»Wie du niedergeschlagen wurdest, hat auch keiner gesehen?«
»Zumindest niemand, den wir gefragt haben.« Er schüttelte mit schmerzverzerrtem Gesicht langsam den Kopf.
»Und jetzt?«
»Franz lässt gerade weiterhin in der ganzen Umgebung des Viktualienmarktes nach Mathilde und Dagmar suchen. Sogar mit Hunden.« Max hoffte, dass Franz mit seiner Suche Erfolg hatte. Er fühlte sich von dem ganzen Theater im Moment schlicht überfordert.
»Es wird eine große Suchaktion eingeleitet, nur weil zwei Touristinnen in der Nacht verschwunden sind? Vielleicht amüsieren sie sich ja einfach irgendwo.« Monika schüttelte ungläubig den Kopf.
»Nein, weil ihr Verschwinden mit der Körperverletzung eines Ex-Kommissars in Verbindung gebracht wird, weil beide nicht der Typ Frau waren, der unverantwortlich handelt, und weil alles zusammen mehr als mysteriös ist.«
»Mit der Platzwunde am Kopf musst du auf jeden Fall ins Krankenhaus«, fuhr sie, milder gestimmt, fort. »Aber zieh dich vorher um. Deine Jacke und dein Hemd sind voller Blut.«
»Kein Krankenhaus.« Er winkte rigoros ab.
»Warum nicht?«
»Schon mal was von Krankenhauskeimen gehört?«
»Was ist das?« Sie sah ihn neugierig an.
»Die holst du dir nur im Krankenhaus, und sie sind tödlich. Hunderttausende sterben pro Jahr daran. Ohne mich. Ich bin zu jung zum Sterben.«
»Und was soll ich jetzt tun?« Sie legte ihre Hände in den Schoß und sah ihn erwartungsvoll an.
»Die Wunde reinigen und ein Pflaster draufkleben.« Er senkte seinen Kopf, damit sie die verletzte Stelle besser sehen konnte.
»Auf die Haare?«
»Natürlich nicht.«
»Soll ich sie etwa wegrasieren? Dabei reiß ich doch bloß alles wieder auf. Mein Gott, hättest du dir denn keinen ungefährlicheren Beruf aussuchen können?«
»Drum herum.« Er kreiste mit dem rechten Zeigefinger über seinem Hinterkopf.
»Was, drum herum?« Sie hörte sich zunehmend ungeduldig an.
»Um die Wunde drum herum rasieren.«
»Was soll das bringen?« Sie schüttelte den Kopf.
»Dort, wo du rasiert hast, kannst du dann das Pflaster festkleben.«
»Und das soll auf den Stoppeln halten?«
»Dann musst du halt gründlich rasieren, Herrschaftszeiten noch mal.« Er klang nun ebenfalls ungeduldig. Obwohl sie kein altes Ehepaar waren, benahmen sie sich oft wie eines.
»Und die Haare, die auf der Wunde bleiben? Die wachsen sich doch ein.« Sie sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
»Dann rasier sie halt in Gottes Namen auch weg.« Er stöhnte genervt. »Ich werde es hoffentlich überleben.«
»Ich hole Pflaster und dein Rasierzeug von oben.« Monika drehte sich um.
»Ich gieße mir solange noch einen Schnaps ein.«
»Hast du nicht schon genug Alkohol intus?«
»Betäubung vor der Operation.«
»Aha.« Sie stieg kopfschüttelnd die knarrende Holztreppe hinter dem Tresen zu ihrer Wohnung hinauf. »Wie hat sie denn ausgesehen, deine Begleiterin, die zuletzt verschwunden ist?«, wollte sie noch wissen und blieb stehen.
»Normal.« Er blickte verständnislos drein.
»Was heißt das, normal?«
»Normal heißt normal. Kopf, Bauch, Beine, Arme. Was eine Frau halt so hat.«
»Sehr interessant.« Sie ging, ohne noch einmal zurückzublicken, weiter die Stufen hinauf.
Das Gespräch war für sie beendet. So wie ihre Gespräche jedes Mal dann beendet waren, wenn sie es für richtig hielt.
»Bist du etwa eifersüchtig?«, rief er ihr nach.
Keine Reaktion. Logisch. Er wusste, dass sie es, selbst wenn es so wäre, nicht zugeben würde.
»Okay, Max. Du brauchst jetzt wirklich dringend einen Schnaps«, sagte er zu sich selbst, stand schwankend auf, schlurfte in den Schankraum hinüber hinter den Tresen, nahm ein Flasche Grappa aus dem Regal dahinter und schenkte sich einen Dreifachen ein.
Bei einer Narkose, die wirken sollte, durfte man auf keinen Fall mit dem medizinischen Wirkstoff sparen. Das hatte er einmal in so einer Arztserie im TV gehört. Die Drehbuchautoren dort mussten es schließlich wissen.
Vielleicht hatte Monika recht und er sollte den Beruf wechseln. Zu oft war er in den letzten Jahren entweder angeschossen oder anderweitig verletzt worden. Aber was sollte er stattdessen tun? Ermitteln konnte er nun mal am besten, und außerdem hatte er erwiesenermaßen Erfolg damit.
»Max!«
»Ja.«
»Dein Handy.«
»Was?«
»Dein Handy!«, wiederholte Monika eine Spur lauter und eine Spur gereizter als zuvor. Sie schlug dreimal mit der flachen Hand auf seine Bettdecke, damit er endlich aufwachte.
»Wie spät ist es?«, fragte er, verschlafen stöhnend.
»Keine Ahnung. Geh endlich ran, dann weißt du es.«
»Okay, okay. Kein Grund, so herumzuschreien. Ich hab brutale Kopfschmerzen.«
»Ich schreie nicht. Ich rede laut, damit du mich hörst.«
»Ist ja gut.« Er schlug seine Augen auf, erkannte, dass er in Monikas Wohnung war, nahm sein Handy vom Nachtkästchen, wo er es beim Schlafengehen zum Aufladen hingelegt hatte. »Wer stört?«
»Franz hier.«
»Wie spät ist es?«
»8.30 Uhr. Hast du keine Uhrzeit auf deinem Smartphone?«
»Bin zu schnell rangegangen.«
»Sie wurde wahrscheinlich gefunden.«
»Wer?«
»Mathilde.«
»Und? Wo ist sie?«
»So wie es aussieht, wurde sie erschlagen.«
»Was?« Max richtete sich geschockt auf. Das hätte Franz auch etwas einfühlsamer sagen können. Manchmal war der Kerl ein echter Haudrauf.
»Ein Mitarbeiter der Müllabfuhr rief vorhin hier auf dem Revier an. Er hat sie in einer Seitengasse in der Nähe vom Viktualienmarkt entdeckt.«
»Du bist nicht dort?«
»Nein, ich sitze im Büro.«
»Woher weißt du dann, dass sie es wirklich ist?«
»Sie haben zwar keine Handtasche oder Papiere bei ihr entdeckt, der genauen Beschreibung des Müllmannes nach könnte sie es aber gut sein.«
»Okay, und jetzt?« Max rieb sich mit der freien Hand den nach wie vor schmerzenden Hinterkopf.
»Ich brauche deine Hilfe in dem Fall. Wir sind wieder mal total unterbesetzt auf dem Revier. Bedingungen als Berater wie gehabt.«
»Ist gut. In einer halben Stunde am Tatort?« Max überlegte kurz, ob er das tatsächlich zeitlich schaffen würde. Dann gab er sich selber grünes Licht.
»Komm einfach zum Karl-Valentin-Brunnen. Dann gehen wir zusammen dorthin.«
»Alles klar.«
Sie legten auf.
»Haben sie deine vermissten Touristinnen gefunden?«, erkundigte sich Monika, die sich inzwischen ebenfalls aufgesetzt hatte.
»Sieht so aus.« Er nickte.
»Ist doch super.« Sie gähnte lang und laut. »Und was war das mit diesem Tatort?«
»Sie ist tot. Anscheinend wurde sie ermordet.«
»Ach du Schande!« Monika schlug erschrocken die Hand vor den Mund. »Und jetzt?«
»Franzi und ich untersuchen den Fall.«
»Schnelles Frühstück?«
»Danke, Moni. Keine Zeit.« Noch während er sprach, eilte er ins Bad. »Rufst du mir bitte ein Taxi?«
Nach einer oberflächlichen Katzenwäsche, weil es eilte, zog er frische Sachen an. Für den Fall der Fälle hatte er immer ein paar T-Shirts, Unterwäsche, Hemden, Socken und Jeans bei Monika gelagert. Die blutigen Sachen legte er auf ihr Geheiß vor ihre Waschmaschine.
»Was macht der Kopf?«, fragte sie ihn, während er in die schwarze Lederjacke schlüpfte, die er bei seinen anderen Kleidungsstücken im Schlafzimmerschrank deponiert hatte.
»Tut weh. Wie kommen wir hier rauf in dein Schlafzimmer?«
»Ich hab dich nach deiner Grappanarkose hochgeschleppt.«
»Ich weiß nur noch, dass du Pflaster und mein Rasierzeug holen wolltest.«
»Immerhin. Hier.« Sie reichte ihm eine Kopfschmerztablette und ein Glas Wasser.
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