1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Außerdem war es heiß in diesem Keller. Es roch nach Kamin. Besser, als wenn es hier feucht und kalt gewesen wäre, dachte sie. Oder auch nicht! Kälte macht schmerzunempfindlich, hatte sie gelesen; und ihr schmerzten die Arme. Ihre Gelenke spürte sie schon nicht mehr. Wie lange würde sie das noch aushalten können?
Roberta Stone hatte viele Menschen leiden lassen, vielen hatte sie beim Leiden zugesehen, und bei einigen hatte sie das Leiden noch verlängert. Wie lange würde sie selbst leiden können? Wie hoch war ihre Leidensgrenze?
Dabei war noch nichts weiter geschehen. Sie war an den Händen nackt aufgehängt worden, und ein Verrückter bedrohte sie. Aber mehr als Drohungen waren bis jetzt nicht gefallen. Wenn man von ihrer Haarfarbe absah, war sie körperlich unversehrt.
Wenn ihr nur einfallen würde, woher sie ihren Entführer kennen sollte! Vielleicht würde ihr das weiterhelfen! Wer war er?
Sie konnte nicht einmal sein Alter schätzen. Die Narben und der Zustand seines Körpers ließen eine Schätzung einfach nicht zu. Er mochte vierzig oder sechzig Jahre zählen, sie konnte es nicht sagen. Wie viele Jahre sind nötig, bis ein Körper so aussah? Was muss jemand tun, um so zu werden? Der Mann musste durch die Hölle gegangen sein! Sie hatte einmal mit einem Feuerwehrmann geschlafen, der in einer Explosion fast zerfetzt worden war und den die Ärzte gerade noch eben so wieder zusammengeflickt hatten. Der Mann hatte schon schlimm ausgesehen, aber verglichen mit dem Entführer hatte er nur ein paar Kratzer abbekommen.
Sie hatte sehen können, dass die Narben sich schnitten und überlappten. Neue Narben auf und über alten. Er musste sein Leben lang immer wieder schwerste Verletzungen erlitten haben. Was hatte sie damit zu tun? Sie konnte sich nicht an jemanden erinnern, dem sie so etwas zugefügt haben konnte.
Sie hatte in dieses zerstörte Gesicht gesehen, aber da war kein Erkennen. Sie hatte in seine tiefbraunen Augen gesehen, aber auch da war nichts, das sie erkannt hätte, nichts, das sie an irgendwen erinnert hätte. Wer, wer, wer war ihr Peiniger?
Es musste schon lange zurückliegen. Diese Menge an Verletzungen hatte er sich nicht in ein oder zwei Jahren zugezogen. Dafür reicht oft ein ganzes Leben nicht. Ihr fiel wieder ein, dass er ein militärisches Auftreten hatte, ohne auf seine Autorität zu pochen. Vielleicht war er im Krieg gewesen? Desert Storm? Dort waren viele G. I.s übel zugerichtet worden! Vietnam? Möglich, aber da war sie noch ein Kind gewesen, das waren verschwommene Erinnerungen.
Konnte der Mann so alt sein? Vietnam fiel in die 70-er Jahre, schon möglich, dass er damals dabei gewesen war.
Doch das brachte sie nicht weiter. Wer war er?
Sie hörte Schritte von hinten kommen, leise Tritte von nackten Füßen, das Quietschen rostiger Scharniere, das Geräusch der Kohlen, die in die Glut nachrutschten, das stochernde Kratzen eines Schürhakens, Klappern, wieder das Quietschen der Ofentür, als sie sich wieder schloss.
Er trat wieder in ihr Blickfeld. In den Händen hielt er eine lange Holzbank. Er stellte sich dicht vor Roberta und drückte sie mit der Linken von sich fort. Mit der rechten schob er die Holzbank unter ihre Position. Dann griff er ihr grob zwischen die Beine, hob sie an und stellte sie mit den von der Eisenstange gespreizten Beinen auf die Holzbank. Die Bank war eben lang genug, dass Roberta ihre Füße links und rechts darauf halten konnte. Sie drückte ihre zitternden Knie durch und stellte sich hin. Es waren nur ein paar Zentimeter, aber es entlastete ihre Handgelenke. Sie hielt ihre Hände immer noch hoch, aber der Zug durch ihr Gewicht war fortgenommen. Sie streckte sich. Ihre Rückenwirbel knackten, als sie nach dem langen Hängen wieder auf ihre Bandscheiben rutschten.
Roberta atmete tief durch. Vielleicht nahm er ihr jetzt den Knebel heraus. Sie hatte immensen Durst! Vielleicht befreite er sie sogar von ihren Fesseln, und sie fände eine Möglichkeit zur Flucht oder könnte ihn überrumpeln …
Er wusste genau, wie lange er sie hängen lassen durfte, ohne dass ihre Hände Schaden nahmen. Nach Ablauf dieser Zeitspanne musste er dem Blut Gelegenheit geben, wieder in die Adern zurückzufließen und das Gewebe zu versorgen, bevor es abstarb. Er hatte diese Lektion gelernt, in Theorie und Praxis.
Sie war so wunderschön, wie sie dort stand, eine gebundene Gottheit, jeder Bogen ihres Körpers eine Ode an die Schönheit. Feucht glänzte ihre Haut, das herabfallende Haar klebte an ihrem Rücken. Sie würde rasenden Durst verspüren, und es würde noch schlimmer werden. Er würde den Raum zum Glühen bringen. Ihm selbst klebte die Jeans an der Haut, und Tropfen rannen an seinem Körper herunter. Er fand es eher störend bei sich selbst. Bei ihr wirkte der feuchte Glanz wie ein überirdisches Funkeln auf elfenbeinerner Haut. Sie stand da, mit geschlossenen Augen, den Kopf an die nach oben ragenden Arme gelehnt, atmete tief und deutlich. Er sah, wie sich ihr Brustkorb mit Luft füllte, wie sich ihre Brüste merklich hoben und beim Ausatmen wieder senkten. Er sah das Klopfen ihrer Halsschlagader, durch die das Blut in das Gehirn strömte, in dem diese hinterhältigen Pläne und perfiden Verbrechen erdacht worden waren, die dazu geführt hatten, dass er und sie nun hier waren.
»Ich werde dir deine Untaten vorlesen«, sagte er unvermittelt.
Er wand seinen Blick von der Schönheit ihres Körpers ab und konzentrierte sich auf seine selbstgestellte Aufgabe. »Ich werde es chronologisch tun. Wir beginnen mit dem letzten Verbrechen, mit der Ermordung deines Ehemannes Nummer zwei, Alexander Fitzgerald Stone. Du hast geplant, ihn während des Beischlafs nach seiner Rückkehr von seiner Geschäftsreise mit einer luftgefüllten Spritze zu töten. Durch das Injizieren von Luft in eine Ader entstünde eine Embolie, die jeder für normales Herzversagen halten würde. Den kleinen Einstich würde man nicht bemerken, denn Mr. Stone leidet an Altersdiabetes und muss regelmäßig Insulin spritzen. Da gibt es natürlich eine Menge Einstiche. Die trauernde Witwe wäre dann von allen bedauert worden: Wie grausam, beim Sex gestorben! Und Roberta Stone wäre Herrin über eines der größten Vermögen der Welt geworden und Aktionärin von so ziemlich allen wichtigen Zeitungen der USA.«
Der Mann sah Roberta mit seinen unglaublich braunen Augen lange an. Sie hielt immer noch die Augen geschlossen. Sie hatte gehört, was er ihr zu sagen hatte. So hatte sie es geplant gehabt. Sie hatte Alexander beim Ficken töten wollen, wenn er gar nicht damit rechnete; wenn er tief in ihr war und sicher, dass ihm nichts geschehen konnte, hatte sie ihm den Todesstoß geben wollen. Eine Träne quoll ihr unter den geschlossenen Liedern hervor. Keine Reue! Selbstmitleid, Ärger darüber, entdeckt worden zu sein – und Angst vor ihrer Strafe.
Sie hätte Alexander, ohne mit der Wimper zu zucken, umgebracht. Sie hätte es sogar mit einer gewissen Freude getan. Alex war ein ekeliger Mann, schwammig, weich, wächsern und voller grauer, drahtiger Körperhaare; und er war schlecht im Bett. Sie hatte ihn nur des Geldes wegen ertragen, und mehr als Ertragen war es nie gewesen. Sie hatte sich ihre Befriedigung immer woanders geholt. Nach dem ersten Sex mit ihrem damals noch zukünftigen Mann hatte sie sich einen derben Kerl von der Straße geholt und sich von ihm und seinen drei Kumpeln die ganze Nacht lang immer wieder hemmungslos ficken lassen. Mit Unmengen fremden Spermas hatte sie versucht, sich den Schleim dieses schmierigen Millionärs aus dem Körper zu spülen.
Aber sie hatte ja nie vorgehabt, lange Mrs. Stone zu sein. Drei oder vier Jahre, dann würde ihren Ehemann auf die eine oder andere Art ein plötzlicher Tod ereilen. Das hatte schon bei ihrer ersten Heirat festgestanden, und sie hatte diese Tradition bei ihrer zweiten Ehe so weiterführen wollen.
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