Die in systematischer Hinsicht eigentlich nicht vorgesehene Stiftung für Dritte, also die Verdienstübertragung zugunsten der (lebenden oder verstorbenen) Eltern, auch anderer Verwandten oder der Lehrer des Stifters, ist nach der Vermutung von Annette Schmiedchen der Grund gewesen, dass in Stiftungsurkunden das Motiv des sonst automatisch erwarteten Verdiensterwerbs überhaupt genannt wurde.498 Schon Max Weber hatte im selben Sinn darauf hingewiesen, dass bei diesen Werken für Dritte die Praxis der altüberlieferten Totenopfer nachwirkte, die das Schicksal der Verstorbenen (wie Opfer und Gebete im Christentum) hatten beeinflussen sollen. Die Stiftungsinschriften zeigten jedoch, dass es dem Einzelnen darum ging, sein Wiedergeburtsschicksal zu beeinflussen: „Man bringt Opfer und macht Stiftungen, um künftig in einer ebenso guten oder besseren Lebenslage, z.B. mit der gleichen Frau oder den gleichen Kindern, wiedergeboren zu werden; Fürstinnen wünschen zu erreichen, dass sie künftig in einer ähnlich respektablen Position wieder auf Erden erscheinen.“499 Normative Rechtstexte sahen vor, das Motiv des Verdiensterwerbs für den Stifter und seine Eltern zu verbinden, und brachten auch den zeitlich begrenzten Effekt der guten Tat zum Ausdruck; ein ewiges Seelenheil war nicht vorgesehen. Im ‚Bṛhaspatisṃrti‘ wird dem Herrscher empfohlen: „Nachdem er Land und anderes gestiftet hat, lasse der König auf einer Kupferplatte oder einem Stück Stoff eine rechtmäßige Stiftungsurkunde anfertigen, versehen mit [der Angabe des] Ort[es ihrer Ausstellung], [seiner] Dynastie usw. ‚Heute habe ich zum Zwecke [der Mehrung] meines Verdienstes und desjenigen meiner Eltern dem N. N., Sohn des N. N., aus der vedischen Schule N. N. eine Stiftung gewährt. Sie ist nicht zu verletzen, nicht wegzunehmen, von allen Abgaben befreit, beständig wie Mond und Sonne, vererbbar auf Kinder und Kindeskinder. Dem Stifter und Beschützer [der Stiftung werde] der Himmel und dem Räuber die Hölle für sechzigtausend Jahre [zuteil]‘ – [so] möge er die Frucht der Gabe und [ihrer] Konfiskation beschreiben (…).“500
Wie eng man sich an solchen Vorschriften orientierte, zeigt etwa eine Kupfertafel mit der um 320 u. Z. ausgestellten Stiftungsurkunde des Maharadschas Droṇasiṃha. Die Stiftung war der Göttin Pāṇḍ[u]rājyā gewidmet, ihr Objekt das Dorf Trisaṃgamaka im Distrikt Hastavapra (wohl bei Hathab) und ihr Zweck vielfältig: Bestimmte Kulte sollten ausgestaltet, der ruinierte Tempel wiederhergestellt und barmherzige Speisungen ermöglicht werden; Droṇasiṃha hoffte dafür auf die Zunahme seiner „Siege, seines Lebens, der Früchte des dharma , seines Ruhms und seines Landbesitzes“, er wollte „alles Glück und Sehnen in einer Zeit von eintausend Jahren erreichen und das religiöse Verdienst seiner Eltern und seiner selbst vermehren“. Die Stiftung sollte „dauern so lange, wie der Mond, die Sonne, das Meer und die Erde existieren sowie Flüsse und Berge Bestand haben“. Dem Stifter solcher Ländereien sei verheißen, so zitierte er aus Vyāsa, sich 60.000 Jahre im Himmel zu erfreuen, wer es aber wagen sollte, sie einzuziehen oder ihre Konfiskation zu genehmigen, solle die gleiche Anzahl von Jahren in der Hölle verbringen.501
In scharfer Abgrenzung zum Ritualismus des alten Brahmanentums, aber auf der Grundlage der karman - und Wiedergeburtslehre entstanden bald nach den ersten Upanischaden in Indien die beiden Asketenreligionen des Jainismus und des Buddhismus. Nach seinem Weltbild ist der Jainismus auf Bhārata (Indien), den südlichen Teil des irdischen Zentralkontinents Jambūdvīpa („Insel des Rosenapfelbaums“), beschränkt. Die Jaina-Mönche dürfen sogar nur im Ārya-Land, im „reinen Land“ der Arier zwischen Sindhu (Indus) und Ganges, leben, während ihnen die anderen Völker Indiens als „Unreine“ ( mleccha ) gelten.502 Deshalb gelangte der Jainismus über Indien im Ganzen nicht hinaus, er hat aber hier bis heute mit einer sehr kleinen Population überlebt.503 Demgegenüber hatte sich der etwa gleichzeitig entstandene Buddhismus bis um die Mitte des ersten christlichen Jahrtausends über den gesamten Subkontinent verbreitet, verlor dann seine Dynamik und ist seit dem 13. Jahrhundert nahezu ganz aus dem Land verschwunden;504 durch missionierende Wandermönche, Händler und die religiöse Präferenz von Herrschern hatte der Buddhismus indessen schon damals auch Süd-, Südost- und Ostasien erfasst und avancierte neben Christentum und Islam bis zur Gegenwart zu einer der drei Weltreligionen.505 Gemeinsam ist beiden indischen Glaubensrichtungen die Trennung des Mönchtums (einschließlich der Nonnen) von den Laien.
Mahāvīra, der seinen Anhängern ( jaina ) als jina , als „Bezwinger“ oder „Sieger“, gilt,506 hatte schon zu Lebzeiten durch seine Askeseleistungen die „Allwissenheit“ erlangt und bei seinem Tod (wohl nach 527/526 v. u. Z.) die Ruhe des „vollkommenen Erlöschens“ ( parinirvāṇa ) erreicht: „Dogmatisch gesprochen heißt das: Der jīva , seine Seele, genauer ‚das Leben‘, hatte nicht nur den Körper, sondern alle stoffliche Substanz (speziell das Karma) für immer verlassen. Ohne den Ballast der Materie, sondern als etwas rein Geistiges, gewichtslos und (…) dem Windhauch vergleichbar, war sie in das Nirvāṇa eingegangen.“507 Die Abwertung der Materie ist für den Jainismus konstitutiv508 und lässt eine auf Seele und Leib bezogene Auferstehungslehre nicht zu. Solange die Lebewesen im unaufhörlichen Kreislauf von Werden und Vergehen befangen sind, verbindet sich der jīva , der als ewig gilt, mit den vier Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft, wird durch Bindung an den Körper aber in Fesseln gelegt; seine Existenzformen als Mensch, Gott, Tier oder Höllenbewohner richtet sich nach dem Maß seines erworbenen Verdienstes.509 Wer viel puṇya angehäuft hat, kann in die Götterhimmel aufsteigen und dort sehr lange in Welten des reines Genusses verweilen; irgendwann aber erschöpft sich der Wert seines puṇya , so dass der jīva in eine Existenzform herabsinkt, die durch ein anderes, in einer anderen Existenz erworbenes Karma bedingt ist. Tier- und Höllenexistenzen sind durch böse Taten determiniert, aber auch diese Daseinsform dauert nicht ewig.510 Nur durch den rechten Lebenswandel ( caritra ) erlangt man die Wiedergeburt als Mensch,511 die erste wichtige Voraussetzung für den Weg zur Erlösung. Dem Laien ist es aber unmöglich, das ewige Heil zu erlangen.512 Der einzige Heilsweg steht dem Mönch offen, selbst Nonnen können ihn nicht gehen, sondern müssen erst als Männer wiedergeboren werden.513 Der Asket kann die Befreiung des jīva von der Fessel des Karmas erreichen, indem er sich von jeder Bindung an die Welt löst. Neben den Verboten, ein Lebewesen zu töten, zu lügen, zu stehlen und unkeusch zu leben, umfasst die fünfte Lebensregel der Mönche deshalb auch nicht nur den Verzicht auf materiellen Besitz,514 sondern umfassender den „auf Liebe zu irgendjemanden und irgendetwas: Denn Liebe erweckt Begehren und erzeugt Karman. Es fehlt (…) [im Jainismus] gänzlich der christliche Begriff der ‚Nächstenliebe‘. Und darüber hinaus sogar etwas, was der ‚Liebe zu Gott‘ entspräche. Denn es gibt keine Gnade und Vergebung, keine Reue, welche die Sünde auslöschte, und kein wirksames Gebet.“515
Die Jaina-Quellen bezeichnen Mönche und Nonnen als die „Bindungslosen“ und die „Frommen“, aber auch die „Unbehausten“ und die „Anteil Suchenden“, also die Almosen Begehrenden.516 Nach ihren Regeln sollen die Mönche auf ständiger Wanderschaft sein und von den Laien – den „Hausbewohnern“ – mit Nahrung und in der Regenzeit vorübergehend mit Obdach versorgt werden.517 Die Laien konnten analog zu den Mönchen „Kleine“ oder „Nachgeordnete Gelübde“ ablegen, die aber den praktischen Erfordernissen des weltlichen Lebens angepasst waren. Das fünfte von ihnen sah Spendenfreudigkeit und die Vermeidung großen Reichtums vor.518 Im Unterschied zu den Brahmanen(-Priestern) waren die Jaina-Mönche zu einer Gegenleistung verpflichtet, die in der Belehrung der Laien bestand.519
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