Reißen ging durch ihre Handgelenke. Es war nur eine Erholungspause gewesen, damit sie die Folter länger durchstand! Er würde sie niemals entkommen lassen!
Roberta hörte, wie der Mann die Bank beiseite stellte. Sie fühlte seine Hand an ihrem Schenkel, als er ihre Pendelbewegung stoppte. Dann herrschte Stille. War er noch im Raum? Oder hatte er sie allein gelassen?
Roberta lauschte. Sie hörte nur das gedämpfte Prasseln der Fackeln und der Glut im Ofen. Sie hörte ihre eigenen Atemzüge. Sie spürte den dumpfen Schmerz in den Handgelenken und Schultern, und sie roch ihren Schweiß. Er roch nach Angst.
Finnegan kam nicht weiter. Sie hatte nach der Vergangenheit von Mrs. Roberta Stone gesucht und nur ein löchriges, grobes Netz aus Informationen gefunden, die sich sogar teilweise widersprachen. Da hatte jemand etwas verschleiern wollen. Nein, nicht nur wollen, er hatte es getan! Finnegan kam einfach nicht weiter. Sie hatte ihren Computer zu Höchstleistungen angespornt, aber nicht mehr gefunden, als sie aus jeder Klatschspalte herauslesen könnte. Mrs. Roberta Stone sollte doch Spuren hinterlassen haben an ihrer Schule, an ihrer Universität und im Berufsleben. Aber da war nichts. Sicher, sie war zur Schule gegangen und zur Uni, und dann hatte sie diesen Anwalt geheiratet, diesen Fouley, und von da an gab es detailliertere Angaben, die aber alle auf beängstigende Art zu glatt waren. Mrs. Stone schien Finnegan eine Art Aal zu sein, der überall durchrutscht und im Wasser keine Spuren hinterlässt.
Finnegan trank den Rest kalten Kaffees aus ihrem Becher. Wo könnte sie noch wühlen, um etwas über Mrs. Stone herauszufinden? Sie war im Strafregister, im Verkehrsregister und im Finanzamtsdatenspeicher gewesen. Alles sauber wie frisch gestärkte Maklerhemden – zu sauber. Finnegan spürte, dass da noch etwas war, das gefunden werden musste. Es lag nur an ihr, es dort zu suchen, wo sie es finden konnte.
Sie konnte nicht glauben, dass es jemandem gelingen konnte, seine Daten so sorgfältig zu bügeln, wie es hier geschehen war. Es war nahezu unmöglich. Von Mr. Stone war keine Hilfe zu erwarten. Finnegan hatte ihn in seinem Penthouse angerufen und nur kalte Ablehnung geerntet. Stone weigerte sich, auch nur anzunehmen, seine Frau könne aus anderen Gründen als geldlichen entführt worden sein. Vielleicht war es Altersstarrsinn, denn Stone war schon weit über Siebzig, vielleicht auch Selbstschutz. Vielleicht wollte er sich nur nicht eingestehen, dass er eventuell doch nicht der einzige Mann gewesen war, der mit seiner Frau schlief; vielleicht. Tatsache war, dass Mr. Stone blockte. Er saß zu Hause und wartete darauf, dass sein Telefon klingelte und ihm jemand sagte, er solle soundsoviel Geld zu derundder Uhrzeit an denundden Ort bringen.
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