Das Concorde El Salam lag im modischen Heliopolis auf der Ostseite Kairos, nur wenige Kilometer vom internationalen Raumhafen und etwa fünfundzwanzig Kilometer vom Stadtzentrum entfernt.
Trotz seiner fünfundsechzig Jahre war Erics Tatendrang und seine Abenteuerlust noch lange nicht verblasst. Er hatte das Schreiben aufgegeben, weil es seiner Ansicht nach nichts mehr über die Erde zu schreiben gab. Seine Bücher hatten vorwiegend grenzwissenschaftliche Bereiche thematisiert. Zu Beginn seiner Karriere wurden seine Thesen von der Fachwelt nur belächelt. Man hatte ihn sogar als Scharlatan bezeichnet, schrieb er doch vorwiegend von Außerirdischen, die in der Frühzeit der menschlichen Evolution die Erde besucht und sich mit den damaligen Urmenschen vermischt hätten.
Als sich die Menschheit in jüngster Zeit anschickte, den Weltraum zu erobern und eines Tages auf einem fernen Planeten eines anderen Sonnensystems Spuren von humanoiden Wesen entdeckte, wurde Eric als Visionär gefeiert. Doch sein Ruhm verblasste schnell, und es dauerte nicht lange, da ging der Erfolg seiner Veröffentlichungen massiv zurück. Nachdem seine Thesen nicht mehr kontrovers genug waren, interessierte sich praktisch kein Mensch mehr dafür.
Eric hatte in den letzten Jahren an Leibesfülle etwas zugelegt, was ihm mit seiner Größe von einem Meter siebzig nicht zum Vorteil gedieh. Sein dunkelgraues, kurzes Haar trug er meist nach hinten gekämmt.
Seine Hektik aus früheren Zeiten hatte sich etwas gelegt, doch auch heute hielt er es nur schwer an einem Ort aus. Andererseits war er immer bereit für ein ausgelassenes Fest, bei dem es stets die allerbesten Weine zu trinken gab. Als ehemaliger Hotelier war er ein exzellenter Fachmann.
Mit seinem Beitritt zu Ernests Transportunternehmen begann für ihn ein neuer Lebensabschnitt. Nachdem er auf der Erde genug geforscht hatte, nahm er sich vor, die Tiefen der Galaxis zu ergründen.
Das Summen des Kommunikators riss ihn aus den Gedanken. Im Hörer des Headsets vernahm er Ernest Waltons Stimme. »Hallo Eric, immer noch im Urlaub?«
»Klar, was denkst du denn? Wenn ich schon mal auf der Erde bin. Ist ja in letzter Zeit selten genug vorgekommen.«
»Dann schwing deinen Hintern nach Geneva. Es gibt Arbeit. Ich wohne im Intercontinental an der Chemin Du Petit Saconnex.«
»Ich weiß, wo das ist. Ist es denn so dringend?«
»Scheint so. Dafür werden die Aufträge gut bezahlt.«
»Du sprichst in der Mehrzahl. Das riecht nicht nur nach Arbeit, sondern nach viel Arbeit.«
»Nicht unbedingt. Es sind zwei Aufträge, die wir in einem Flug erledigen können.«
»Das klingt schon besser.« Eric atmete erleichtert aus.
»Wann kannst du hier sein?«
»Rein theoretisch könnte ich sofort aufbrechen.«
»Okay. Ich versuche noch, Christopher zu erreichen. Ich weiß gar nicht, wo der sich gerade herumtreibt.«
»Als ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe, war er gerade in Kalkutta. Soviel ich weiß, wollte er zu einem Gletscher im Himalaja.«
Ernest bedankte sich und unterbrach die Verbindung.
Eric erhob sich aus dem Kunstledersessel und begab sich zur Rezeption. Er checkte aus, bezahlte seine Rechnung und buchte einen direkten Flug nach Geneva.
Eine Stunde später saß er in einem halbgefüllten Fluggleiter und blätterte weiter durch den Prospekt über Pyramiden.
6.
Christopher Vanelli spürte mit jedem Schritt, wie ihm schwindlig wurde, was auf den geringeren Sauerstoffgehalt der Luft in dieser Höhe zurückzuführen war. Er hatte sich gegenüber dem Bergführer bisher nichts anmerken lassen, aber nun verstärkte sich der Effekt so sehr, dass er es nicht mehr verbergen konnte.
Sein Begleiter Dawa Tshering, ein Einheimischer aus dem tibetischen Hochland, hatte dies jedoch schon längst erkannt und sein Tempo sukzessiv an Christophers Leistungsfähigkeit angepasst, ohne dass dieser davon etwas bemerkt hatte.
Christopher, knapp einen Meter neunzig groß und schlank, kannte Dawa schon seit einiger Zeit. Es war nicht das erste Mal, dass er mit seinem tibetischen Freund zu einer der letzten Gletscherregionen auf der Erde im Gebiet des Himalaja unterwegs war.
Christopher war von Gletschern fasziniert. Vor den großen Krisen gab es sie noch an vielen Orten auf der Erde. Doch während des massiven Klimawandels seit Ende des zwanzigsten Jahrhunderts waren die meisten von ihnen dahingerafft worden. Bevor sich Christopher Ernest Walton und Eric Daniels angeschlossen hatte, arbeitete er als freiberuflicher Fotograf und Filmer. Doch seit er mit der Space Hopper im Weltraum unterwegs war, übte er diese Tätigkeit nur noch selten aus. Trotzdem wurde er immer wieder von wissenschaftlichen Institutionen für Aufträge angefragt. Da sein persönliches Interesse an Gletschern mittlerweile auch diesen Institutionen bekannt war, handelte es sich bei den Aufträgen oft auch um solche, die damit zu tun hatten.
Sein gegenwärtiger Auftrag führte ihn zu einer Gletscherhöhle, die sich vor einigen Wochen durch Verschiebung der Eismassen gebildet hatte. Die Wissenschaftler konnten anhand seiner Bilder zu wichtigen Erkenntnissen gelangen und entscheiden, ob sich der Standort für geplante Experimente und Forschungen eignete.
Christopher hatte sich dank einiger lukrativer Aufträge dieser Art eine moderne holografische Kameraausrüstung anschaffen können, die er auch für andere Zwecke benutzte. Auch wenn er mit dem Team der Space Hopper im Weltraum unterwegs war, nutzte er viele Gelegenheiten, um Bilder zu schießen.
Sein größtes Interesse galt jedoch den Gletschern. Es war geweckt worden, als er vor Jahren verschiedene Berichte über den damals größten Alpengletscher zu lesen bekam, den Aletschgletscher in der Schweiz, der in rasantem Tempo zu schmelzen begonnen und dadurch eine verheerende Naturkatastrophe ausgelöst hatte. Ganze Bergregionen mussten mangels Trinkwasser evakuiert werden. Die Flüsse unterhalb des Gletschers führten eine Zeit lang permanent Hochwasser, aufgrund dessen auch in den Tälern weite Teile evakuiert werden mussten.
Diese Berichte weckten in ihm auch das Interesse am Klimawandel selbst, der Ende des zwanzigsten Jahrhunderts eingesetzt hatte und immer noch andauerte.
Während sich damals der globale Temperaturanstieg, hervorgerufen durch den Treibhauseffekt, immer mehr beschleunigte und zum rasanten Abschmelzen von Gletschern und Polareis führte, veränderten sich auch die Meeresströmungen. Es kam zu einer Umverteilung der Luftmassen. Einerseits wurde die heiße Luft aus der Äquatorgegend immer langsamer wegtransportiert, andererseits stauten sich kalte Luftmassen an Orten, an denen vorher ein mildes Klima geherrscht hatte. Viele Gegenden vertrockneten, andere wiederum wurden von Überschwemmungen und Hochwasser heimgesucht. Das Ansteigen des Meeresspiegels verschlang zusätzlich große Küstenregionen. Ganze Bevölkerungsgruppen wurden zu Klimaflüchtlingen, für die es anfangs nicht einmal eine gesetzliche Grundlage gab, um sie überhaupt als legitime Flüchtlinge einzustufen.
Die Regenwälder verschwanden vom Weltbild und verwandelten sich zu kargen Steppen, nicht etwa hauptsächlich durch Rodung oder blinde Abholzung, sondern sie vertrockneten durch die höheren Temperaturen und durch Wassermangel. Der Regenwald im Amazonasbecken war zudem von Sandstürmen in der afrikanischen Sahara abhängig. Diese mehrere Kilometer hohen Sandmassen, mit wertvollen Mineralien angereichert, wurden von den starken Winden über den Atlantik nach Westen getragen, vermischten sich mit Regenwolken, die sich vor der südamerikanischen Küste bildeten und ins Landesinnere getrieben wurden, wo sie sich ihrer Last in Form von Regen entledigten. Das Amazonasbecken bedankte sich für diese vielseitige Düngung mit einer beispiellosen Vielfalt. Doch durch die steigende Verdunstung von Meerwasser entstanden im Süden der Sahara neue Monsunregen, die der Sahelzone genug Wasser bescherten, damit diese von der Flora zurückerobert werden konnte. Die entsprechenden Sandstürme, die das Amazonasbecken mit Mineralien und Dünger versorgt hatten, blieben aus.
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