5. Kapitel – Kalus, Meisterschwertkämpfer der Dämonen
Dämonenhauptstadt Gula, irgendwo in den tiefen Höhlensystemen
des eisigen Nordens
Mittag des zweiten Tages nach dem Fall von New Paris
„Kämpfe! Wir wollen Kämpfe sehen!“ Das Gebrüll der Menge durchdrang selbst die dicke Mauer der Katakomben und schallte bis zu der Kammer desjenigen, nach dem die Menge verlangte.
„Die Zuschauer können es mal wieder nicht erwarten, Euch im Kampf zu sehen, Meister“, bemerkte Kalusurus.
„Sprich nicht, sondern konzentriere dich auf meine Rüstung“, ermahnte Kalus seinen Schüler.
Der Schüler nahm die kleine Ermahnung hin, denn es war tatsächlich eine schwierige Sache, einem Felusianer die Rüstung anzulegen. Diese Katzenwesen hatten vier Arme. Deshalb bestanden die Rüstungen aus vielen Einzelteilen, die jedes Mal Stück für Stück am Körper des Kriegers befestigt werden mussten. Außerdem galt es, darauf zu achten, dass man das Fell nicht einklemmte und die Haut nirgendwo gescheuert wurde. Kalusurus, der gerade erst fünfzehn Jahre alt und damit noch ein Kind war, bewies, dass er das Rüstunganlegen beherrschte, denn als sein Meister, dessen Alter auf die Fünfzig zuging, aufstand und probeweise mit seiner Ganzkörperrüstung aus Eisen ein paar Schritte lief, verursachte kein eingeklemmtes Haar ziehende Schmerzen und an keiner Stelle verspürte er einen unangenehmen Druck, der zu Haarausfall hätte führen können. Kalus nickte seinem Schüler zufrieden zu, der seine Lederrüstung schon vorher angelegt hatte, und setzte seinen offenen Helm auf. Schweigend nahmen Meister und Schüler ihre Waffen, vier Schwerter für den Meister und ein eiserner Stab für den Schüler, und gingen hinaus auf den Arenaplatz.
Für die Dämonen war die Arena nicht nur ein Ort, den man zur Unterhaltung besuchte. Sie war der Schmelztiegel der Gesellschaft. Hier trafen die verschiedenen Schichten, Dämonenarten und Altersgruppen aufeinander, um bei den Kämpfen mitzufiebern. Hier kämpften sowohl aufstrebende Jungspunde als auch Veteranen für Ruhm und Ehre. Und insgeheim natürlich auch für die wertvollen Preise, die von kulinarischen Delikatessen bis zu von Meisterhand gefertigten Waffen alles umfassten. Von allen Arenen war die Gula-Arena in der Hauptstadt die größte und prächtigste. Statt aus grauem Granit, der bei den gewöhnlichen Gebäuden der Dämonen verwendet wurde, bestand diese Arena großenteils aus einem schwarzen, widerstandsfähigen Marmor. Mit einer Breite von dreihundert Metern, einer Länge von dreihundertsechzig Metern und einer Höhe von hundert Metern hatte die Arena gigantische Ausmaße und gehörte damit zu den größten Bauwerken des Dämonenreiches. Keine andere Arena war auch nur halb so groß wie sie. Deshalb galt für jeden Arenakampf-Liebhaber: Erst, wenn du die Gula-Arena besuchst hast, weiß du, was ein echter Kampf ist.
Heute erwartete die Menge ein besonderer Kampf, ein Duell zwischen zwei Meistern und ihren Schülern. Die Namen blieben geheim, wie die Tradition es verlangte, jedoch brodelte die Gerüchteküche schon und man munkelte, dass an diesem Tag die Vertreter zweier altehrwürdiger Kriegerhäuser antreten würden. Die Menge saß deshalb sehr unruhig auf den Rängen und konnte den Beginn des Kampfes kaum erwarten.
Die Zuschauer mussten sich nicht mehr lange gedulden: Die Ansagerin, eine Sukkubus, kam in die Arena und stellte sich in die Mitte des Feldes. Sie trug ein rotes Kleid, vermutlich widerwillig. Denn aufgrund des heißen Blutes, das durch die Adern jedes Dämons und jedes Halbdämons floss, waren die Körper der Dämonen sehr resistent gegenüber Kälte und anderen Witterungseinflüssen. Darum spielte in der Tradition vieler Dämonen Kleidung keine Rolle, abgesehen von Rüstungen, die aber nur von wenigen verwendet wurden. Viele Dämonen besaßen durch Schuppen oder Ähnliches eine natürliche Rüstung, sodass zusätzliche Ballaste die Bewegungsfreiheit nur unnötig eingeschränkt hätten. Außerdem fiel es vor allem Vierbeinern, wie den Raptoren, schwer, ohne Hände Kleidung anzuziehen. Aus diesen Gründen zogen es nicht wenige Dämonen vor, unbekleidet herumzulaufen.
Dann gab es aber auch Dämonenarten wie die Felusianer, die meinten, dass man nur zivilisiert sei, wenn man Kleidung trug. Es herrschte zwischen den vereinigten Dämonenarten lange ein verbitterter Kulturstreit darüber, ob ein Gesetz zum Zwangstragen von Kleidung wirklich zivilisierend oder nicht vielmehr freiheitsberaubend sein würde, bis man sich auf folgenden Kompromiss einigte: In den Städten herrschte eine Kleidervorschrift, außerhalb der Städte durfte jeder tragen oder nicht tragen, was er wollte. Dieser Kompromiss stellte aber keine der beiden Parteien zufrieden: Die einen hielten nun die anderen für primitiv, die anderen sie für dogmatisch.
„Dämoninnen und Dämonen!“, sprach die Ansagerin in einen mit Runen verzierten Kristall. Diese Runen nahmen die Schallwellen auf und übertrugen sie auf andere Runen, die in den Steinblöcken der Zuschauerränge eingraviert waren. Dort wurden die Schallwellen wieder abgegeben, sodass jeder hörte, was die Ansagerin verlauten ließ. „Willkommen in der Gula-Arena. Heute erwartet uns ein vielversprechender Kampf zwischen zwei Meisterkriegern und ihren Schülern. Wir begrüßen unseren Gast: Herzlich willkommen in der Gula-Arena, Meister Stagar vom Haus der Flammen.“ Die Menge jubelte auf.
Die Häuser waren Familien mit weit zurückreichenden Wurzeln. Manche hatten schon in der Zeit vor der Vereinigung existiert. Und dass heute gerade ein Mitglied des Hauses der Flammen kämpfen würde, versprach einen schön anzusehenden Kampf.
Meister Stagar war ein Felusianer, der eine rot glänzende Stahlrüstung trug und mit einer schweren Hellebarde, die er mit seinen vier Händen hielt, bewaffnet war. Weil sein Helm kein Visier hatte, konnte man sehen, dass sein Gesicht vollständig kahl war. Vermutlich war auch der Rest seines Körpers rasiert, wenn man bedachte, wie brandgefährlich sein Kampfstil war. Sein Schüler Nando hingegen trug sein Fell noch, dafür war er unbewaffnet und schien ein Magier zu sein, da er mit einer blauen Robe bekleidet war und keinen besonders kräftigen Eindruck erweckte.
„Den anderen feuern wir als unseren Champion an: Meister Kalus vom Haus der Seelen“, verkündete die Ansagerin. Jetzt wurde die Arena sehr zum Ärger von Meister Stagar mit Jubel überflutet.
„Meister Stagar, kennt Ihr Kalus?“, fragte ihn sein Schüler.
Er schüttelte den Kopf: „Nicht persönlich, doch man hört so allerhand. Er soll selbst für das Haus der Seelen außergewöhnlich sein. Dasselbe gilt auch für seinen Schüler und Sohn Kalusurus.“
Inzwischen waren die beiden Mitglieder des Hauses der Seelen in die Arena getreten. Der Schüler von Stagar zog eine Augenbraue hoch: „Der Schüler ist ja noch ein Kind!“
„Unterschätze ihn nicht wegen seines Alters“, mahnte ihn sein Meister. „Wenn er schon in diesen jungen Jahren in der Arena kämpfen darf, muss er über wirklich außergewöhnliche Fähigkeiten verfügen. Ich wünschte, ich hätte vorher gewusst, gegen wen wir kämpfen.“
Nun gingen die beiden Meister mit ihren Schülern zur Mitte der Arena, bis sie sich trafen. Die Ansagerin schlug mit ihren Flügeln und erhob sich in die Lüfte. Als sie hoch genug war, nahm sie aus einer Tasche, die sie um ihre Hüfte trug, einen roten Kristall. Diesen warf sie in die Mitte des Arenaplatzes. Der Kristall zersprang mit einem lauten Knall und gab so das Startzeichen für den Kampf.
Die Kontrahenten rannten los und stürzten sich auf ihre Gegner: Meister gegen Meister, Schüler gegen Schüler. Stagar ließ seine Hellebarde rotieren, während er sich Kalus näherte. Als er nah genug war, ließ er seine Waffe von oben auf seinen Gegner niedersausen. Doch zum Erstaunen aller konnte Kalus diesen heftigen Angriff mit einem Schwert blocken, während er blitzschnell mit seinen anderen drei Schwertern zustach. Alle drei Klingen trafen sich mit der Spitze in der Mitte der Brust des Gegners. Die Rüstung hielt stand, doch die Kraft dreier Stiche gebündelt auf einem Punkt stieß Stagar einige Meter zurück. Stagar keuchte, denn der Stoß hatte sich trotz seiner Rüstung in die Brustgegend fortgesetzt, sodass ihm für ein paar Augenblicke das Atmen schwerfiel. Ihm blieb aber keine Zeit zum Verschnaufen, denn Kalus setzte nach und attackierte ihn weiter. Stagar hatte Mühe, die Stiche abzuwehren, sodass es Kalus immer wieder gelang, ihn zu treffen. Jeder Treffer war so stark, dass die Rüstung eingedellt wurde. Stagar hatte am Anfang des Kampfes gedacht, dass er im Vorteil wäre, da Schwerter gegen seine massive Rüstung nicht so effektiv waren. Jedoch schien Kalus’ Kraft diesen Nachteil mühelos ausgleichen zu können. Stagar verunsicherten jedoch nicht nur die Schnelligkeit und Kraft, mit denen Kalus mit seinen Schwertern hantierte. Obwohl der Angehörige des Hauses der Seelen klar überlegen war, konnte Stagar keine Regung auf dessen Gesicht wahrnehmen. Die Miene blieb kalt.
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