Eine halbe Stunde später tippte sie den letzten Code ein und startete das Programm erneut.
Dann war der letzte Code geknackt. Nun konnte sie mit den entschlüsselten Dateinamen in der Datenbank nach den Dokumenten suchen. Wie schon beim ersten Mal tippte sie den entschlüsselten Text manuell in das entsprechende Feld auf ihrem Display ein und startete die Suche.
Es dauerte nicht lange, bis das Ergebnis erschien. Sie kopierte das Dokument in eine persönliche Ablage, stellte anschließend eine kabellose Verbindung zu ihrem Kommunikator her und leitete es auf ihr Gerät. Sofort unterbrach sie die Verbindung wieder und wiederholte die Prozedur mit den folgenden Dokumenten.
»Hallo, Kim«, erklang Jerrys Stimme aus heiterem Himmel.
Sie erschrak derart, dass sie zusammenzuckte, zu ihm aufblickte und sich mit dem Stuhl zu ihm drehte.
»Oh, entschuldige«, sagte er und hob seine Hände. »Anscheinend habe ich dich schon wieder erschreckt. Du scheinst heute ziemlich schreckhaft zu sein.«
»Du schleichst dich aber auch jedes Mal an«, erwiderte sie gereizt. Doch dann bemerkte sie, dass er erstaunt und zugleich verlegen in ihren Ausschnitt starrte. Da fiel ihr ein, dass sie vormittags, als sie in der Toilette ihre Bluse vom verschütteten Kaffee gereinigt hatte, den zweitobersten Knopf nicht geschlossen hatte, damit das Kleidungsstück besser trocknen konnte. Da er unmittelbar neben ihr stand, bot ihm ihre Sitzposition den besten Einblick. Zusätzlich hatte sie festgestellt, dass er bisher noch keinen Blick auf ihr Tischdisplay geworfen hatte. Also lächelte sie ihm zu und lehnte sich noch ein bisschen mehr nach vorn.
»Du bist schon zurück?«
»Was heißt schon?«, antwortete er. »Die Zeit ist um.«
Ein kurzer Seitenblick auf ihren Kommunikator zeigte ihr, dass bereits eine Stunde vergangen war, seit sie mit der Entschlüsselung begonnen hatte.
»Ach, tatsächlich. Wie die Zeit vergeht.«
»Kann ich etwas für dich tun?«
Kim fand diese Frage etwas merkwürdig. Aber sie schrieb sie seiner Verlegenheit zu, um davon abzulenken, was sein Blick soeben erhascht hatte.
»Danke, nein, es ist alles okay.«
»Dann werde ich mich jetzt wieder an meine Arbeit machen.« Er ging an ihr vorbei und setzte sich an seinen Arbeitsplatz.
Glück gehabt!, dachte sie beruhigt.
Ein paar Minuten später hatte sie alle Dokumente auf ihren Kommunikator kopiert. Erneut machte sie sich daran, sich in das Systemprotokoll einzuhacken und die Registrierungen ihrer Datenbanksuche zu löschen.
Anschließend verzehrte sie den Rest ihres Lunches, trank einen Becher stilles Wasser und machte sich an ihre eigentliche Aufgabe.
19.
Ein weiterer Durchbruch bei den Experimenten mit den außerirdischen Nanopartikeln löste bei dem Mann im Anzug Euphorie aus. Nur schwer konnte er sich beherrschen und seine Gefühlsregungen vor seinen Untergebenen verbergen. Er war der Meinung, dass Emotionen unter den Mitarbeitern falsche Signale vermitteln konnten. Auch wenn ein weiterer erfolgreicher Schritt gemacht worden war, so war man noch lange nicht am Ziel des Projekts angelangt. Zu viel stand auf dem Spiel, um es durch Fahrlässigkeit zu gefährden.
Unter den vielen Freiwilligen, die sich für den ersten Versuch an einem Menschen gemeldet hatten, befand sich auch ein älterer Mann. Er hatte erklärt, er hätte nichts mehr zu verlieren, wäre alleinstehend, ohne Nachkommen, an Krebs erkrankt und hätte nicht mehr lange zu leben. Seine Arbeit hätte er aufgegeben und sich vorzeitig in den Ruhestand begeben.
All diese Argumente hatten dafür gesprochen, den Alten für den ersten Versuch auszuwählen. Nachdem alle Formalitäten erledigt waren, wurde er in das entsprechende Labor geführt, in dem er sich nur noch in Shorts bekleidet auf einen Operationstisch legen musste. Er wurde an Armen und Beinen festgeschnallt. Auch sein Kopf wurde fixiert. Anschließend schloss man ihn an eine Infusion an. Auf diese Weise wurde das Serum langsam und in kleinen Mengen in seinen Organismus eingeführt.
Lange Zeit gab es keinerlei Reaktionen. Der Alte lag ruhig da, atmete regelmäßig und flach und hielt die Augen geschlossen. Die Kontrollgeräte zeigten keinerlei Unregelmäßigkeiten an. Doch plötzlich begann sich sein Puls zu beschleunigen. Auch sein Atem wurde intensiver. Aber alles in allem waren die Werte immer noch im toleranten Bereich. Dieser Zustand hielt eine längere Zeit an, bevor sich alles wieder beruhigte.
Der Mann im Anzug verfolgte das Experiment geschützt hinter einem Panzerglas von einem anderen Raum aus. Er wusste, dass der Versuch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen würde. Trotzdem machte ihm das Warten zu schaffen. Dies war der große Moment, auf den er so lange hingearbeitet hatte. Dies konnte den größten Durchbruch in seinem Projekt bedeuten. Wenn das Experiment gelang, würden sich Unmengen neuer Möglichkeiten ergeben, die weitere Entwicklungen versprachen.
Wieder schien sich der Puls des Probanden zu beschleunigen. Aber auch dieses Mal blieben die Werte im toleranten Bereich.
„Es wird funktionieren!“, flüsterte der Anzugträger voller Überzeugung. Für einen kurzen Moment schloss er die Augen und atmete tief durch.
Als er sie wieder öffnete, konnte er kaum glauben, was er sah. Er trat noch näher an die Glasscheibe heran und starrte auf den Körper des alten Mannes. Es machte den Anschein, als hätte sich dessen Haut mit einem bläulichen, feinen Pulver überzogen. Er wusste jedoch, dass es kein Pulver war, sondern dass sich die Haut selbst verfärbt hatte. Es waren die Partikel, die sich im gesamten Körper ausgebreitet und in die Haut integriert hatten. Doch das war noch lange nicht das Endergebnis. Die Partikel verrichteten ihre Arbeit als erstes in der Haut des Probanden. Daher befanden sie sich zum jetzigen Zeitpunkt in konzentrierter Form an deren Oberfläche. Anschließend würden sie langsam ins Innere des Körpers eindringen und die Organe und den Organismus bearbeiten. Den Abschluss bildeten die Knochen, die vollständig regeneriert und verstärkt werden würden.
Der Mann im Anzug war sich im Klaren darüber, dass der gesamte Prozess mehrere Stunden andauern würde und er viel Geduld aufbringen musste. Zudem würden mehrere solcher Prozesse stattfinden müssen, bis sich der Körper vollständig umgewandelt hatte. Doch er konzentrierte sich vorerst nur auf das Gesicht des alten Mannes und hoffte, hier bald eine Veränderung sehen zu können. Sein Blick war derart fixiert, dass er ein Brennen in seinen Augen verspürte. Aber er wagte kaum zu blinzeln.
Plötzlich bekam er den Eindruck, als würde ein anderer Mensch auf dem Operationstisch liegen, ohne dass er die Veränderung wahrgenommen hätte. Tatsächlich aber hatten sich die Gesichtszüge des alten Mannes verändert. Die Haut wirkte glatter und die Gesichtsformen schienen ausgeprägter. Auch die blaue Verfärbung hatte sich abgeschwächt.
Aber es dauerte noch weitere zwei Stunden, bis die blaue Farbe auf der Haut des Alten ganz verschwunden war. Sein gesamter Körper wirkte wie verwandelt. Die Haut war glatt, ohne jegliche Falten, der Teint hell und gleichmäßig. Das auffälligste Merkmal war jedoch, dass der gesamte Körper völlig haarlos war. Trotzdem lag der alte Mann, der bei weitem nicht mehr so alt aussah, unbeweglich und ruhig auf der Operationsliege.
Der Anzugträger wurde müde. Das ständige Starren in dieselbe Richtung hatte ihn schläfrig gemacht. Die nun folgenden Veränderungen würden nicht mehr so schnell sichtbar sein. Daher entschloss er sich, die Zeit für andere Aufgaben zu nutzen. Er drehte sich um, verließ den Raum und machte sich auf den Weg in sein Büro.
Als er sich an seinen Arbeitstisch setzte, das Display seines Terminals einschaltete und die Bilder der neusten Nachrichten sah, blieb ihm beinahe das Herz stehen. Hatte er sich so lange mit den Experimenten beschäftigt, dass ihm entgangen war, was in der Welt geschah? Oder war dies alles in so kurzer Zeit passiert?
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