»Vielleicht finden wir sie ja auch selbst.« Max schüttelte ungläubig den Kopf. »Dann musst du nicht deinen wertvollen freien Abend opfern.«
Manchmal war Franz wirklich kaum auszuhalten. Genau betrachtet, grenzte es nahezu an ein Wunder, wie er es mit seiner arbeitsscheuen Einstellung zum Leiter des K11, vorsätzliche Tötungsdelikte, Geiselnahme, Menschenraub, gebracht hatte.
»Das klingt gut.« Franz blickte zufrieden drein. »Es ist ja vor allem wegen meiner Sandra, weißt du?«
»Ich weiß.« Max nickte.
Natürlich ist es nicht wegen Sandra, sondern vor allem wegen dem Essen, dem Bier und dem Schnaps. Wieso glaubt er eigentlich, mich nach all den Jahren, die wir uns kennen, immer noch anschwindeln zu können?
»Aber wenn es gar nicht anders geht, dann kannst du mich gerne anrufen«, räumte Franz großzügig ein. »Nach dem Essen natürlich. Es gibt Schweinsbraten mit Semmelknödeln und Kraut. Das kann ich mir einfach nicht entgehen lassen.«
»Um wie viel Uhr wäre das dann ungefähr mit dem Anruf, Herr Hauptkommissar?« Max versuchte die Ironie in seiner Stimme gar nicht erst zu verbergen.
»So um 21.30 Uhr herum müssten sie die Nachspeise serviert haben. Du brauchst außerdem gar nicht so spitz daherreden.« Franz bedachte ihn mit einem strafenden Blick.
»Also dann kurz nach 21.30 Uhr?«
»Lieber 22 Uhr.« Franz machte ein ernstes Gesicht. »Am Schluss gibt es immer noch Espresso.«
»Ein genauer Stundenplan, Respekt.«
»Der Josef Huber war Oberstleutnant bei der Bundeswehr. Jetzt ist er pensioniert wie du.« Franz hob vielsagend die Brauen.
»Die Menschen sind, wie sie sind. Aber wie gesagt, vielleicht finden wir Dagmar bis dahin selbst.« Max hoffte inständig, dass es so wäre. Am Ende hätten sie alle beide sonst möglicherweise noch heute Nacht einen weiteren Entführungsfall oder Schlimmeres an der Backe.
»Ruf mich aber trotzdem gegen 22 Uhr an«, meinte Franz.
»Also doch. Warum?«
»Das Essen ist wirklich in Ordnung. Aber die Unterhaltungen mit den Hubers sind stinkfad. Ihre Kinder, ihr letzter und ihr kommender Urlaub, ihre neue Wohnungseinrichtung, vor allem die seit zwei Jahren neue Küche. Immer dasselbe. Langweilerthemen ohne Ende. Bei starkem Föhn wie heute ist es immer besonders schlimm. Da jammern die beiden auch noch in einer Tour über ihre Wehwehchen. Der blanke Horror.«
»Da reden wir zwei natürlich über interessantere Dinge miteinander, wie zum Beispiel Mord und Totschlag oder die Bierpreise, stimmt’s?«
»Genau.« Franz nickte begeistert.
»Und deswegen soll ich dich anrufen? Nur damit du einen Grund hast, dort zu verschwinden, sobald du dir den Bauch vollgeschlagen hast?« Max schüttelte den Kopf.
»Was geht über eine überzeugende Erklärung, um sich vom Acker zu machen?« Franz grinste.
»Gehen wir dann mal?«, wandte sich Mathilde an Max. »Oder gibt es noch mehr zu klären? Vielleicht, welcher Schnaps bei den Hubers zum Espresso gereicht wird?«
»Dort gibt es meistens billigen Weinbrand«, winkte Franz ab. Ob er schlicht und ergreifend nicht mitbekam, dass sie ihn auf den Arm nahm, oder ob er es überging, war seinem Gesichtsausdruck nicht anzusehen. »Ein ekelhaftes Zeug. Dabei habe ich ihnen schon hundertmal aufgetragen, einen anständigen Enzian zu besorgen.«
»Enzian ist doch eine Blume.« Mathilde machte große Augen. »Die kenne ich aus den Heidi-Filmen.«
»Enzian ist nicht nur eine Blume, sondern auch ein Schnaps«, erklärte ihr Max mit erhobenem Zeigefinger.
»Tatsächlich?«
»Ja, ein guter sogar«, fuhr der Herr Oberlehrer Raintaler mit erhobenem Zeigefinger fort. »Mir persönlich schmeckt er jedenfalls. Natürlich darf man nicht zu viel davon trinken, sondern nur gelegentlich ein kleines Stamperl.«
»Ein ganz kleines«, meinte Franz mit ernster Stimme.
Dass er und Max bei ihren Aussagen nicht rot anliefen und ihnen dabei keine langen Nasen wuchsen, sprach für ihre jahrelange Verhörerfahrung mit Kriminellen. Von denen lernte offenkundig jeder irgendwann das Schwindeln. Zwei erfolgreiche Ermittler wie sie erst recht.
»Sachen gibt’s.« Mathilde schüttelte den Kopf.
»Dann mach’s gut, Franzi.« Max erhob sich.
Sie tat es ihm gleich.
»Bis später.« Franz stand ebenfalls auf.
Er gab Mathilde links und rechts ein Küsschen auf die Wangen. Dann nickte er Max kurz zu und entfernte sich leicht wankend Richtung Sendlinger Tor, wo er für den letzten Rest seines Heimwegs die Trambahn nehmen wollte.
Max und Mathilde sahen ihm eine Weile nach.
»Ich muss kurz noch jemandem Bescheid sagen, bevor wir losgehen«, meinte Max, sobald Franz nicht mehr zu sehen war.
Er holte sein Smartphone heraus, trat zwei Schritte beiseite, drehte sich um und schrieb Monika eine Nachricht, dass es auf jeden Fall später werden würde. Er habe es gerade möglicherweise mit einer Entführung zu tun. Da werde er dringend gebraucht. Es ginge dabei um Leben und Tod, wenn es ganz übel herging. Er käme aber trotzdem noch heute Abend zu ihr, sobald es möglich war. Sie solle sich keine Sorgen machen und ihm den Abwasch aufheben. Egal wie spät es wurde.
»Wartet deine Frau auf dich?«, fragte Mathilde, als er sich ihr wieder zuwandte.
»Ich habe keine Frau.« Er schüttelte den Kopf.
»Entschuldige, ich wollte nicht neugierig sein.«
»Kein Problem.«
Ich muss ihr ja nicht gleich auf die Nase binden, dass ich etwas locker Festes mit Monika habe. Geht niemanden außer Moni und mich etwas an.
»Dann gehen wir jetzt?«
»Du könntest mir übrigens ein Bild von Dagmar auf mein Handy schicken. Hast du eins dabei?«
19.30 Uhr, Monikas kleine Kneipe.
»Gott sei Dank, ihr seid gleich gekommen.« Monika führte die beiden breitschultrigen Polizisten, die am Straßenrand vor dem Lokal ihrem Streifenwagen entstiegen waren, geradewegs zu den Streithanseln im Biergarten. Noch immer war dort keine Ruhe eingekehrt.
»Wir waren gerade um die Ecke«, erklärte ihr der Fahrer, während sie sich dem Ort des Geschehens näherten.
»Zum letzten Mal. Hör endlich auf, mit dem bescheuerten Bier herumzuspritzen, Joschi!«, rief Helmut gerade. Seine patschnassen dunklen Haare hingen ihm in kleinen Strähnen ins Gesicht, als wäre er gerade aus der Dusche gekommen.
»Genau, hör endlich auf«, meinte der größte der drei Bayern, die nach wie vor bei ihrem Tisch standen. »Ja, so ein hirnamputierter Depp.« Er schüttelte bestimmt zum zehnten Mal in den letzten Minuten missbilligend den Kopf. Seine beiden Freunde neben ihm taten es ihm gleich. Es sah ganz so aus, als würden sie jeden Moment auf die Norddeutschen losgehen. Kräftig genug, um diese Schlacht für sich zu entscheiden, sahen sie auf jeden Fall aus.
»Grüß Gott, die Herrschaften. Ich bin Polizeiobermeister Alois Schmied. Mein Kollege ist Polizeimeister Holger Brauchitsch. Um was geht es hier?« Der blonde und größere der beiden Streifenbeamten, der den Wagen gefahren hatte, trat einen Schritt vor und bekam prompt einen Schwall Weißbier von Joschi ins Gesicht geschüttet, der sich dafür blitzschnell ein Glas vom Nebentisch geschnappt hatte.
Verblüfft schüttelte er sich. Dann zog er hastig seine Dienstwaffe.
»Angriff auf einen Vollzugsbeamten, Holger!«, rief er seinem kleineren dunkelhaarigen Kollegen zu.
Holger zog daraufhin ebenfalls seine Waffe und entsicherte sie.
Anschließend stellten sie sich mit nervösen Gesichtern Rücken an Rücken und zielten wild in der Gegend umher.
»Ja, spinnen denn hier alle!« Monika konnte nicht fassen, was sie gerade sah. Der Föhn trieb die Leute offenbar wirklich zum Äußersten. »Wegen einem Schluck Weißbier im Gesicht wird hier keiner erschossen«, wandte sie sich in strengem Tonfall an die Polizisten. »Steckt auf der Stelle eure Waffen wieder ein, oder ich ruf den Leiter des Dezernats für Gewaltdelikte an. Der ist ein guter Freund von mir.«
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