Die platinblonde Anneliese Rothmüller war Monikas älteste und beste Freundin. Blond und schwarz passt immer gut, scherzten die zwei gerne, wenn sie zusammen ausgingen oder gemeinsam eine Urlaubsreise unternahmen.
»Aber die Arbeit hier macht sich nicht von selbst. Bei dem heftigen Föhn ist der Biergarten heute bestimmt rappelvoll.« Obwohl sie ihr Lokal über alles liebte, graute Monika fast schon vor dem abendlichen Ansturm der Gäste, der bei dem heutigen warmen Wetter von ihr allein wohl kaum zu bewältigen war. Morgen und am Sonntag würde sich das besser verteilen, weil sie da schon mittags aufmachte. Aber heute war ihr voller Einsatz gefragt.
»Und wie immer bei Föhn wird die Hälfte deiner Gäste total grantig und daneben sein«, meinte Anneliese. »Das wird ein Spaß.«
»Das darfst du annehmen.« Monika nickte.
»Ich helfe dir.« Anneliese holte sich eine der weißen Schürzen, die hinter dem dunklen Holztresen hingen, vom Haken.
»Musst du aber nicht, Annie. Genieß doch lieber deinen wohlverdienten Eheruhestand.«
»Wer rastet, der rostet.«
Annelieses Mann hatte sie wegen einer Jüngeren verlassen, ihr aber dank ihres hervorragenden Anwalts ein riesiges Haus in bester Lage sowie jede Menge Bargeld überlassen müssen. Arbeiten musste sie in den nächsten 100 Jahren garantiert nicht mehr, um ihren Lebensstandard zu halten. Aber nur alleine zu Hause zu sitzen war einfach nicht ihr Ding, wie sie Monika bereits mehrmals anvertraut hatte. Sie würde dabei irgendwann ganz bestimmt an Langeweile sterben.
Also träfe sie sich lieber mit ihrer besten Freundin. Auch wenn diese etwas für sie zu tun hätte. Arbeit schadete schließlich nicht. Noch dazu in einer netten Kneipe, in der regelmäßig jede Menge interessante Männer auf der Bildfläche erschienen. Natürlich auch uninteressante. Doch die könnte man geflissentlich übersehen. Schließlich wäre sie, genau wie Monika, eine gestandene Frau und kein leicht zu beeindruckendes Mädchen mehr wie zum Beispiel ihre Tochter Sabine. Die schien regelrecht darauf programmiert zu sein, an die falschen Typen zu geraten. Anders könne man sich ihre diesbezüglichen Missgriffe nicht erklären.
»Du bist wieder mal meine Rettung.« Monika, die selbst keine Kinder hatte – Max reichte ihr auch völlig –, atmete erleichtert auf.
»Mach ich doch gerne, Schnucki. Geh du in aller Ruhe in deine Küche und bereite alles vor. Ich kümmere mich solange um den Tresen und den Biergarten.« Anneliese warf ihr eine Kusshand zu. Dann klatschte sie entschlossen in die Hände.
»Angeblich haben sie noch kriminalistisch zu tun«, meinte Monika auf dem Weg in die Küche.
»Max und Franzi?«
»Ja.« Monika blieb stehen und drehte sich um. »Das hat er zumindest so in seiner Nachricht geschrieben.« Ihr Tonfall verriet, dass sie ihre Zweifel daran hatte.
»Vielleicht stimmt es ja.«
»Vielleicht aber auch nicht.« Monika zuckte die Achseln. »Irgendwie traue ich ihm nach all den Jahren immer noch nicht so recht über den Weg.«
»Weil er das eine oder andere Mal fremdgegangen ist?«
»Das meine ich nicht.« Monika schüttelte vehement den Kopf. »Ich sehe das auch nicht so eng. Wollte ja selbst nichts Festes.«
»Das behauptest du immer. Aber ist es auch wirklich so?«
»Es ist so, Annie.« Monika blickte entschlossen drein. »Ich habe schließlich auch nie seine Heiratsanträge angenommen.«
»Aber warum traust du ihm dann nicht über den Weg?«
»Kann ich nicht sagen.« Monika zuckte die Achseln. »Müsste ich mal drüber nachdenken.«
»Klingt irgendwie zickig.«
»Ja?«
»Ja.«
»Dann ist es halt so.«
»Sie sprechen in Rätseln, schöne Frau.« Anneliese schüttelte langsam den Kopf.
»Lass uns arbeiten.«
»Magst du vorher einen kleinen Prosecco?«
»Immer.«
Max, Franz und Mathilde setzten gleichzeitig ihre Gläser auf dem Tisch ab.
»Zum Bruderschafttrinken gehört aber auch ein Küsschen links und rechts«, meinte Mathilde.
»Gerne.« Franz, der direkt neben ihr saß, hielt ihr schnell seine rechte Wange hin.
Dann hauchten sie jeweils zwei Bussis neben ihren Ohren in die Luft. Anschließend kam Max an die Reihe. Er und Mathilde beugten sich dazu weit über den länglichen Biergartentisch.
»Aber wir zwei küssen uns nicht schon wieder«, fuhr er danach, an Franz gewandt, fort.
Der nickte nur mit einem breiten Grinsen.
»Das wäre geschafft.« Mathilde lächelte zufrieden. »Duzen tun wir uns ja sowieso längst. Dann bin ich wohl jetzt mit Bierholen an der Reihe.«
»Auf gar keinen Fall. Du bist unser Gast«, wehrte Franz ab. »Max hat zuletzt das Essen geholt. Jetzt bin ich wieder mit Bier dran.«
»Wirklich?« Sie war bereits aufgestanden und blieb unschlüssig stehen.
»Setz dich wieder.« Franz entfernte sich schnell Richtung Schenke. Seinem breiten Grinsen nach freute er sich offensichtlich schon auf das Wiedersehen mit seinem neuen Freund, dem Schankkellner.
»Vielleicht sollten wir uns bald mal auf die Suche nach Dagmar machen«, meinte Max. Er hatte die ganze Zeit über immer wieder an Mathildes verschwundene Freundin gedacht und machte ein ernstes Gesicht.
»Mir wäre es auch lieb. Sie ist jetzt wirklich zu lange fort, ohne erreichbar zu sein. Ist sonst gar nicht ihre Art.« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Dabei hatten wir vor der Abreise extra abgemacht, immer die Handys anzulassen, falls wir uns verlieren sollten.«
»Wir könnten hier und da ein paar Leute nach ihr fragen. Vielleicht ist sie jemandem aufgefallen.«
»Den Leuten auf der Straße?« Mathilde sah ihn ungläubig an.
»Nein.« Max schüttelte nun ebenfalls den Kopf. Nur etwas schneller und entschiedener, als sie es zuvor getan hatte. »Wir fragen die Straßenkünstler, die Besitzer der Obststände und Metzgereien und so weiter, die auf dem Weg zum Marienplatz und drum herum liegen.«
»Das könnte Sinn machen.« Sie nickte jetzt nachdenklich. »Dann wissen wir vielleicht auch, mit wem sie unterwegs ist.«
»Eben.« Max nickte ebenfalls.
Franz kam zurück.
»Wir trinken zügig aus und suchen dann nach Dagmar«, empfing ihn Max. »Was meinst du?«
»Gute Idee«, erwiderte er. »Ich muss bloß um 20 Uhr daheim sein. Wir sind bei den Nachbarn zum Essen eingeladen.«
»Schon wieder essen?« Max runzelte die Stirn.
Franz war einfach ein Unikat. Dieser Mensch musste in einer Tour rauchen, essen oder trinken, wenn er sich nicht gerade kopfüber in die Arbeit stürzte. Max machte sich seit längerem Sorgen um Franz’ Gesundheit. Aber wie brachte man einem Kamel bei, durch ein Nadelöhr zu gehen?
»Was glaubst du denn? Ich hab schließlich nur ganz wenige von den Würschteln abbekommen.« Franz untermauerte seine Aussage mit einem unschuldigen Augenaufschlag.
»Geht’s noch?« Max sah ihn höchst verwundert an. »Du hast zehn von 15 Würsteln gegessen. Mathilde fünf. Ich hatte gar keins.«
»Zehn winzige Schweinswürschtel reichen gerade mal für den hohlen Zahn.« Franz blickte unverwandt zurück. »Außerdem, seit wann bist du zusätzlich zu deiner üblichen Erbsenzählerei jetzt auch noch ein Würschtelzähler?«
»Das sagt der Richtige. Wer zählt denn jedes Bier, das ich trinke, wenn Moni nicht dabei ist? Unglaublich.« Max lachte laut und künstlich.
Einige der Umsitzenden drehten sich neugierig zu ihnen um.
»Alles gut, Leute.« Max winkte ihnen weiterlachend zu. »Genießt euer Bier. Hier gibt es nur eine kleine föhnlastige Diskussion unter Freunden.«
Die Angesprochenen wandten sich murmelnd wieder ab.
»Ich wüsste nicht, was an hungrigen Menschen so besonders lustig ist«, meinte Franz zu Max. Er sah ihn ein wenig vorwurfsvoll und neugierig zugleich an.
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