»Sie geht nie in den Keller. Hat sich auch früher schon immer geweigert«, sagte Richard von Dauss zu Ben und Kai, als sie die Kellertreppe hinabstiegen. Er sprach in jenem leisen Flüsterton, der Eltern zu eigen ist, die intime Geheimnisse ihrer Kinder ausplaudern.
»Aha«, sagte Ben und dachte, dass ihr womöglich seine Rescuetropfen helfen könnten, die er gegen sein krankhaftes Lampenfieber schluckte.
»So ein Glück«, meinte Kai mit einem Kichern. »Dann musste sie bestimmt als Kind nie Bier aus dem Keller holen.«
»Sie leidet darunter«, gab von Dauss knapp zur Antwort, ohne Kai dabei anzusehen.
Für den strafenden Blick sorgte Ben.
Richard von Dauss drückte einen Schalter am Fuß der Treppe, und ein seidig gelbes Licht erhellte ein schlauchartiges Gewölbe, von dem rechts und links einige sehr massiv wirkende Türen abzweigten. Die Kellerwände waren geziegelt, und Ben kam sich vor wie in der Kulisse einer kitschigen Mittelalterschmonzette. Bens Gehirn erwartete den Geruch von Erde und Feuchtigkeit, doch das Raumklima fühlte sich hier genauso angenehm an wie eine Etage höher. In der Wand eingelassene Leuchten sorgten für eine sanfte, indirekte Beleuchtung, die den Eindruck vermittelte, das Licht käme direkt aus der Wand.
»Geil, oder?«, fragte von Dauss und griente Ben und Kai an.
»Ich habe mir damals einen Weinkeller hinten links in dieser Art mauern lassen.« Er deutete mit dem Finger auf die letzte Tür im Gang. »Von einer meiner Baustellen hatten wir noch Ziegel übrig, da hab ich die Jungs hier gleich weitermachen lassen.« Er ließ ein satt krächzendes Lachen hören.
Ben und Kai zogen pflichtschuldig die Mundwinkel nach unten und die Augenbrauen nach oben und nickten anerkennend. Von Dauss drehte sich um und öffnete die erste Tür auf der linken Seite.
»Weinkeller?«, flüsterte Kai Ben zu. »Garantiert hat der eine SM-Höhle da hinten!«
Ben nickte konspirativ.
»Die Polizei meint, dass das eindeutig Profis waren«, sagte von Dauss, als sie den kleinen Keller betreten hatten. Das Licht war hier, im Gegensatz zum Gewölbekeller, so grell, dass Ben einen Moment die Augen zusammenkneifen musste, als von Dauss den Lichtschalter betätigte und eine wuchtige Hängeleuchte mit vier nackten Neonröhren den Raum förmlich erstrahlen ließ. Hier befanden sich zweckmäßige Metallregale, prall gefüllt mit Konserven, Waschmitteln und Getränken, mit denen man einige Wochen wohlgenährt – und mit sauberen Unterhosen – überleben konnte.
»Die haben mir erklärt, dass solche Funkalarmanlagen, wie ich eine hab, relativ leicht auszuhebeln sind.« Er zuckte mit den Achseln. »So’n Scheiß weiß man doch nicht. Hab dem Typen, der mir die angedreht hat, ordentlich den Marsch geblasen.« Er krächzte wieder, und Ben dachte, von Dauss hätte lieber mal seinen Kumpel Uwe fragen sollen. Bei dem hätte er Qualitätsware bekommen.
»Die Einbrecher haben wohl mit so einem Funkstörsender das Teil außer Kraft gesetzt. Dann haben sie das Tor zum Garten geknackt, und als Nächstes das Gitter vor dem Kellerfenster hier verbogen.« Er deutete auf das einzige Fenster im Raum. Das Gitter war an einer Ecke weit nach außen gebogen. »Ganz auf haben sie es nicht bekommen. Trotzdem hat es gereicht, dass sie ein Loch in die Fensterscheibe schneiden und durchgreifen konnten. Säcke!«
»Aber der Fensteröffner hat doch auch ein Schloss«, sagte Ben und deutete darauf.
»Richtig«, entgegnete von Dauss. »Der war auch abgeschlossen.« Er zog verdrossen die Schultern nach oben. »Wenn man unbedingt reinwill, ist der kein Hindernis.«
Ben nickte, und von Dauss berichtete weiter: »Einer der Ganoven ist dann in den Keller geklettert und nach oben gelaufen. In mein Arbeitszimmer.« Er presste die Lippen aufeinander und blies die Backen auf. »Bis nach oben hin war keine Tür mehr abgeschlossen. Wäre ja noch schöner, wenn ich in meiner eigenen Bude alle Türen abschließen muss, oder?« Er wartete die Antwort nicht ab und sagte: »Der hat das Bild einfach von der Wand genommen, ist seelenruhig durch die Verandatür in den Garten marschiert und hat seinem Komplizen das Bild durch so einen kleinen Schlitz zwischen Hecke und Mauer durchgeschoben. Passte gerade da durch, zeige ich euch gleich.«
»Nicht nötig«, sagte Kai feierlich. »Das haben wir schon gesehen.«
»Tja, Jungs. Wie es aussieht, seid ihr dann erst mal im Bilde.« Er machte eine Geste, die eher wie ein Scheuchen als ein Fingerzeig in Richtung Treppe wirkte. »Passt mir gut. Hab gleich den nächsten Termin.«
Zurück im Wohnzimmer, tauschten Ben und von Dauss Visitenkarten und Kai und Isana, die nach wie vor auf dem Sessel saß und ihr Glas in beiden Händen hielt, zuckersüße Blicke. Von Dauss versprach, dass er sich melden würde, sobald sich die Entführer näher zur Übergabe geäußert hätten, zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar zu sein. Er hoffte dabei inständig, dass es eine Tages- und keine Nachtzeit sein würde. Danach verabschiedete sich von Dauss mit Ich-quetsch-dir-die-Hand-zu-Mus-Teil-2 und verschwand mit federnden Schritten über die Treppe ins Obergeschoss.
Keine Minute später stand er wieder oben am Geländer der Galerie. In der Hand ein Bündel Geld. »Mann, Jungs! Fast hätte ich die Anzahlung vergessen. Hier, wie versprochen, 5000. Aber dafür erwarte ich, dass ihr euch auch mächtig ins Zeug legt.« Er warf es lässig in Bens Richtung, der eher eine Abwehrreaktion vollführte als eine mannhafte Fangbewegung. Eher zufällig fing er das mit einem Gummiring umwickelte Päckchen trotzdem.
Kai drohten beim Anblick des Geldes die Augen aus dem Kopf zu quellen, und auch Ben war sprachlos. Wer mal einfach so 5000 Euro übers Geländer warf, hatte garantiert noch ein paar Mäuse mehr im Safe. Ben bedankte sich höflich mehrere Male und steckte das Geld in seine Innentasche. Als er hörte, wie Richard von Dauss das zweite Mal die Tür seines Arbeitszimmers hinter sich schloss, sagte Ben: »Tschuldigung, Isana, wenn ich neugierig erscheine … darf ich fragen, was mit deiner Mutter ist?«
»Gestorben«, entgegnete Isana ohne Umschweife. »Vor drei Jahren.«
»Oh, das tut mir leid«, sagte Ben, und Kai nickte betreten.
»Ist sie irgendwo auf den Fotos?«, fragte Ben, dem aufgefallen war, dass eigentlich keine Person, die als Mutter oder Ehefrau durchgehen würde, auf den Motiven zu erkennen war.
»Nee. Dad sagt, dass er das nicht aushalten würde, ihr Bild hier immer zu sehen.«
»Ah, das verstehe ich«, antwortete Ben. »Ich denke, wir gehen. Oder Kai?« Er sah seinen Freund auffordernd an.
»Eins noch«, sagte dieser mit wichtiger Miene. »Hab ich gerade erst dran gedacht. Nur falls aus irgendeinem Grund Ben nicht rangehen kann …« Ben verschraubte die Augen, weil er ahnte, was kommen würde. »Ich schreib dir … also euch … lieber auch mal meine Handynummer auf.« Er tastete von außen seine Jacke ab, als suchte er einen Stift und einen Zettel.
»Tolle Idee«, entgegnete Isana, die aufsprang, zu einer Schublade rannte und mit den nötigen Schreibutensilien zurückkam.
»Meine Güte! Was ist das denn für ein Umgang mit meinen Klienten?«, brach es aus Ben heraus, als sie wieder draußen waren und in Richtung Auto gingen.
» Unseren Klienten«, antwortete Kai. »Ich bekomme schließlich genauso wie du 5000 Schleifen für den Job. Reich mal bitte die zwei-fünf schon mal rüber, bevor da was drankommt.« Er hielt Ben demonstrativ die geöffnete Handfläche entgegen.
»Warte ab, Kollege. Doch nicht mitten auf der Straße. Außerdem bin ich der ausgebildete Privatdetektiv. Und du bist nur der Assistent.«
»Das hättest du wohl gerne, Alter. Kannst du ganz schnell mal vergessen! Ausgebildeter Detektiv!« Er stieß einen schrillen, kurzen Lacher aus. »Dein Kurs geht ja gerade erst drei Monate. Außerdem bist du ja nur eifersüchtig, dass sie nichts von dir wollte.«
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