»Was seid ihr für unfähige Parasiten!«, schrie Safiye zornig. »Ich lasse euch die Bärte rasieren und schicke euch auf die Galeere!«
Ein anderer, dem es mehr um seinen Kopf, als um seinen Bart ging, bat um die Erlaubnis zu sprechen. Safiye nickte.
»Es muss eine Waffe aus den Habsburgerlanden sein. Jedem türkischen silâhçı 19fehlt das Wissen, so eine Waffe herzustellen oder sie zu verzieren.«
»Worauf wartet ihr dann? Holt mir sofort den fähigsten Dolmetsch und jeder, dem seine Zunge lieb ist, behält das heute Gesagte für sich. Es macht mich wütend, dass Ungläubige es erschaffen haben sollen und euch Tölpeln darüber das Wissen fehlt.«
Wenig später öffnete sich das »Tor der Glückseligkeit« und zwei Janitscharen führten den großen Blonden mit einem blauen Turban in den Raum. Er überragte alle um mehr als einen Kopf und es schien, als würde er einen unsichtbaren Schild mit sich führen, vor dem alle anderen respektvoll zurückwichen. Safiye erkannte in ihm sofort einen Europäer. Niemand sah, wie sie unter ihrem Schleier diesen Mann von oben bis unten musterte.
Entschlossen trat er vor sie und verbeugte sich tief.
»Berkel Aleman, Euer untergebenster Diener! Ehrwürdige, hochwohlgeborene Prinzessin, Ihr habt mich durch das ›Tor der Glückseligkeit‹ rufen lassen. Was ist Euer Begehr?«
»Erhebe dich, Dolmetsch!« Sie nahm dem Palasteunuchen die Waffe aus der Hand.
»Berkel, ich habe bereits von dir gehört. In meiner Hand liegt eine Waffe von unglaublicher Schönheit und nie gesehenem Glanz. Es gelangte durch Piraten in meine Hände. Meine Höflinge sind nicht in der Lage, die Herkunft der Waffe zu ergründen.«
Die Köpfe der Anwesenden neigten sich verschämt nach unten.
»Beschreibt die Waffe und verfasst sofort einen Brief an alle unsere Spione und Agenten von Lissabon bis Wien, von Hamburg bis Palermo, dass sie dafür sorgen sollen, wie auch immer, den Erbauer dieser Waffe mit der nächsten kaiserlichen Delegation an die Hohe Pforte zu beordern.« Safiye gab die Waffe zum spürbaren Erstaunen aller Versammelten an den Dolmetsch weiter. Dabei legte sie ihre Hände so an den Schaft, dass der Hüne nicht umhinkam, ihre Haut zu berühren.
Berkel erschrak, denn er war sich wohl bewusst, dass es nur dem Sultan erlaubt war, diese Frau anzufassen. Jedem anderen drohte die Todesstrafe. Er nahm die Waffe ehrfurchtsvoll in beide Hände und besah sie staunend von allen Seiten.
»Ich habe so eine schöne Pistole noch nie gesehen, erhabene Prinzessin. Ich werde Euren Befehl sofort ausführen. Aber gestattet mir die Frage, warum Ihr in der ganzen Welt suchen wollt, wo doch durch dieses Symbol erwiesen ist, dass diese Waffe in Augsburg hergestellt wurde. Nur dort wird seit den Zeiten der Römer die Zirbelnuss im Wappen und auf Stempeln verwendet.« Er zeigte ihr die Stelle und kam ihr dabei so nahe, dass er ihren Atem spürte.
Während sich die Höflinge neugierig über die Waffe beugen wollten, riss die Prinzessin dem Dolmetsch die Pistole aus den Händen und schrie wütend in die Menge: »Stronzi, che siete! 20« Als er ihre Muttersprache vernahm, zog der Dolmetsch seine Augenbrauen hoch.
»Was zum Teufel treibt ihr eigentlich in euren Waffenschmieden, dass ihr nicht in der Lage seid, die Herkunft eines Gewehrs zu bestimmen?« Safiye wandte sich an den Dolmetsch. »Ich danke dir, Berkel, du sollst reichlich belohnt werden und außerdem … darfst du dir etwas wünschen.« Sie machte eine einladende Geste: »Wenn du also hierbleiben möchtest?«
Berkel verbeugte sich zufrieden.
Der schwarze Palasteunuch, der den Unterton seiner Herrin sehr wohl zu deuten wusste, sorgte dafür, dass die Versammlung aufgelöst wurde und sich das »Tor der Glückseligkeit« innerhalb kürzester Zeit hinter dem letzten Höfling schloss.
Haseki Safiye blieb mit dem Dolmetsch allein zurück, was draußen vor dem Tor nicht unkommentiert blieb.
18Ranghöchster Haremswärter.
19Türkisch: Waffenschmied
20Was seid ihr für Dummköpfe!
Augsburg, Sankt Barbara 211580
Oktavian war in eine Wohnung am Weinmarkt gezogen. Seine Aufgaben als Amtsarzt nahmen ihn fast Tag und Nacht in Anspruch. Die Hospitäler, Siechhäuser und Gefängnisse waren über das ganze Stadtgebiet verteilt. Um von einem Institut zum anderen zu gelangen, benötigte er sehr viel Zeit. Er hatte sich vorgenommen, bei seinen Gefängnisbesuchen die zum Tode Verurteilten genau anzusehen. Aber bisher war keiner dazu geeignet gewesen, den Auftrag zu übernehmen, den er und Otto ersonnen hatten. Entweder sie waren zu alt oder seelisch gebrochen und wollten nicht mehr weiterleben. Auch am heutigen Tag war wieder ein Rundgang durch das Gefängnis in den Gewölben unterhalb des Rathauses vorgesehen. Dort warteten mehrere Kandidaten auf ihre Hinrichtung. Ein Büttel leuchtete Oktavian mit einer langen Fackel hinunter in die Verliese. Er rümpfte die Nase; es stank nach Urin und Kot.
»Kindsmörderin, vierundzwanzig, Tod durch Ertränken«, erklärte der Büttel am ersten Verlies.
Die Frau stand völlig in sich versunken an der Wand, hatte die Hände gefaltet und betete. Sie gingen weiter.
»Raubmörder, achtunddreißig, Hinrichtung durch das Rad.« Oktavian kannte den Mann bereits, der zusammengekauert in der Ecke saß. Ihn würde das Gericht sicherlich nicht auslösen, zu sehr wartete das schaulustige Volk auf die Vollstreckung des Urteils.
»Gestern erst verurteilt: ein elender Gauner, mehrfacher Dieb und Betrüger, siebenundvierzig, Tod durch das Schwert.«
»Du wirst ihm vor der Hinrichtung die langen Haare abschneiden müssen. Der Henker braucht freie Sicht auf den Nacken!«, erklärte Oktavian dem Büttel.
»Beim Hades, der Medicus! Ich kenne Euch! Ihr habt damals in den Bergen die Wunde von meinem Kind versorgt.« Der Mann kam ans Gitter heran. Oktavian deutete dem Büttel an zu leuchten.
»Ja, tatsächlich! Don Alfonso! Du bist der Gaukler mit der Kinderschar, der auf dem Weg nach Norden war. Das ist bestimmt zwanzig Jahre her. Warum hat man dich verurteilt?«
»Den Don könnt Ihr getrost lassen! Aus und vorbei! Ihr wisst doch, wie das Geschäft läuft. Es war schwer genug für mich, die Kinder über die harten Winter zu bringen. Nun stehen sie auf eigenen Füßen. Von einem alten Wanderheiler habe ich den Laden übernommen, Zahnziehen, Wässerchen, Tinkturen und die Geschichten dazu. Meine Frau Marfisa hat als Wahrsagerin den Leuten das Blaue vom Himmel erzählt. Wir hatten beschlossen, ein ehrliches Leben zu führen, auf Jahrmärkten und Reichstagen haben wir uns durchgeschlagen, so gut es eben ging. Eines Morgens lag sie tot im Wagen. Hunderten hatte sie das Schicksal aus der Hand gelesen und wurde doch vom eigenen überrascht. Ich wollte ihr doch ein anständiges Begräbnis ermöglichen, es war in bester Absicht. Nun, es war nur ein kleiner Diebstahl auf der Herbstmesse in Augsburg, aber halt schon der dritte, und diese Augsburger vergessen nichts.«
»Du hast damals auch meinem Freund Otto den Beutel gestohlen!« Oktavian erinnerte sich lebhaft, wie Otto auf dem Weg über die Alpen über den Gaukler geschimpft hatte. Er hatte ihnen das Flugblatt verkauft, das bewies, dass Erminio vom Berg Ricos Geliebte Mona hatte hinrichten lassen.
»Ja, ich gestehe es, ich hab ja auch nichts mehr zu verlieren. Wenn ich könnte, würde ich es wiedergutmachen.«
Oktavian überlegte kurz. Er war überzeugt, dass dieser Gaukler ihren Zwecken dienen könnte. »Hör mal, Don Alfonso! Es gibt eine Möglichkeit, wie du deinen Kopf retten kannst. Du stehst in Ottos Schuld. Ich versuche, dich freizukaufen, und du wirst für uns auf eine lange Reise gehen.«
»Ja, ja, ja! Ich mache alles, was Ihr wollt, wenn ich nur hier herauskomme! Ich bin an Eurer Seite, Herr Medicus! Sagt mir, was zu tun ist und um welche Reise es sich handelt, ich bin auf allen Straßen zu Hause, beim Hades!«
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