Selbiges gilt für Opa Bernd, 82 Jahre, der keine volle Flexion von 180° seines Arms über Kopf mehr schafft. Da Opa Bernd keinen Handstand mehr in seinem Leben lernen will, wäre die Umstellung seines Alltags viel zu gravierend, um dieses Ziel zu erreichen. Es wäre keine Zeit mehr dafür da, mit seinen Freunden Skat zu spielen und den Besuch seines Enkels zu empfangen, weil Bernd versucht, seine Schultermobility zu verbessern.
Natürlich sind diese Beispiele ein wenig überspitzt. Aber wie häufig setzen Therapeuten oder Trainer ihren Patienten oder Klienten einen Hut auf, der ihnen gar nicht passt? Oder wie ich gerne sage:
„Jede Generalisierung ist generell falsch!”
Womit wir wieder beim Thema Konzepte vs. Protokolle wären. Selbstverständlich ist es für Tante Frieda und Opa Bernd wichtig, sich zu bewegen, aber vielleicht nicht in dem Kontext, den wir mit unserem Trainingswissen als „optimal” bezeichnen würden. Optimal ist immer individuell zu betrachten und das BPS-Modell hilft, diese Kontextfaktoren mit einzubeziehen, sodass du einschätzen kannst, wie viel Beweglichkeit wirklich notwendig ist.
Im weiteren Verlauf des Buchs wirst du verstehen, wie die Bewegungs- und Beweglichkeitsanforderungen für die verschiedenen Calisthenicsskills lauten, um gesund zu trainieren.
Noch eine kleine Anekdote am Rande: Was meinst du, wie ich meinen Vater (ehemaliger Profi-Handballer und begeisterter Golfer) dazu bringe, Mobilitytraining zu machen? Indem ich ihm Wege zeige, wie er mit einigen Übungen seinen Golfschwung optimieren kann, wenn er an der Beweglichkeit seiner Brustwirbelsäule arbeitet.
1.4.3BEWEGLICHKEITSTRAINING HILFT GEGEN SCHMERZEN
Das Thema Schmerzen ist prädestiniert dafür, Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn es ein Thema gibt, was Menschen direkt gelöst bekommen wollen und dafür alles Mögliche in Kauf nehmen, sind es körperliche Schmerzen. Dein Alltag, dein Gemüt und dein soziales Miteinander kann durch Schmerzen beeinträchtigt werden. Wer sich nicht wohl in seinem Körper fühlt, ist unglücklicher.
Da ich mich häufig mit dem Thema Onlinemarketing im Gesundheitssektor auseinandersetze, achte ich besonders auf die Art und Weise, wie von verschiedenen Unternehmen und Personen Werbung gemacht wird. Leider wird dieser verletzliche Zustand des Öfteren von schlechtem Marketing ausgenutzt. Es wird mit Angst und Heilversprechen gearbeitet. Das Thema Beweglichkeit wird dabei sehr häufig als heiliger Gral verkauft. Als Methode, die alle deine Probleme löst, es spielt keine Rolle, welchen Ursprungs sie sind. Es werden Dehnprogramme verkauft, passive Trigger- und Faszientherapien angeboten, mit „sofortigem Schmerzlinderungseffekt”.
Wenn du solche Werbung auch schon gesehen hast, verbanne diese Aussagen bitte aus deinem Kopf. Es sind Heilversprechen, die in keiner Art und Weise haltbar noch legal sind. Dabei handelt es sich um Marketingversprechen, die nichts mit der Physiologie des Menschen zu tun haben und das Vertrauen der Menschen ausnutzen, das Gesundheitsdienstleistern entgegengebracht wird.
Selbstverständlich adressiere ich mit Moving Monkey® auch das Thema Schmerzen und dabei bleibt es nicht aus, dass das eine oder andere YouTube®-Thumbnail reißerisch wirkt. Wichtig finde ich dabei, dass der Inhalt dahinter stimmt. Dass das Wissen vermittelt wird, dass Schmerz ein komplexes Phänomen darstellt. Dass weder eine Form des Trainings (Kraft, Beweglichkeit o. Ä.) noch eine Wunderübung oder Wundermethode zur absoluten Schmerzfreiheit führt.
Beweglichkeitstraining kann ein Faktor sein, der dir ein besseres Körpergefühl gibt, dadurch ein besseres Wohlbefinden und damit eine gewisse Schmerzlinderung herbeiführen kann.
Eine direkte Kausalität kann allerdings nicht gezogen werden.
Unser Körper ist nicht linear, weshalb eine einseitige Betrachtungsweise auf das Thema Schmerzen ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Therapeut/Trainer und Patient/Klient schafft. Durch Falschaussagen wie: „Hier ist eine Verkürzung und dann muss da gedehnt werden …” oder: „Hier ist ein Muskel im Hartspann und es darf deshalb kein Krafttraining gemacht werden”, sind viele Menschen verunsichert, den eigenen Körper zu belasten und verfallen somit immer wieder passiven Therapie- und Trainingsansätzen.
Kurzum: Beweglichkeitstraining ist nicht der heilige Gral, sondern eine Form, seinen Körper zu entwickeln. Aus diesem Grund sollte Mobility, meiner Meinung nach, eher als Bewegungskonzept statt als einseitige Trainingsform verstanden werden.
Für mehr Informationen zum Thema Schmerzen empfehle ich stets das Buch Explain pain supercharged der NOI-Gruppe und Pain neuroscience education , die sich mit wissenschaftlichen Ansätzen zum Thema Schmerz auseinandersetzen.
1.5MOBILITY FÜR FORTGESCHRITTENE
Was heißt es, fortgeschritten beim Mobilitytraining zu sein? Bevor du denkst, dass du das falsche Buch gekauft hast, lasse mich kurz klarstellen, dass du keine Turnerbrücke, keine Kniebeuge und keinen Spagat können musst, um fortgeschritten zu sein. All das wirst du ja erst in diesem Buch lernen.
Da diese „Skills” jedoch Zeit, Geduld und Mühen brauchen, solltest du bereits wissen, was Mobility ist. Du solltest dich regelmäßig mit deinem Körper und deiner Beweglichkeit auseinandersetzen. Du solltest Gewohnheiten eingerichtet haben, die es dir erlauben, das, was du in diesem Buch lernen wirst, direkt in die Tat umsetzen zu können.
Fortgeschritten ist man dann, wenn man nicht mehr jammert, dass man keine Zeit habe, dass man doch ein steifer Bock sei und nie beweglich sein würde und dass du alle diese selbstlimitierenden Gedanken abgelegt hast. Diese halten dich nur auf, deinen Zielen näherzukommen.
Fühlst du dich gerade ein bisschen ertappt, denke an Folgendes:
•Die meisten von uns sind in einer Zeit groß geworden, in der auch der Letzte beim Wettkampf eine Medaille bekommen hat. Absoluter Nonsense, unsere Weichspül- und Gleichstellungsgesellschaft. Du wirst keine Medaille bekommen dafür, dass du an deiner Beweglichkeit arbeitest. Das ist reiner Selbstzweck. Du machst das, damit du besser wirst. Und besser zu werden, heißt, dafür zu arbeiten, auch wenn keiner an der Seite steht und applaudiert. Demnach wird auch keiner die Ausreden hören, die du dir selbst die ganze Zeit erzählst. Also entscheide dich hier und jetzt, ob es dir wichtig genug ist, die Kniebeuge, den Spagat, den Handstand oder den Muscle-up zu lernen und bleibe bei der Entscheidung. Wer eine Entscheidung gefällt hat, wird einen Weg finden. Die Zweifler sind es, die ständig nur nach Ausreden suchen, weil sie sich nicht einer Sache vollends verschreiben.
•Wenn ich als ehemaliger Fußballer und König der Unbeweglichkeit es geschafft habe, beweglicher zu werden, kannst du es auch schaffen. Ich will nicht wie ein YouTube®-Motivationsredner klingen, von dem alle Phrasen gleich abgedroschen klingen. Doch steckt hinter solchen Platitüden eine Menge Wahrheit. Wenn ich einen Vorteil hatte, der es mir einfach gemacht hat, dass ich dieses Ziel erreicht habe, dann ist es mein Ehrgeiz. Was mich wieder auf den ersten Punkt kommen lässt: Zeit, Geduld und Fleiß, weil du es willst!
What is the difference between an amateur and a pro? They make hard things look easy! (Einen Profi erkennst du daran, dass er schwierige Dinge leicht aussehen lässt!)
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