1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Er ging hinauf in seine Kammer, las den Brief mehrmals, küsste ihn und verwahrte ihn gut in seiner Kiste; den Schlüssel trug er stets bei sich.
»Mein Mädchen, ich liebe dich auch und habe so große Sehnsucht nach dir!«, flüsterte er und warf sich auf sein Bett.
Konstantinopel, Dezember 1578
»Salomon, mein alter Freund, wie gut, dass ich dich treffe«, rief der Dolmetsch und nahm den berühmten Diplomaten zur Seite. »Du musst mir helfen und deinen Einfluss beim Sultan geltend machen.«
»So sprich, Berkel, was bedrückt dich?« Salomon Ashkenazy ging in den Herrscherhäusern zwischen Madrid, London, Wien und Konstantinopel ein und aus. Seinem Verhandlungsgeschick vertrauten sowohl die Mächtigen im Habsburgerreich als auch der großmächtige Sultan.
»Du wolltest vor einigen Jahren, dass ich dich auf deiner Mission nach Venedig begleite. Heute gestehe ich dir, dass ich nicht dorthin zurückkehren kann. Frag mich nicht nach den Gründen. Sie sind schwerwiegend und würden mein Leben in Gefahr bringen. Der Sultan wünscht, dass ich ebendort für ihn in den Waffenschmieden spioniere. Würdest du dich für mich beim Sultan verwenden?«
»Du wirst verfolgt, Berkel? Nun … beim Sultan? Du weißt, dass dies nicht einfach ist.« Salomon legte die Stirn in Falten. »Vielleicht kann ich eher bei deinen Verfolgern ein gutes Wort für dich einlegen? Sag mir, wer dich verfolgt!«
Er kam näher an sein Ohr und erst jetzt bemerkte Berkel, wie sich eine verschleierte Gestalt, die sich wohl während des Gesprächs in der Nähe aufgehalten hatte, wegdrehte und verschwand.
»Die Inquisition!«, flüsterte Berkel.
Salomon sah ihn wie versteinert an: »Ich gehe zum Sultan.«
Emmenhausen, Neujahr 1579
»Ist’s möglich, Otto, du lässt dich doch noch bei uns sehen!« Hans III. Honold umarmte Otto und klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken. Nur zu gern ließ sich Otto von ihm aus der starren Kälte in das geheizte Schloss ziehen.
»Seit deinem letzten Besuch sind einige Jahre ins Land gegangen. Siehst du, du hattest doch ein schlechtes Gewissen wegen deines Berichts an das Hochstift! Fast hätte der Herzog meinen Prediger abgesetzt. Sie wollen sich einfach nicht mit dem Nebeneinander von Katholiken und Protestanten abfinden. Die sollten sich an unserer Familie ein Beispiel nehmen. Seit einigen Tagen sind wir wieder alle zusammen. Oktavian ist aus Prag gekommen; der wird sich freuen!« Hans Honold blickte nach oben. »Dein Freund Otto ist da, Herr Medicus, jetzt beweg dich schleunigst herunter«, schrie er so laut durch das hallende Treppenhaus, dass einige der Bediensteten verstört zusammenliefen.
Der alte Honold muss mächtig stolz auf seinen Sohn sein, dachte Otto, da stürmte Oktavian schon die Treppe herunter. Sie begrüßten sich wie damals am Collegio üblich mit dreifachem Handschlag. Die Jahre hatten Oktavian nicht viel anhaben können, sein Haar war immer noch voll und dunkel wie eh und je, seine Haut nach wie vor ungewöhnlich braun, fiel Otto auf.
»Dass sie dich aus den engen Kirchenmauern herauslassen, wem hast du das denn zu verdanken?« Oktavian hatte anscheinend seine Sprüche nicht verlernt.
»Als Dekan kann ich mir die eine oder andere Freiheit gestatten. Heute Abend zur Komplet muss ich aber wieder meinen Platz im Chorgestühl einnehmen.«
»Du kündigst deinen Abschied an, bevor du richtig angekommen bist. Otto wie in alten Tagen, immer kurz angebunden. Schon beim Kyrie an das ite, missa est 9denken! Aber jetzt komm erst mal nach oben in die warme Stube.«
Gemeinsam gingen sie ins Kaminzimmer, wo ihm Oktavian seine Mutter, Jakobina Welser, vorstellte.
»Endlich darf ich Euch kennenlernen. Oktavian hat schon damals in Bologna so viel von Euch erzählt.«
»Ich hoffe, nur Gutes«, antwortete sie und lächelte. Sie wirkte auf ihn bescheiden, zurückhaltend und war einfach gekleidet, obwohl sie wohlhabend war und ein riesiges Handelsunternehmen mit in die Ehe gebracht hatte.
»Oktavian wird ab Sommer in Augsburg praktizieren, weißt du das schon, Otto?«, posaunte Hans Honold die Neuigkeit heraus, und Otto merkte an dem bösen Blick Oktavians, dass er ihm das hatte selbst erzählen wollen.
»Das ist ja wunderbar. Dann wirst du ja immer in meiner Nähe sein und ich brauche mich um meine Gesundheit nicht mehr zu sorgen«, scherzte Otto erfreut.
»Der Rat der Stadt hat mich als Wundarzt und Verantwortlichen für die Gefängnisse und Kranken- und Leprosenhäuser berufen. Das heißt erst einmal viel Arbeit für wenig Geld!«
»Geld ist doch nicht so wichtig, wenn du wieder hier bei deiner geliebten Familie sein kannst?«, bemerkte Hans Honold und klopfte seinem Sohn auf die Schulter.
»Mit einem Mal so bescheiden, Hans? Wenn dir das Geld nicht wichtiger als der Glaube gewesen wäre, hättest du mich wohl nicht geheiratet«, fuhr ihm seine Frau dazwischen und lachte herzlich. Otto wusste schon aus den Erzählungen Oktavians noch zu Studienzeiten, dass es bei seinen Eltern immer wieder religiöse Meinungsverschiedenheiten gab.
»Du siehst, Otto, Katholiken und Protestanten streiten sich wieder einmal um den schnöden Mammon!«, entschuldigte sich Hans Honold und schenkte seiner Frau ein warmes Lächeln.
»Komm, lassen wir die beiden alleine; sie haben sich sicherlich viel zu erzählen! Ich schicke euch warmen Apfelwein herauf.« Mit diesen Worten zog Jakobina ihren Mann aus der Stube.
Oktavian atmete hörbar aus. »Ich konnte dir in meinen Briefen nie die Wahrheit schreiben, Otto. Die Gefahr, dass mitgelesen wird, war einfach zu groß. Was weißt du von Rico?«
»Darum bin ich hier, Oktavian, ich weiß eben überhaupt nichts. Im ›Roten Ochsen‹ habe ich ihn darüber aufgeklärt, dass Erminio seine geliebte Mona ermordet hat, und ihm das Flugblatt von Don Alfonso in die Hand gedrückt. Seither habe ich ihn nicht mehr gesehen. Ich weiß nur, dass du ihm nach dem Brandanschlag auf Erminio im Kloster zur Flucht verholfen hast und dass er in türkische Gefangenschaft geraten ist.«
»Richtig, Rico ist zu mir nach Venedig geflüchtet. Er hat mir alles erzählt. Sie waren ihm auf den Fersen. Er musste Venedig so schnell wie möglich verlassen und sich dem Zugriff des Kirchenstaates entziehen. Ich habe ihn auf einem Schiff untergebracht, das die dalmatinische Küste entlanggesegelt ist, um schließlich auf Umwegen an die Grenze des Reiches zu kommen. Dort sollte er in Neusohl die Bewachung unserer Kupfermine organisieren. Er hat sich mehrmals über die schlechte Ausrüstung beschwert und Feuerwaffen gefordert, die wir ihm nicht gewährt haben – ein großer Fehler, wie sich im Nachhinein zeigte.«
»Wann hast du denn zuletzt etwas von ihm gehört?«
»Die Türken wurden zunehmend frecher und fielen immer häufiger ein. Dann kam die Nachricht aus Neusohl, dass das Bergwerk in türkische Hände gefallen sei. Es war zwei Tage vor Bartholomä im Jahr ’63, als ich davon erfuhr, ich weiß es noch wie heute. Es gab anscheinend Tote und eine Vielzahl von Gefangenen, die verschleppt wurden. Rico war nicht unter den Toten. Das war das Letzte, was ich über ihn erfahren habe. Wie es der Teufel wollte, klopfte nur Stunden später die Inquisition an meine Tür. Ohne lange zu überlegen, habe ich am selben Tag Venedig verlassen und bin nie mehr dahin zurückgekehrt. Mein Vater hat getobt, weil er die Geschäfte wieder an die Familie meiner Mutter übertragen musste. Ich bin nach Prag gezogen und habe dort mein Medizinstudium beendet.«
Eine Bedienstete klopfte und brachte heißen Apfelwein.
»Was ist wohl mit ihm passiert?«, fragte Otto, von dieser Geschichte sichtlich beeindruckt. Er nahm einen Becher und nippte nervös daran.
»Ich habe alles versucht, um ein Lebenszeichen von ihm zu bekommen. Meine Briefe von Prag aus an den jeweiligen Orator von Konstantinopel wurden nie beantwortet. Eine Petition an das Kaiserhaus brachte mich auch nicht weiter. Von Gesandten des Kaisers sind Geschichten über die Türken im Umlauf. Es wird erzählt, dass sie nur Gefangene machen, wenn es sich für sie lohnt und sie Verwendung für sie haben. In Konstantinopel werden Arbeitssklaven dringend benötigt, überall werden ganze Viertel abgerissen und großzügiger und höher gebaut. Am schlimmsten sind wohl die armen Schweine zu bemitleiden, die sich auf den Steingaleeren zu Tode schuften. Bei sengender Hitze über das Marmarameer zu rudern, kann kaum jemand länger als einen Monat überstehen. Wer das vorgegebene Tempo nicht mehr halten kann, wird losgekettet und ins Meer geworfen.«
Читать дальше