Währenddessen wurde auch Stagars Schüler Nando von Kalusurus in die Enge getrieben. Da Nando in Gegensatz zu seinem Meister keine schwere Rüstung trug, musste er sich sehr auf das Ausweichen konzentrieren. Kalusurus bewegte seinen Stab so schnell, dass es schwer war, den Angriffen mit den Augen zu folgen. Und ebenso wie beim Meister war beim Schüler keine Gefühlsregung sichtbar.
Es sah nicht gut aus für Meister Stagar und seinen Schüler Nando. Stagar würde jedoch nicht zum Haus der Flammen gehören und Nando wäre nicht sein Schüler, wenn die beiden nicht noch einige Winkelzüge auf Lager hätten.
Kalusurus drehte sich zur Seite und holte mit seinem Stab aus, um seinen Gegner auf den Kopf zu schlagen. Diesmal wich Nando nicht aus und der Stab ging einfach durch ihn hindurch. Denn genau in dem Moment, als der Stab ihn hätten treffen sollen, verwandelte sich Nandos Körper in Wasserdampf und zischte als heiße Fontäne dem Kontrahenten entgegen. Der Dampf blendete Kalusurus und während er für ein paar Augenblicke abgelenkt war, rammte sich die Wolke, die für einen Moment eine außergewöhnlich hohe Dichte aufwies, in seinen Magen. Kalusurus stürzte zu Boden, während die Dampfwolke sich in Wasser verwandelte, welches sich über ihn ergoss. Der Schüler achtete nicht darauf, sondern sprang wieder auf, sobald der Druck von ihm gewichen war. Er hatte dabei kurz Probleme, das Gleichgewicht zu halten, da sich seine Lederrüstung mit Wasser vollgesogen hatte. Schnell fing er sich jedoch wieder und stand fest mit beiden Beinen auf dem Boden. Sein Gegner war allerdings nicht zu sehen. Dafür war jetzt eine kreisförmige Fläche mit einem Radius von fünf Metern um Kalusurus herum mit Wasser bedeckt. Bevor Kalusurus ahnen konnte, was nun passieren würde, geschah es bereits. Ein lautes Zischen setzte ein und das Wasser begann zu verdampfen und hüllte den Schüler in eine dichte, große Dampfwolke ein.
Währenddessen tauschten die Meister immer noch Schläge aus. Stagar hatte einen Rhythmus in Kalus’ Angriffen erkannt und konnte sich nun leichter verteidigen sowie selbst Angriffe durchführen, sodass auch Kalus einige Treffer einstecken musste. „Du bist besser, als der Anfang es vermuten ließ“, sagte Kalus, während er seine Schwerter auf den Gegner zurasen ließ. Dies waren keine Worte des Erstaunens, sondern nur eine nüchterne Erkenntnis. „Und dein Schüler ist ein Wassermagier, der auch den Dampf beherrscht … So was sieht man selten.“
Wieder war dies kalt und gefühllos ausgesprochen worden und Stagar wurde wütend, denn Kalus klang so, als würde er mit einem gewöhnlichen Straßenräuber reden und nicht mit einem ebenbürtigen Meister. Vor allem, da er „du“ statt „Sie“ benutzte. Deshalb beschloss der Angehörige des Hauses der Flammen, seinem Gegner heftig zuzusetzen.
Er wich einem weiteren Angriff Kalus’ mit einem Hüpfer nach hinten aus und sprang sofort wieder nach vorn, wobei er seine Hellebarde über seinem Kopf herumwirbeln ließ, bevor sie von oben auf seinen Gegner herabsauste. Kalus wollte diesen Angriff wie die anderen zuvor abblocken. Doch als sich im letzten Moment die Klinge der Hellebarde entzündete, bemerkte das der Angehörige des Hauses der Seelen mit unnatürlicher Schnelligkeit und wich mit ebensolcher der brennenden Klinge nach hinten aus. Die Hellebardenklinge schlug zischend in den Boden ein. Stagar versuchte nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, seine Waffe wieder aus dem Boden herauszuziehen, sondern drückte sie sogar noch tiefer hinein. Die Klinge und ein Teil der Stange verschwanden in einer kleinen, kreisförmigen und aus geschmolzenem Gestein bestehenden Pfütze. Kalus witterte eine Falle, weshalb er nicht angriff, sondern stattdessen abwartete, was passieren würde.
Vom Lavakreis gingen plötzlich drei Linien aus, die sich durch den Boden fraßen. Die Linien erreichten eine Länge von mehreren Metern, bis sie stoppten und sich an ihren Enden neue Kreise bildeten. Diese waren größer als der Ursprungskreis und sie blieben nicht lange Kreise. Das geschmolzene Gestein türmte sich übereinander und bildete so nach und nach drei Gestalten, eine für jeden Kreis. Kalus erkannte jetzt, was da entstand: Es waren drei Lavagolems, die die Gestalt von Wölfen hatten.
„Darf ich vorstellen: die Lavawölfe“, präsentierte Stagar stolz seine Golems. Er ließ Kalus keine Zeit zum Antworten, sondern hetzte ihm mit einem „Zerfetzt ihn!“ seine Geschöpfe auf den Hals.
Der Schüler Kalusurus befand sich immer noch in einer verzwickten Lage. Denn wie er feststellen musste, war sein Feind die Dampfwolke. Der Schüler Nando hatte seine feste Gestalt abgelegt und umgab nun als Dampf Kalusurus, ohne dass dieser ihn irgendwie angreifen konnte. Nando hingegen konnte sich jederzeit kurzzeitig zusammenziehen und als Dampffaust Kalusurus gefahrlos attackieren. Kalusurus musste viele Schläge in den Rücken und auf seine Gliedmaßen ertragen, ohne dass er eine Chance hatte, sie abzuwehren. Der Schüler spürte, wie die Schmerzen seinen Körper langsam lähmten. Er musste etwas gegen seinen geisterhaften Gegner unternehmen oder er würde in diesem Kampf unterliegen.
Das galt auch für seinen Meister Kalus, der sich der Angriffe von Stagar und seinen Golems erwehrte. Er musste feststellen, dass die Golems im Gegensatz zu Stagars Rüstung hart genug waren, um seine Schwertklingen abprallen zu lassen. Deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu verteidigen. Auch er erkannte, dass er etwas tun musste, sonst wäre der Kampf schon bald verloren.
Deshalb entschlossen sich Meister und Schüler, die Kraft der Seelen zu entfesseln. Kalusurus schloss die Augen und blieb ruhig stehen, trotz der ständigen Gefahr durch den Wassermagier. Nando verwirrte dies kurzzeitig, dann aber beschloss er, den günstigen Moment auszunutzen. Er zog eine große Menge an Dampf zusammen, um einen stärkeren Angriff durchzuführen.
„Servus! Greif den Feind an!“, schrie Kalusurus auf einmal.
Nando stutzte, denn wer oder wo war „Servus“? Dann erstarrte er. Er spürte, wie sich etwas Körperloses von Kalusurus löste. Und dieses Etwas flog in die Wolke und setzte eine Nando unbekannte Energie frei. Der Schüler schrie auf, als sich diese Energie in Form von Blitzen in der Wolke austobte. Er litt wahnsinnige Schmerzen und es knallte laut, als sein Körper schlagartig in seine feste Form gezwungen wurde. Nando wurde durch die Luft geschleudert und schlitterte beim Aufprall über den Boden, wobei seine Robe zerriss und er sich mehrere Schürfwunden zuzog. Er versuchte aufzustehen, doch seine Beine versagten, weshalb er nur knien konnte. Kalusurus kam langsam auf ihn zu, während neben ihm die unheimliche, körperlose Gestalt schwebte. Die Gestalt sah genauso aus wie Kalusurus, nur dass sie grünlich schimmerte und zudem durchsichtig war. Nando bekam es mit der Angst zu tun, vor allem, als ihm Kalusurus’ Gesichtsausdruck auffiel. Der kalte, emotionslose Blick war verschwunden. Stattdessen prangte auf seinem Gesicht ein siegessicheres Grinsen. Dies war das Letzte, was Nando sah, bevor der Stab des Kalusurus ihn ins Reich der Träume schickte.
Während nun der Kampf der Schüler zu Ende ging, war Kalus dabei, seinen Kampf zu beenden. Als Stagar und seine drei Golems gleichzeitig aus vier Richtungen angriffen, sprang Kalus in die Luft, um diesem Angriff zu entgehen. „Was beim Dämonenlord?“, ächzte Stagar, als er und auch das überraschte Publikum sahen, wie hoch Kalus mit der Eisenrüstung sprang. Über zehn Meter. Und das war noch nicht alles.
Als das Mitglied des Hauses der Seelen den Scheitelpunkt seines Sprunges erreicht hatte, rief er laut aus: „Servus, gib mir deine Kraft!“ Und wer auch immer „Servus“ war, er gehorchte. Kalus’ Körper erstrahlte in einem grünlichen Licht, das sich zu einer Aura, die den Körper umgab, formte. Kalus steckte blitzschnell seine vier Schwerter ein und holte mit seinen rechten Fäusten aus, während er zurück zum Boden fiel. Kurz vor dem Aufprall schlug er zu. Die Kraft dieses Doppelschlages war gewaltig. Ein gigantischer Kraftstoß wurde von den Fäusten entfesselt und rammte sich in den Boden, sodass dieser eingedrückt wurde. Ein Krater mit einem Durchmesser von zehn Metern entstand so schnell, dass Stagar und seine Golems bereits das Gleichgewicht verloren hatten, bevor ihr gemeinsames Bewusstsein dies registrieren konnte. „Was zum …!“, schrie Stagar, während er in den Krater purzelte, genau vor Kalus’ Füße. Stagar blickte hoch und sah in Kalus’ Gesicht ein siegessicheres Lächeln. Weg waren der unbeteiligte Blick und der emotionslose Gesichtsausdruck.
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