»Zur Feier des Tages habe ich Euer Hochwürden eine gute Nachricht zu vermelden: Du wirst es nicht glauben, aber ich habe eine Spur von Rico«, flüsterte Oktavian Otto ins Ohr, der, wie alle anderen nach dem Festgottesdienst von Freunden und Verwandten umringt, auf dem großen Platz vor dem Dom die Gratulationen entgegennahm. Otto umarmte seinen Freund und ließ sich von ihm aus dem Kreis seiner Getreuen ziehen.
»Oktavian, wie schön, dass du gekommen bist. Aber sag endlich, was gibt es Neues?«
»Ich gratuliere dir von ganzem Herzen, mein lieber Freund, mögest du glücklich werden und all deine hohen Ziele erreichen.«
»Ich danke dir, aber nun erzähl schon!«
»Pfarrer Schweigger, ich habe dir von ihm erzählt, berichtet mir in einem Brief aus Konstantinopel, dass der Botschafter an der Hohen Pforte, Joachim von Sinzendorf, auf einer der Gefangenenlisten vom Winter 1563 Ricos Namen entdeckt hat. Er wurde anscheinend als Arbeitssklave in das berüchtigte Bagno verbracht, dann verliert sich seine Spur. Da es keine Totenverzeichnisse gibt und der Orator keinen Zugriff auf die Bücher der zum Islam konvertierten Gefangenen hat, ist sein weiteres Schicksal ungewiss. Rico hat keinen Beruf, ist aber stark wie ein Bär. Wenn er das Bagno überlebt haben sollte, dann …«
»Was bedeutet das?«, fragte Otto besorgt. »Es sind inzwischen siebzehn Jahre ins Land gegangen. Wenn Rico noch nicht das Zeitliche gesegnet hat, wäre er doch längst zurück, oder?«
»Glaubst du ernsthaft daran, dass Rico zurückkommen würde, nachdem die Dominikaner ihn hier mit allen Mitteln versuchen aufzuspüren? Hier würde ihn nur ein grausamer Tod erwarten«, entgegnete Oktavian.
»Es wird immer schlimmer mit dem Inquisitor. Beten allein hilft nicht mehr. Es muss etwas geschehen. Kann sich dein Theologe nicht irgendwie nützlich machen und seine Fühler nach Rico ausstrecken?«
»Die Korrespondenz ist schwierig. Für einen Brief nach Konstantinopel braucht ein Bote vier Wochen. Jeder dritte wird überfallen und ausgeraubt. Wir können von großem Glück sprechen, dass dieser Brief überhaupt angekommen ist. Außerdem hat Schweigger angedeutet, dass seine eigentlichen Ziele Jerusalem und das Land Ninive seien und er die Reise mit dem Orator als günstige und sichere Möglichkeit betrachte, unbeschadet durch das für die Christenmenschen gefährliche Gebiet zu gelangen. Vielleicht hat er ja Konstantinopel längst verlassen? Aber jetzt einmal ehrlich, Otto, warum sollte Rico zurückkommen?«
»Ich wage nicht daran zu denken, aber ich finde, er sollte wenigstens erfahren, dass der Kardinal noch lebt.«
»Hm …« Oktavian kratzte sich am Ohr. »Du hast doch dabei einen Hintergedanken, oder?«
Otto nickte.
»Ich verstehe deine Not und den Wunsch, den Kardinal loszuwerden, aber das Risiko für unseren Freund … Wir müssten ihm eine Botschaft senden, irgendwie verschlüsselt.«
»Wie willst du das denn anstellen?«, fragte Otto.
»Eine Möglichkeit wäre wohl, jemanden in verdeckter Mission in die Höhle des Löwen zu schicken, um Rico aufzuspüren.«
»Was meinst du damit?«
»Ich habe als städtischer Medicus immer wieder mit den Räten zu tun. Man müsste sich an das Malefizgericht wenden, wo hin und wieder Todesurteile gefällt werden. Unter strengen Auflagen wie Geldzahlungen, Galeerendienst, Landesverweis oder Pilgerfahrten werden diese manchmal aufgehoben.«
Otto überlegte kurz. »Was für ein Unterfangen! Du willst Rico von einem Verbrecher suchen lassen? Wenn es um außergewöhnliche Pläne geht, warst du immer schon ein unerschöpflicher Quell!«
»Du als Geistlicher solltest dich aus diesen Dingen heraushalten. Ich werde mir etwas einfallen lassen und dir beizeiten darüber Bericht erstatten. Jetzt widme dich wieder deiner Familie und deinen Gratulanten. Gott beschütze dich, Otto, und er möge dir die Kraft geben, das Böse in euren eigenen Reihen zu vertreiben.« Oktavian packte ihn an beiden Schultern und schob ihn mit einem »Pax tecum! Semper fidelis!« 17zurück in die Traube aus Verwandten und Freunden, die sich sofort wieder um ihn schloss.
154. Juli
16Ich gehorche.
17Friede mit dir! In steter Treue!
Konstantinopel, Sommer 1580
Durch das »Tor der Glückseligkeit« in den dritten Hof des Sultanspalasts zu gelangen, war für einen Sterblichen fast unmöglich. Mit prachtvollen Mosaiken ausgestattete Räume, Marmor, edle Hölzer, Nischen, die mit purem Gold ausgelegt waren, und riesige Seidenteppiche, die in allen Farben leuchteten, blendeten den Blick jedes auserwählten Besuchers. Der Thronsaal bildete das Zentrum des dritten Hofs. Kein Herrscher der bekannten Welt konnte sich rühmen, prunkvoller zu residieren. In ihren bunten, aufgeplusterten Paradeuniformen hatten sich Minister, Wesire und Verwalter darin ehrfurchtsvoll in einem Halbkreis aufgestellt. Erhöht auf der Treppe stand eine groß gewachsene, schlanke Frau in prächtige, goldbesetzte Kleider gehüllt vor dem Sultansthron. Es war die Favoritin des Sultans Murad III., Haseki Safiye, eine ehemalige venezianische Adlige, die sich mit welchen Mitteln auch immer in diese Stellung gebracht hatte. Es wurde erzählt, dass sie schulterlange blonde Haare, blaue Mandelaugen und schneeweiße Haut habe. Aber niemand außerhalb des Harems hatte sie je unverschleiert gesehen. Es war kein Geheimnis mehr, dass sich im Palast des Sultans viele Dinge verändert hatten. Nachdem der mächtige Reichswesir Sokollu Mehmed Pascha im Oktober des vergangenen Jahres von einem Derwisch ermordet worden war, war ein Machtkampf im Hofstaat des Sultans entbrannt. Sultan Murad III., an Staatsgeschäften wenig interessiert, war – wie so oft – inkognito im Habsburgerreich unterwegs, um ungestört seine Zeit mit Dichtern, Musikern und Possenreißern zu verbringen. Safiye hielt indessen die Zügel des Reichs in der Hand und schickte sich an, mit den mächtigsten Herrschern der Welt Umgang zu pflegen, und glaubte, selbst in Königin Elisabeth von England eine ebenbürtige Allianzpartnerin zu besitzen.
Safiye sorgte an diesem Tag für großes Entsetzen. Alle Augen waren auf sie gerichtet, wie zu Salzsäulen erstarrt harrten sie dem, was da kommen mochte.
Sie hatte mit beiden Händen ein mit Gold und Silber verziertes, glitzerndes Gewehr bedrohlich auf die Versammelten gerichtet und der gefürchtete nubische Palasteunuch Kızlar Ağası 18an ihrer Seite kullerte dabei mit seinen Augen; dem kahlrasierten Riesen entging keine Bewegung im Saal. Endlich löste sich die Spannung, indem sie die Waffe dem Ağası übergab, der sie in die gierig ausgestreckten Hände der Umstehenden weiterreichte. Alle wollten das Wunderwerk berühren, waren voll des Erstaunens über die geflügelten Körper mit blauen Mützen, die aus grünen Blüten zu wachsen schienen. Andere waren entzückt über die Affen und fantastischen Tiere mit langen Federschwänzen. Sie lobten die Schönheit und die Farbenpracht des Schaftes mit seinen seltsamen Geschöpfen, die durch feine blaue Girlanden miteinander verbunden waren. Der Hahn des Schlosses war als drachenartiges Wesen dargestellt. Jeder der Anwesenden wollte wenigstens einmal über das Wunderwerk streichen. Als Safiye die Hand hob, hielten sie augenblicklich inne.
»Waffenmeister, in Eurer großen Weisheit wisst Ihr mir gewiss zu sagen, wer dieses Meisterwerk geschaffen hat? Ich wünsche mir den Erbauer dieser Waffe um jeden Preis an den Hof.« Die Angesprochenen verbeugten sich, ihr Obrist nahm die Waffe an sich und drehte sich zur Prinzessin. Es war bekannt, dass der überfreundliche Ton der Frau kein gutes Zeichen war.
»Wir alle haben so etwas noch nie gesehen«, antwortete der Obrist sichtlich nervös. »Dies ist das Werk eines begnadeten Ziseliermeisters; die Emaillearbeiten sind von unglaublicher Schönheit. An das Geheimnis der Farbmischungen zu kommen, dürfte sehr schwer werden. An der äußeren Seite des Vorderschaftes findet sich das Monogramm des Meisters, DAF. Ich kenne viele Büchsenmacher im gesamten Abendland, allerdings keinen mit diesem Monogramm.« Der Waffenmeister blickte die Umstehenden an, die ihre Zustimmung murmelten, und gab die Pistole zurück in die Hände des Ağası.
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