In dem Roman ‚Samarāiccakahā‘, der dem Jaina-Gelehrten Haribhadra-sūri im 9. Jahrhundert u. Z. zugeschrieben wird,520 erklärt ein Mönch einem Prinzen, also Laien aus der Führungsschicht, das System der Gaben. Unter den verschiedenen Arten des Spendens lehrt er über das Unterstützen der geistlichen Lehrer: „Das aber ist Essen, Trinken, Kleidung, der Almosentopf und geeignete Medizin; spenden soll der Besonnene auch Lager und Sitz von vorzüglicher Beschaffenheit. – Zu spenden ist demjenigen, der sich dem Studium und der Meditation hingibt und keinen Unterhalt hat. Wer die Last von Askese und Ordensdisziplin trägt, der wird durch diese Spende unterhalten. – Weil sein karman [also alles der unstofflichen Seele anhaftende Stoffliche] leicht ist, darum kann er sein eigenes Selbst und auch einen anderen Menschen den Ozean des Wesenskreislaufes überqueren lassen. Wer mit karman schwer beladen nicht einmal selber ihn überqueren kann, wie soll der einen anderen hinüberschiffen? (…) Rein im Hinblick auf den Geber wird eine Spende genannt, wenn der Geber Erkenntnis besitzt, frei ist von den acht Positionen des falschen Stolzes und vom Freudenschauer der Glaubenszuversicht überrieselt wird (…). Wer aber ohne Glaubenszuversicht spendet im Streben nach Ruhm und Ehre, oder wenn er aus eitlem Stolz gibt: ‚Gebe ich etwa nicht?‘ – solch ein Geber ist verblendet und sein Geist befleckt. Seine Spende gleicht einem Samen, der nicht viele Früchte bringt, denn es fehlt das Wasser der Glaubenszuversicht, mag die Gabe auch reichlich und von vorzüglicher Art sein.“521
Über die Spende der Erkenntnis, die offenkundig von den Mönchen gegeben werden soll, heißt es im selben Zusammenhang: „Das, wodurch eine Seele unterscheidendes Erkennen von Bindung und Erlösung gewinnt, das ist das Spenden von Erkenntnis, der Same für das Gedeihen seligen Glücks. Wenn das gespendet ist, dann wendet sich die Seele, die das reinigende Verdienst und das Böse in seiner Vielfalt restlos genau unterscheidend erkennt, dem einen zu und von dem anderen ab. – Der verdienstvollen Tat sich zuwendend erwirbt sie leicht das Glück der Sterblichen und Unsterblichen, vom Unglück der Höllenbewohner und Tiere aber wird sie frei, von allem Bösen abgewandt. – Und sie erwirbt auch das sehr weite Glück der Erlösung bereits durch die ununterbrochene Kette der glücklichen Existenzen (als Mensch); das ist die Macht ebendieses reinen Erkennens. Weil sowohl in dieser als auch in jener Welt durch Erkenntnis die Seele Glück erwirbt, darum ist das eine vorzügliche Spende.“522
Die radikale Unbehaustheit und Armut ließ eigentlich keine Stiftungen an Jaina-Mönche und -Nonnen zu. Trotzdem sind im mittelalterlichen Jahrtausend auch Tempel- und Klosterstiftungen für sie bezeugt; zusammenfassend schreibt darüber Annette Schmiedchen: „Die Zahl der jinistischen Stiftungen war gesamtindisch gesehen stets relativ gering und konzentrierte sich regional vor allem auf bestimmte Gebiete in Westindien (Gujarat) und im Süden (Karnataka und Tamilnadu). Im Unterschied zum Buddhismus kamen Stiftungen zugunsten von Jaina-Institutionen jedoch auch nach dem 10. Jahrhundert nicht zum Erliegen. Die mittelalterlichen jinistischen Stiftungen gingen an die männlichen Vertreter dieser asketischen Tradition und begünstigten teilweise Mönche und Nonnen gemeinsam (…). Empfänger der Dotationen waren entweder Jaina-Institutionen oder einzelne Jaina-Asketen, die durch ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Schulrichtungen charakterisiert sind (…). Die Kultbauten der Jainas waren nicht nur Mahāvīra Jina (…) gewidmet, sondern – da dieser nach Jaina-Auffassung 23 Vorgänger hatte – auch den sogenannten ‚Furtbereitern‘, den Tīrthaṃkaras. Stiftungen sind vor allem für Tempel des Ādinātha (Nr. 1), Candraprabha (Nr. 8) und Pārśvanātha (Nr. 23), des unmittelbaren Vorgängers des Mahāvīra Jina, belegt (…). Die einschlägigen Stiftungsurkunden enthalten meist nur Bestimmungen zur Erhaltung der Bauwerke und zu kultischen Verrichtungen. In relativ wenigen Inschriften ist festgelegt, dass die betreffenden Dotationen auch für die Speisung von Jaina-Asketen zu nutzen waren.“523
Die Stifter konnten freilich auf diesem Weg nur ihre Aussichten auf eine bessere Wiedergeburt erhöhen, nicht aber etwas für ihr Seelenheil tun. ‚Stiftungen für das Seelenheil‘ hatten im religiösen System des Jainismus überhaupt keinen Platz. Erlösung war nur möglich durch radikale Askese (sanskrit.: tapas ), die bis zum freiwilligen Hungertod führen konnte.524 Am Ziel waren alle befreiten Seelen „mit dem unpersönlichen, rein geistigen, vollkommenen ‚Absoluten‘ ( kevalam )“ vereint,525 aber nachdem sie alle Gestalten ihrer Wesenheiten und den Körper abgestreift hatten, waren sie auch ohne eigene ‚Identität‘. Im ‚Aupapātika-Sūtra‘, also einem Lehrtext aus dem 1./2. Jahrhundert u. Z., wird der Ort der befreite(n) Seele(n) in der Welt selbst beschrieben: „Wo werden die Erlösten abgewiesen? Wo haben die Erlösten ihren Ort? Wo lässt er (der jīva ) seinen Körper, wohin geht er und wird erlöst? – In der Nicht-Welt werden die Erlösten abgewiesen, an der Welt Spitze aber ist ihr Ort. Hier lässt er seinen Körper, geht dorthin und wird erlöst (…). Ohne Leib manifest gewordene Seelen, hingegeben dem Schauen und Erkennen, mit Form und ohne Form zugleich, das ist das Kennzeichen der Erlösten. – Dem vollständigen Erkennen hingegeben, erkennen sie das Wesen aller Dinge. Sie schauen überallhin mit Blicken, die alles erfassen und keine Grenzen kennen. – Nicht für Menschen gibt es dieses Glück, noch auch für alle Götter, wie für die Erlösten, die ohne Bedrängnis sind. – Der Glückszustand der Götter, aufgehäuft in aller Zeit und von unendlicher Vielfalt, reicht doch nicht an das Glück des Freiwerdens mit seinen sogar unendlichen Teilen und Teilchen. – Wenn die Fülle des Glücks der Erlösten in aller Zeit aufgehäuft wäre, so würde sie, in ihre unendlichen Teilchen zerlegt, nicht einmal in den gesamten Raum passen. – So wie ein Wilder, der sich auskennt in den vielfältigen Vorzügen der Stadt, nicht davon berichten kann, weil in der Wildnis ein Vergleich fehlt, – ebenso ist das Glück der Erlösten unvergleichlich, nichts ist ihm vergleichbar. Mit Unterscheidungen freilich ist dieses vergleichbar, hört zu: – Wie ein Mann, der eine allen Wünschen entsprechend vorzügliche Speise aß, von Durst und Hunger befreit sich befindet, als sei er mit Nektar gesättigt, – so für alle Zeiten gesättigt, eingetreten in das unschätzbare Nirvāṇa, weilen auf ewig ohne Bedrängnis die Erlösten, glücklich, ins Glück gelangt. – ‚Erlöst‘ heißen sie, ‚erwacht‘ heißen sie, ‚ans andere Ufer gelangt, am Ende der Kette‘, frei sind sie vom Panzer des Karman, alterslos, todfrei und ohne Bindung. – Abgeschnitten von allem Leid, frei von den Banden: Geburt, Alter und Tod, ohne Bedrängnis auf ewig genießen Glück die Erlösten. – Im Ozean unschätzbaren Glücks zu unvergleichbarem Wohlbefinden gelangt, weilen sie in aller zukünftigen Zeit, die Glücklichen, ins Glück gelangt.“526
Mit dem Jainismus teilt der Buddhismus527 das Streben nach Erlösung als Befreiung von der Welt und hier wie dort steht die Gemeinschaft von Mönchen (und Nonnen) im Zentrum des religiösen Lebens und der Lehrtradition. Siddhārtha Gautama, der auch Śākyamuni genannt wurde und aus dem Gebiet des heutige Nepal stammte,528 erlangte im Alter von 35 Jahren die ‚Erleuchtung‘ und verdiente sich daher den Ehrennamen ‚Buddha‘.529 Er hatte sechs Jahre zuvor seine Familie und Heimat verlassen, um als wandernder Bettelmönch die Unsterblichkeit zu suchen – nicht im Sinne eines ewigen Lebens wie die Christen oder Muslime, sondern in der Befreiung von der unendlich langen Reihe leidvoller Existenzen. Das nirvāṇa , das er wohlgemerkt schon zu Lebzeiten und sogar als junger Mann erreicht hatte, bestand in dem Verlöschen von Gier und Lebensdurst, Hass und Verblendung, und sollte bei seinem Tod als Achtzigjähriger mit dem Ende aller Körperfunktionen nur noch in das endgültige Nirvāṇa ( parinirvāṇa ) übergeführt werden. In der zweiten Hälfte seines Lebens widmete er sich, getrieben von unendlichem Mitleid, dem Bemühen, schlechthin alle Wesen zum Nirvāṇa zu führen. Nach seiner Erfahrung, Überzeugung und Lehre konnte freilich nur jeder Mensch selbst zur erlösenden Einsicht gelangen, dass alles vergänglich, leidensvoll und ohne dauerhaften Kern sein, dass also kein Gott und auch kein Mitmensch ihm dabei helfen könne. Der von ihm nach enttäuschenden Ergebnissen extremer Askese entdeckte ‚mittlere Weg‘ war nur im religiösen Orden, dem saṇgha , zu beschreiten. Dagegen kann der Laie die Erlösung grundsätzlich nicht erreichen.530
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