■ Ambulante Einzelbetreuung zur Verselbstständigung nach stationärer Unterbringung: Hierbei besteht eine konzeptionelle Nähe zum Betreuten Wohnen (s.u.). Nachbetreuung durch ambulante Einzelbetreuung wird häufig durch Bezugserzieher der Einrichtung durchgeführt, in der der junge Mensch untergebracht war. Problematisch an dieser eigentlich positiven Konstellation ist, dass das ambulante Setting sich grundsätzlich vom stationären unterscheidet und von der durchführenden Fachkraft spezifische Methodenkenntnisse erfordert, die bei reinen Heimerzieherinnen und -erziehern nicht automatisch vorhanden sind. Die riskante Schwelle zwischen dem eng geführten stationären Setting und der Selbstständigkeit wird oft durch Stufenpläne begleitet, durch die ein kontinuierlicher Übergang mit langsam steigenden Freiheitsgraden geschaffen wird.
■ Ambulante Einzelbetreuung nach stationärer Unterbringung zur Reintegration in die Herkunftsfamilie: Eine Fremdunterbringung erfolgt nicht in jedem Fall mit dem Ziel der endgültigen Herauslösung aus der Herkunftsfamilie. Deshalb kann Einzelbetreuung auch eine Rückführung in die Herkunftsfamilie begleiten. Aktive Rückführungen sind durch den Kostendruck in den letzten Jahren stärker in das Bewusstsein der Jugendämter gerückt. Allerdings können dabei aufkommende Zielkonflikte zwischen Heimeinrichtungen und Jugendämtern den Rückführungsprozess belasten. Eine Rückführung in die Herkunftsfamilie ist immer eine riskante und schwer in ihrem Erfolg prognostizierbare Testsituation. Daher sollte sie mit allen Beteiligten gut überlegt, geplant, mehrfach erprobt, intensiv begleitet und möglichst mit einem graduellen Übergang von der Einrichtung in die Familie umgesetzt werden. Die ambulante Einzelbetreuung zur Reintegration ähnelt mit ihrem bi- bzw. multilateralen Aufgabenprofil der Familienhilfe.
■ Ambulante intensive Begleitung (AIB) 13 : Dabei handelt es sich um ein niederländisches, nach Deutschland übertragenes Konzept – das Modell INSTAP, das für algerische Jugendliche in Amsterdam entwickelt wurde. Es wurde über etwa zweieinhalb Jahre um die Jahrtausendwende herum in vier deutschen Städten – Dortmund, Leipzig, Magdeburg, Nürnberg – und dem Landkreis Harburg als Bundes-Modellprojekt erprobt und wissenschaftlich begleitet und stellt heute an den betreffenden Standorten einen Teil des Regelangebots dar. Der Ansatz ist mit anderen ambulanten Hilfen, die zur gleichen Zeit aus den USA über die Niederlande nach Mitteleuropa kamen, inhaltlich verwandt – Families First, hierzulande als FAKT (Familienaktivierende Maßnahme) oder FAM (Familie im Mittelpunkt) bekannt und eingeführt (vgl. Gehrmann, Müller 2001 2). Diese Kurzzeit-Modelle stehen in einem kritischen Verhältnis zum Beziehungsansatz der klassischen Case Work, orientieren sich eher am distanzierteren Case Management-Ansatz (s.u.) und fokussieren auf Aktivierung der informellen sozialen Netzwerke. Die verblüffende Kürze der Interventionen – bei FAM und FAKT sechs Wochen, bei der AIB drei Monate – verbunden mit einer hohen Intensität und dem Versprechen weitreichender Verbesserungen widersprechen allen Erkenntnissen der empirischen Sozialforschung, wonach Beziehungsorientierung und längere Dauer von Maßnahmen eher als Garant für Erfolg gelten. Für finanzschwache, an Effektivierung ihrer Dienstleistungen interessierte Kommunen sind solche kurzen Angebote attraktiv. Deshalb wurden wurden sie vielerorts als [29]Zusatzangebot eingeführt, konnten aber die traditionellen, beziehungsorientierten Hilfen nicht ersetzen. Als Konzept für besonders schwierige Jugendliche und junge Erwachsene, die eine Jugendhilfekarriere hinter sich haben, von Obdachlosigkeit bedroht sind und sich nicht an andere Jugendhilfemaßnahmen anbinden lassen, hat sich AIB nicht bewährt. Diese hochanspruchsvolle Zielgruppe verfügt weder über ausreichend soziale Ressourcen, noch spricht sie auf die typische vertragsförmige und rein zielorientierte Methodik an.
■ Betreutes Wohnen bzw. Betreutes Einzelwohnen (BW/BEW): Zur Zielgruppe dieses Angebots gehören ältere Jugendliche oder junge Erwachsene. Träger, die Betreutes Wohnen anbieten, setzen meist ein Mindestalter von 16 Jahren für diese Betreuungsform voraus. Sie besteht in einer Kombination aus der finanziellen Sicherung des Lebensunterhalts durch das Jugendamt mit den Inhalten und der Form eines ambulanten Betreuungssettings. Der Maßnahmetyp gleicht formal stationären Angeboten nach § 34 SGB VIII, wodurch auch die Eltern zur Kostenerstattung herangezogen werden können. Freie Träger des Betreuten Wohnens stellen manchmal ambulant betreute Wohngemeinschaftswohnungen zur Verfügung, so dass die jungen Menschen nicht sofort in eine Einzelwohnung umziehen müssen. Bei Überschreiten der Volljährigkeitsschwelle, spätestens mit dem Erreichen des 21. oder bei Maßnahmen nach § 35a SGB VIII des 27. Lebensjahrs muss ein Übergang an andere Kostenträgern – gegebenenfalls nach SGB II, III oder XII – gestaltet werden, wenn sich ein autonomes Leben – das Ziel der Hilfe – nicht als umsetzbar erweist.
2 Mary Ellen Richmond (1922): What is social case work? An introductory description [Was ist soziale Fallarbeit? Eine einführende Beschreibung], New York: Russell Sage Foundation.
3 „Maria Bielowski ging in einer Fabrik arbeiten, seit sie fünfzehn war. Nach vielen Auseinandersetzungen mit ihrer Stiefmutter darüber, dass sie ihren Arbeitslohn mit der Familie teilen sollte, und über ihre Gewohnheit, nachts lange fort zu bleiben, verließ sie ihr Zuhause und lebte in billigen Unterkünften und Hotels. Von dort wurde das Mädchen angeklagt, ein paar Dollars von einem Mitbewohner gestohlen zu haben. Für diejenigen, die ihr begegneten, war sie ein unattraktiver Anblick. Ihre Gesichtszüge waren dunkel und schwer, ihre Kleidung abgerissen, schmutzig und sehr fleckig; ihr Kopf wurde von drei Strähnen künstlichen Haares gekrönt, das, wie man später feststellte, von Ungeziefer befallen war. […] Zwei ihrer Arbeitsstellen schilderten sie als unregelmäßige Arbeiterin. Die klinische Untersuchung ergab, sie habe gute intellektuelle Fähigkeiten, aber eine psychopathische Persönlichkeit. Ihre Familie war fünf Jahre zuvor aus Polen eingewandert – ihr Vater, seine zweite Frau und vier Kinder. Aber der Vater war drei Jahre nach seiner Ankunft gestorben und die Stiefmutter, die nicht ein Dutzend englische Wörter kannte, hatte, obwohl sie eine gute Frau war, anscheinend jede Kontrolle über die Kinder verloren. Die beiden erwachsenen Söhne waren weg gezogen; der jüngere Sohn war in einer Besserungsanstalt untergebracht.“ (Richmond 1922: 32 f., Übers.: U.R.).
4 „These facts suggested that probations under conditions which would assure a maximum of individualized care might bring good results“ (Richmond 1922: 34).
5 „Eines Tages erhielt Maria ein Anschreiben aus einer entfernten Stadt, in dem ein Fernlehrangebot für eine Sprech- und Singausbildung offeriert wurde. Die Gebühr war 50 Dollar. Sie wand sich sofort an ihre Betreuerin mit der Bitte, ihr das Geld zu leihen, und diese antwortete ihr, das nächste Mal, wenn sie beide in der Stadt wären, könnten sie jemanden konsultieren, der sich gut genug mit Musik auskannte, dass er den Wert des Angebots beurteilen könnte. Ein Lehrer an einer guten Musikschule wurde angefragt Marias Stimme zu testen und seine Meinung zu ihrem Plan abzugeben. Als Maria die schwachen, schwankenden Klänge hörte, die sie von sich gab, als sie dem Meister vorsang, wurde sogar sie überzeugt, dass der Fernlehrkurs das Nachdenken nicht lohnte.“ (Richmond 1922: 39f.).
6 „Nur Entlastung“ (Richmond 1922: 167).
7 Historische Informationen aus: Müller 20064, Hering, Münchmeier 20053, Rätz-Heinisch, Schröer, Wolff 2009.
8 Informationen weitgehend aus: Iben 1967.
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