„Das Blatt hat sich gewendet“, sagte Kalus und lächelte noch breiter.
Stagar lächelte fies zurück: „Das denke ich nicht.“
Kalus war unachtsam gewesen, sodass einer der Golems hinter ihn gelangen konnte und ihm auf den Rücken springen wollte, um seine brennenden Krallen in dessen Nacken zu versenken. Zumindest schien das so. Der Golem sprang und … wurde zerschmettert. Blitzschnell hatte sich Kalus auf der Stelle gedreht, dabei mit seinen zwei rechten Fäusten ausgeholt und diese dann in das steinerne Gesicht des Golems gerammt.
Diese Bewegung war so schnell, dass das Auge nicht folgen konnte. Würde die Aura, die Kalus umgab, nicht Lichtspuren in der Luft hinterlassen, die ein paar Sekunden lang sichtbar blieben, wäre Stagar nicht klar gewesen, was passiert war. So aber erkannte er, dass sein Gegner enorm schnell geworden war. ‚Was zur Finsternis ist das nur für eine Aura?‘, fragte Stagar sich, während er wortlos den beiden verbliebenen Golems Anweisungen gab.
Doch daraus wurde nichts, denn Kalus versenkte seinen linken Eisenstiefel in Stagars Rücken. Dies passierte zwar nicht mit Wucht, eigentlich sogar geradezu sanft, doch schrie Stagar trotzdem auf, als die fremdartige, grüne Energie in seinen Körper strömte und sein magisches Gleichgewicht störte. Stagars Magie wurde instabil, sodass die Golems ihre zusammenhaltende Kraft verloren und auseinanderflossen.
Jetzt war der Kampf entschieden und Stagar stand auf, nachdem Kalus den Stiefel von seinem Rücken genommen hatte, um sich sofort vor Kalus zu verneigen: „Meister Kalus, ich verbeuge mich vor Eurer Macht und vor der des Hauses der Seelen.“
Kalus erwies ihm ebenfalls Respekt: „Ihr habt gut gekämpft, Meister Stagar. Ihr habt Eurem Haus Ehre gemacht.“
Dann wandte er sich ab, ging zu seinem Schüler und Sohn Kalusurus, lobte ihn für den Sieg über den Schüler Nando und verließ anschließend mit ihm den Kampfplatz, während sie vom Publikum mit Jubel überschüttete wurden.
„Beim Dämonenlord, das waren heute einmal starke Gegner, Vater“, meinte Kalusurus, während sie die Arena durch ein Tor verließen. „Kommt nicht oft vor, dass wir die Kraft unserer Servi beanspruchen müssen.“
Sein Vater drehte während des Gehens den Kopf und nickte ihm zustimmend zu: „Das habe ich von einem Meister des Hauses der Flammen aber auch nicht anders erwartet. Und auch der Lehrling vom Haus der Wellen hat sich bewiesen, oder Kalusurus?“ Kalusurus nickte ebenfalls und Kalus sagte daraufhin: „Du warst natürlich auch hervorragend. Darum gehen wir nun zu Keltors Gasthaus, um unseren Sieg zu feiern.“
Kalusurus jubelte und während Vater und Sohn fröhlich fortgingen, ließen sie eine ratlose, felusianische Wache am Tor zurück. Der Raptor, der auf der anderen Seite des Tores stand, lachte beim verwirrten Gesichtsausruck seines Kameraden. „Wie ich sehe, kennst du dich nicht mit der Besonderheit des Hauses der Seelen aus“, vermutete er.
„Eigentlich verwundert mich eher das Verhalten der beiden. Vorhin kamen sie, ohne irgendwas zu sagen und ohne Regung im Gesicht, eiskalt hier hinein. Sie wirkten richtig unheimlich“, erklärte der Felusianer.
„Das meinte ich doch“, verkündete der Raptor aufgeregt. „Der Grund für ihr verändertes Verhalten liegt darin, dass sie zwei Seelen haben.“
Kalus und Kalusurus benötigten eine Stunde, um zu Keltors Gasthaus zu gelangen. Eigentlich lag es nicht so weit von der Arena entfernt, jedoch stießen Vater und Sohn immer wieder auf Gruppen von begeisterten Arenabesuchern, die sie zu ihrem Sieg beglückwünschen wollten. Vor allem Kalusurus bekam viel Aufmerksamkeit. Als begabter Kämpfer, der zweifellos die Nachfolge seines Vaters antreten würde, und als Familienmitglied des Hauses der Seelen war Kalusurus bei den felusianischen Mädchen sehr begehrt.
Endlich betraten Vater und Sohn Keltors Gasthaus, welches, wie die meisten Gebäude in Dämonenstädten, aus grauen Granitblöcken gebaut worden war und ein Dach aus rötlichem Obsidian besaß. Einfache Löcher in den Wänden, die man mit Leinentüchern zuhängte, wenn man etwas Privatsphäre wünschte, bildeten die Fenster. In Keltors Gasthaus waren aber alle Fenster unverdeckt, sodass das rötliche Licht der Magmaflüsse hineinschien, die in Kanälen durch die Stadt flossen und sie mit Wärme und Energie für die Runen versorgten.
Die Zwerge würden wohl wahnsinnig wütend werden, wenn sie wüssten, dass die Dämonen ihre Runenmagie nicht nur kopiert, sondern auch stark verbessert hatten. Die Runen der Dämonen konnten die Energie der nahen Magmakanäle anzapfen und mussten nicht mühsam manuell mithilfe eines Kristalls aufgeladen werden.
Als Vater und Sohn im Eingangsbereich des stark besuchten Gasthauses standen, unterbrachen alle Gäste, die an den Steintischen auf Holzstühlen saßen und allen möglichen Dämonenarten angehörten, ihre Mahlzeiten und blickten sie an. Als realisiert wurde, wer da eingetreten war, erhob sich ein Chor voller Glückwünsche und Hochpreisungen. Man merkte, welches Ansehen Arenakämpfer wie Kalus und Kalusurus in der dämonischen Gesellschaft genossen.
Der Wirt Keltor hüpfte, vom Lärm angelockt, aus der Küche. Er hüpfte, weil er ein rothäutiger Höllenfrosch in weißer Kochkleidung war. Keltor kam vor Vater und Sohn zum Stehen, wobei man eigentlich von Sitzen reden müsste, da Höllenfrösche wie ihre kleinen Verwandten auf der Oberfläche bei Stillstand immer saßen. Der einzige Unterschied, außer der Größe, die durchschnittlich mehr als einen Meter im Sitzen betrug, waren die Hände, die mehr denen eines Elfen ähnelten, sodass Höllenfrösche besser greifen konnten.
Keltor begrüßte seine bedeutenden Stammgäste: „Willkommen in meinem bescheidenen Gasthaus, quak, Meister Kalus und Schüler Kalusurus, quak.“ Dabei machte er eine Verbeugung, sehr zum Missfallen von Kalus.
„Keltor, ich habe Ihnen doch schon oft gesagt, dass diese Förmlichkeiten nicht notwendig sind. Behandeln Sie uns einfach wie jeden anderen Gast“, bat der Felusianer, worauf der Gastwirt verschmitzt antwortete: „Das tue ich doch gerade, Meister, quak.“
Kalus gab auf und ließ sich und seinen Sohn wortlos zu ihrem Stammtisch geleiten.
„Dasselbe wie immer, quak?“, fragte Keltor und beide nickten. Daraufhin verschwand der Wirt in die Küche, während sich die anderen Gäste zur Freude von Kalus wieder ihren Mahlzeiten widmeten. Und während Vater und Sohn warteten, ließen sie den Kampf gedanklich Revue passieren und analysierten ihn gemeinsam, um mögliche Schwachpunkte in ihren Kampfstilen zu finden.
Währenddessen betraten zwei weitere Personen das Gasthaus. Es waren Meister Stagar und sein Schüler Nando. Sie hatten frische Kleidung angelegt, die aber nicht ihre Niedergeschlagenheit, die nach einem verlorenen Kampf verständlich war, verbergen konnte. Auch sie wurden von den Gästen kurz gemustert. Diesmal gab es aber keine Äußerungen, stattdessen widmeten sich die Besucher sofort wieder ihrem Essen. Es war jedoch kein Desinteresse, sondern ein Ignorieren, dass sich die Verlierer der Arena generell gefallen lassen mussten.
Keltor, der gerade die Küche verließ und auf seine neuen Gäste aufmerksam geworden war, schloss sich diesem Ignorieren nicht an. Mit derselben Herzlichkeit, mit der er zuvor Kalus und Kalusurus begrüßt hatte, ging er auf sie zu: „Willkommen in meinem bescheidenen Gasthaus, ehrenwerte Arenakämpfer, quak.“
In dieser Begrüßung steckte kein bisschen Spott oder Häme, was Stagar nicht entging. Sein trübes Gesicht hellte sich ein wenig auf und er lächelte sogar. Vermutlich waren dies, abgesehen von Kalus’ Lob, die ersten freundlichen Worte, die Stagar und sein Schüler nach der Niederlage zu hören bekamen.
Kalus hielt die stille Ächtung der ehrenwerten Verlierer eines Arenakampfes für falsch: Stagar und sein Schüler Nando hatten gut gekämpft, denn nicht viele schafften es, Kalus und Kalusurus dazu zu bringen, ihre besonderen Kräfte einzusetzen. Also beschloss er, eine Wiedergutmachung zu leisten: „Meister Stagar! Es wäre mir eine Freude, wenn Sie mir und meinem Sohn beim Essen Gesellschaft leisten. Das gilt natürlich auch für Ihren Schüler.“
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